Jugendliche Kriminalität
Der zuletzt bekannt gewordene Missbrauchsfall befeuert die Debatte über die Senkung der Strafmündigkeitsgrenze.
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Wien – Der Präsident des Obersten Gerichtshofs (OGH) Georg Kodek sieht eine mögliche Absenkung der Strafmündigkeit skeptisch. Das Gefängnis sei "kein Allheilmittel", warnte Kodek am Samstag in der Ö1-Reihe "Im Journal zu Gast". "Ich warne vor überzogenen Erwartungen, das Strafrecht kann - wenn überhaupt – nur ein kleiner Teil der Lösung sein", so Kodek. Für Verfahren gegen Politiker schlägt der OGH-Präsident die Einsetzung eines Sonderanklägers vor.

In der aktuellen Debatte um eine Senkung der Strafmündigkeit mahnte der OGH-Präsident zu "Vorsicht und Besonnenheit". Zu denken sei an verstärkte Betreuung durch Psychologen, Integrationsberater und ein Zusammenwirken vieler Stellen. "Ein Wegsperren allein wäre keine Lösung". Jedoch die Vermittlung von Werten von außen sei als Gesellschaft schwer, wenn diese nicht vom Elternhaus und der sozialen Umgebung vermittelt würden, meinte Kodek, der seit Jänner an der Spitze des OGH steht.

Keine Reform beim Weisungsrecht nötig

Keinen dringenden Reformbedarf sieht Kodek beim Weisungsrecht. Die Gefahr politischer Weisungen gebe es nicht: "In den letzten Jahren oder Jahrzehnten gibt es das nicht mehr", so der OGH-Präsident. Statt der Einrichtung einer Generalstaatsanwaltschaft wäre es laut Kodek erwägenswert, für die wenigen Verfahren gegen Politiker einen Sonderankläger ähnlich wie in den USA einzusetzen. Dieser stehe außerhalb der Weisungshierarchie, "alle anderen Verfahren könnten wie bisher abgewickelt werden".

Der OGH-Präsident spricht sich auch gegen eine Verschärfung der Strafen für Klimaaktivisten, die Straßen blockieren, aus und äußerte Zweifel über die Wirksamkeit einer möglichen Präventivhaft für potenzielle Terroristen. "Ich kann mir vorstellen, dass wenn man das grundrechtskonform ausgestaltet, dass kaum Fälle überbleiben", so Kodek. Ein Wegsperren aller, die irgendwie verdächtig wären, sei nach österreichischer Rechtslage nicht möglich. Eine Präventivhaft wäre daher wohl mehr eine "Beruhigungspille" in der Diskussion.

Eine Reform wünscht sich Kodek beim Kostenersatz für Beschuldigte bei Freisprüchen, er wollte sich aber auf keine konkrete Zahl festlegen. "Es wirkt derzeit der Kostenersatz oder genauer dessen Unzulänglichkeiten ein bisschen wie eine Verdachtsstrafe, das kann es im 21. Jahrhundert nicht sein." (APA, 9.3.2023)