Fischfang, Haie
Immer wieder landen in den Netzen der Fischerboote auch Haie als Beifang. Ein Drittel der Haiarten sei bereits vom Aussterben bedroht, sagt Hammarstedt.
Sea Shepherd

Dramatische Musik, Schiffe, die miteinander kollidieren, Wasserwerfer, die gewaltige Fontänen auf das benachbarte Schiff schleudern: Zuweilen wirken die Videos der Umweltschutzorganisation Sea Shepherd wie aus einem Kriegsfilm. "Es war ein täglicher Kampf", sagt Peter Hammarstedt, Kapitän und Leiter der Schiffseinsätze der Organisation: zwischen der Fischereiindustrie und den selbsternannten Beschützerinnen und Beschützern der Ozeane.

Sea Shepherd weiß, wie man Aufmerksamkeit erregt. Genau das war auch die Strategie, mit der die Organisation in den vergangenen Jahren den illegalen Wal- und Fischfang auf der Welt stoppen wollte. Heute kooperiert die Organisation mit afrikanischen Staaten und stellt diesen Schiffe für Patrouillen zur Verfügung. "Es fehlt immer noch an Kontrollen in der Fischerei", sagt Hammarstedt im Interview mit dem STANDARD. Wer die Wahl habe, sollte auf Thunfisch oder Lachs lieber verzichten.

STANDARD: Herr Hammarstedt, wenn ich im Supermarkt hierzulande Thunfisch oder Lachs kaufe, wie sicher kann ich mir dann sein, dass er nachhaltig ist?

Hammarstedt: Nachhaltigkeit ist ein bisschen zu einem Schlagwort geworden. Im Mittelmeer leben heute zehnmal weniger Fische als noch vor 50 Jahren. Laut den Vereinten Nationen sind 90 Prozent der weltweiten Fischpopulationen entweder vollständig ausgebeutet oder stark überfischt. Einer von fünf Fischen stammt aus der illegalen Fischerei. Wenn wir also so weitermachen wie bisher, ist das dann nachhaltig? Vor 1.700 Jahren, während der Zeit des Römischen Reiches, gab es einen Dichter namens Oppian. Dieser schrieb in fünf Büchern über den Fischfang. Eine der Methoden bestand darin, ein beschwertes Holzbrett mit vielen Spitzen neben dem Boot ins Meer sinken zu lassen. Auf dem Weg zum Meeresboden würde das Brett Fische aufspießen. Es ist heute unvorstellbar, dass es damals noch ein Meer mit so vielen Fischen gab.

STANDARD: Es gibt heute einige Gütesiegel auf Fischprodukten, wie beispielsweise MSC, die nachhaltigen Fischfang versprechen. Ist darauf kein Verlass?

Hammarstedt: Hinter jedem Zertifizierungsprogramm steckt auch ein Geschäftsmodell. Das sollte man immer berücksichtigen. Ich war in meinem Leben schon auf so vielen Fischerbooten für den Thunfischfang, vor allem in Westafrika, und auf jedem habe ich auch tote Haie gesehen. Dabei ist ein Drittel der Haiarten vom Aussterben bedroht. Wenn Sie Thunfisch essen, beteiligen Sie sich auch am Töten der Haie. Was für Fische gilt, gilt auch für Gemüse oder Früchte: Solange Sie nicht die Person kennen, die die Lebensmittel herstellt, gibt es in der Lieferkette hunderte Möglichkeiten, Sie hinters Licht zu führen.

STANDARD: Sie haben sich im Alter von 18 Jahren der Organisation Sea Shepherd angeschlossen. Wie hat sich die Fischereiindustrie in den vergangenen 20 Jahren verändert?

Hammarstedt: Fischerboote müssen aufgrund der schwindenden Fischpopulationen heute weiter aufs Meer hinausfahren und länger fischen. Dennoch fangen sie immer weniger Fische. Um Kosten zu sparen, setzen viele Industrien auf Zwangsarbeit oder Arbeitsausbeutung, vor allem in Entwicklungsländern. Wir haben vor einigen Jahren einmal ein illegales Fischerboot von der Antarktis bis nach Westafrika verfolgt. Der Kapitän des Schiffes war Chilene, die Offiziere waren Spanier, die restliche Besatzung waren Indonesier. Der Kapitän verdiente 12.000 Euro im Monat, die indonesischen Mitarbeiter 350 Euro. Wenn Regierungen Subventionen für Fischereien streichen und Unternehmen Mitarbeitern faire Löhne zahlen würden, wären viele Fischereien nicht mehr gewinnbringend.

Sea Shepherd, Hammarstedt
Peter Hammarstedt ist seit rund 20 Jahren auf unterschiedlichen Schiffen von Sea Shepherd unterwegs.
Robert Marc Lehmann

STANDARD: Wo findet illegale Fischerei heute vorrangig statt?

Hammarstedt: Überall dort, wo wenig kontrolliert und überwacht wird. Beispielsweise in der Antarktis, aber auch vor der Küste von Staaten, denen die Ressourcen fehlen, mit eigenen Booten Kontrollen durchzuführen. Oft verschwimmen die Grenzen zwischen legaler und illegaler Fischerei jedoch. Häufig ist es nur die Frage, wer für eine Lizenz bezahlt hat und wer nicht. Die ökologischen Auswirkungen sind die gleichen. Die Krill-Fischerei in der Antarktis gibt zum Beispiel an, sich an alle Regeln zu halten. Das ist leicht zu sagen, wenn es nur sehr wenige Regeln gibt. Manchmal können legale Fischereien weitaus zerstörerischer sein als illegale.

STANDARD: Inwiefern sind europäische Staaten an dieser Industrie beteiligt?

Hammarstedt: Die EU besitzt eine Fischereiflotte, die in etwa zweieinhalbmal größer ist als das, was sie bräuchte, um nachhaltig in europäischen Gewässern zu fischen. Deshalb hat die EU einige Vereinbarungen mit Entwicklungsländern, speziell in Westafrika, getroffen. Für eine Lizenzgebühr, die rund drei bis acht Prozent des Preises kostet, für den Thunfische am europäischen Markt verkauft werden, erhalten europäische Fischerboote Zugang zu den Gewässern dieser Länder. Die Überfischung europäische Gewässer wird dadurch in andere Regionen exportiert. Gleichzeitig fällt es lokalen Fischern in diesen Ländern durch die Überfischung immer schwerer, für ihr Überleben zu sorgen. Das kann im schlimmsten Fall auch zu größeren Ernährungskrisen führen.

STANDARD: Ihre Organisation verschreibt sich dem Kampf gegen die illegale Fischerei. Dafür rammen Sie immer wieder Fischerboote, zerstören deren Netze oder tragen zu deren Versenkung bei. Gehen derartige Angriffe nicht zu weit?

Hammarstedt: Wir haben immer dort gearbeitet, wo es ein Vakuum an Gesetzen oder staatlicher Kontrolle gab. Mittlerweile haben wir aber die Realität akzeptiert, dass wir ohne staatliche Hilfe und Konsumentinnen und Konsumenten keinen Wandel herbeiführen können. Wir haben weltweit nur vier Schiffe im Einsatz. Das Einzige, was wir tun können, ist ein Beispiel zu setzen, dem Regierungen und Zivilorganisationen dann hoffentlich folgen. Beim Walfang ist das bereits gelungen.

STANDARD: Dennoch bezeichneten Staaten und Unternehmen Aktivisten von Sea Shepherd immer wieder als Ökoterroristen, die mit ihren Aktionen auch Menschenleben gefährden.

Hammarstedt: Es gab im Zusammenhang unserer Aktionen nie Verletzte oder Tote. Immer wieder einmal mit Fischerbooten zu kollidieren war ein notwendiger Schritt, um Meereslebewesen zu schützen. Es war ein kalkuliertes Risiko. Manchmal braucht es aufsehenerregende Aktionen, um die Aufmerksamkeit auf wichtige Themen zu lenken.

STANDARD: Auch andere Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace warfen Ihrer Organisation vor, durch derart radikale Aktionen Walfangproteste in Misskredit zu bringen.

Hammarstedt: Umweltbewegungen sind wie ein Ökosystem. Ihre Stärke liegt in ihrer Vielfalt. Radikale Gruppen lassen andere Gruppen viel moderater erscheinen – und tragen dadurch indirekt wieder zu deren Erfolg bei. Ich sage nicht, dass solche radikalen Aktionen das Problem lösen. Aber sie bringen politische Themen zumindest ins Blickfeld. Heute weiß ein Großteil der Menschen in Europa, dass unsere Ozeane in der Krise stecken. Das bedeutet, dass wir jetzt an den wirklichen Lösungen arbeiten müssen.

STANDARD: Und welche wären das?

Hammarstedt: Was wir gemacht haben, ist, mit Staaten gemeinsam Patrouillen durchzuführen, um illegale Fischerboote ausfindig zu machen, die die lokale Fischerei und die Fischpopulationen gefährden, und deren Kapitäne verhaften zu lassen. 2016 haben wir begonnen, mit der Marine von Gabun zusammenzuarbeiten. Mittlerweile haben wir acht Partnerschaften mit afrikanischen Ländern, darunter auch Gambia und Liberia. Wir stellen die Schiffe zur Verfügung, die Staaten die Offiziere. Wo Patrouillen stattfinden, führt das zu einer deutlichen Reduktion illegaler Fischerei.

Fischerei, Kontrollen
Afrikanische Offiziere sollen gemeinsam mit Aktivistinnen und Aktivisten Kontrollen durchführen. Dadurch können laut Hammarstedt Kapitäne illegaler Fischerboote verhaftet werden.
Sea Shepherd

STANDARD: Wie nachhaltig ist dieser Effekt, wenn die Schiffe Ihrer Organisation irgendwann wieder abziehen?

Hammarstedt: Wir kommen immer wieder zurück zu den Ländern, mit denen wir eine Partnerschaft haben. Zudem streben viele der Länder an, eigene Schiffe für Patrouillen zu kaufen. Dadurch, dass sie dann schon viel Erfahrung gesammelt haben, können sie dann sofort mit den Aktionen loslegen. Wir sind sicher nicht die finale Lösung für das Problem. Wir bieten eine Übergangslösung, bis es eine nachhaltige Lösung gibt.

STANDARD: Gäbe es heutzutage nicht schon gute technologische Möglichkeiten wie etwa Satellitendaten, um die illegale Fischerei besser zu kontrollieren?

Hammarstedt: Es gibt mittlerweile ein automatisches Identifikationssystem, das darüber Auskunft gibt, um welches Schiff es sich handelt, wo es sich befindet und wo es hinfährt. Allerdings müssen die Daten immer noch manuell von den Schiffsführern eingegeben werden – was in vielen Fällen nicht passiert. Wenn Sie sich auf einem Computer beispielsweise die Schiffsaktivität im Golf von Guinea ansehen, sehen Sie oft nur einen Bruchteil der Fischerei, die dort gerade stattfindet. Satellitenaufnahmen wiederum sind teuer, und es gibt oft eine Zeitverzögerung. Optische Satellitenaufnahmen können auch nicht durch eine Wolkendecke sehen. Radare mit synthetischer Apertur sehen zwar durch Wolken, lassen aber nicht erkennen, um welche Art von Schiff es sich genau handelt. Schlussendlich ist es immer noch notwendig, mit einem Boot rauszufahren und direkte Kontrollen durchzuführen.

STANDARD: Was bräuchte es, um die Ozeane künftig besser zu schützen?

Hammarstedt: Wir müssen die Ozeane wieder renaturieren. Das bedeutet, die ökologisch besonders sensiblen Ökosysteme zu bewahren, in denen sich Fische fortpflanzen, wie beispielsweise Flussmündungen oder Lagunen. Fischpopulationen, die in Ruhe gelassen werden, können sich innerhalb eines Jahres verdoppeln. Das führt dann zu einem ökologischen Übertragungseffekt, der nicht nur der Natur, sondern auch den Fischern hilft. Das wäre eher nachhaltig, anstatt zu sagen, wir fangen dieses Jahr genauso viele Fische wie letztes Jahr. Das Problem ist, dass viele Unternehmen eher die kurzfristigen Gewinne als die langfristige Entwicklung verfolgen. Immerhin gibt es mittlerweile eine politische Willenserklärung: Laut Vereinten Nationen soll bis 2030 30 Prozent der Meere als Meeresschutzgebiet ausgewiesen werden. Momentan sind es nur drei Prozent, und von diesen drei Prozent ist nur in einem Bruchteil überhaupt keine Fischerei erlaubt. Entscheidend ist jedoch, dass das kontrolliert wird. 60 Prozent der Meeresfläche liegen außerhalb nationaler Gerichtsbarkeit. Und die Vereinten Nationen oder Interpol haben keine eigene Marine.

STANDARD: Zurück zum Thunfisch oder Lachs aus dem Supermarkt. Wäre es besser, ganz darauf zu verzichten?

Hammarstedt: Für Menschen, die entweder in Österreich oder wie ich in den USA, also in reichen Staaten leben, wäre das sicher ein guter Ansatz. Der meiste Fisch, den wir konsumieren, stammt entweder aus der industriellen Fischerei, oder aus Aquakulturen, die ebenfalls ökologisch bedenklich sind. Ein Fischer, der in Liberia 70 bis 150 Dollar im Monat verdient, kann nicht plötzlich auf Tofu umsteigen. Die Frage, ob Fisch oder nicht, ist also auch eine Frage von Entscheidungsmöglichkeiten. Ich persönlich habe seit 30 Jahren keinen Fisch mehr gegessen.

STANDARD: In einem aktuellen Film kritisieren Sie auch Nahrungsergänzungsmittel, die Omega 3 enthalten. Was ist an diesen schlecht?

Hammarstedt: Um solche Nahrungsergänzungsmittel herzustellen, wird in der Antarktis in großem Stil Krill gefischt, die Omega-3-Fettsäuren von Phytoplankton erhalten. Dadurch entnimmt die Fischerei dem Ozean eine grundlegende Nahrungsquelle vieler Fische und Wale. Das ist unnötig, da es für solche Nahrungsergänzungsmittel, die auch in Aquakulturen und bei Haustierfutter zum Einsatz kommen, algenbasierte Alternativen gäbe. Wenn du Lachse in Aquakulturen nicht solche Zusatzstoffe fütterst, sind sie nicht pink, sondern grau. Sie schmecken zwar gleich, trotzdem würde sie dann niemand kaufen. (Jakob Pallinger, 14.3.2024)