Emmanuel Macron (links) und Olaf Scholz machen ernste Gesichter.
Problemfrei war das Verhältnis zwischen Emmanuel Macron (links) und Olaf Scholz von Anfang an nicht.
AFP/LUDOVIC MARIN

In Berlin bleibt die Ampel rot: Die Ukraine erhält bis auf weiteres keine Taurus-Marschflugkörper. Selbst wenn das britische Angebot eines Ringtauschs zum Tragen käme, bei dem Deutschland – wie vom britischen Außenminister David Cameron vorgeschlagen – mehrere Taurus an Großbritannien abgeben und London dafür weitere Flugkörper vom Typ Storm Shadow an die Ukraine liefern würde: In Paris ist der Ton ein gänzlich anderer. Dort denkt Emmanuel Macron sogar laut über die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nach und fordert seine EU-Partner auf, nicht "feige" zu sein.

Wer ist gemeint? Damit es klar ist, sagte ein Élysée-Berater laut Presseberichten: "Wenn Putin hustet, sucht Scholz sofort nach einem Bunker." Dabei bietet Frankreich seinen Atomschirm aus 300 Sprengköpfen den EU-Freunden an. Allein, Deutschland hält den amerikanischen Schutz für sicherer. Die Franzosen fragen zurück: Auch, wenn Donald Trump im Jänner 2025 wieder ins Weiße Haus einzieht?

Scholz sieht sich als Vordenker und Stratege. Wichtig ist ihm der Gleichschritt mit den Verbündeten. Doch Macrons Vorpreschen macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Er kontert mit Verweis auf Zahlen und lässt immer wieder wissen, dass Deutschland nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine sei. Da müssten sich "alle einmal unterhaken" und schauen, ob noch mehr geht, so der deutsche Kanzler. Das wieder geht klar in Richtung Frankreich und Emmanuel Macron.

Vorwärts in Paris

Angela Merkel brauchte stets eine gewisse Anlaufzeit, baute aber sowohl mit Nicolas Sarkozy als auch François Hollande und Emmanuel Macron letztlich Vertrauen auf. Anders Olaf Scholz und Emmanuel Macron: Die beiden können auch nach mehr als zwei Jahren nicht miteinander. Der spröde Hanseat und der flamboyante Pariser haben sogar strategische Differenzen, so etwa die Skyshield-Luftabwehr, mit der die Deutschen die Franzosen brüskieren. Merkel und Macron hätten das am Telefon geregelt. Scholz ruft gar nicht an.

Macron forderte die westlichen Alliierten in Prag kürzlich auf, "nicht feig zu sein". Das war eine klare Spitze gegen Scholz, der bei den Marschflugkörpern Taurus blockt, während Macron sehr effiziente Scalp geliefert hat. "Wenn wir uns ständig rote Linien geben, während die Gegenseite keinerlei Grenzen kennt, dann geht bald der Geist der Niederlage herum", sagte er. Scholz konterte verärgert, die EU-Partner sollten "mehr leisten". Vor allem Frankreich, das viermal weniger Waffenhilfe an die Ukraine schickt, wie man in Berlin vorrechnet.

Macron erntet allerdings auch in seinem Land Kritik für seine martialischen Worte. Am Donnerstag empfing er alle Leader der großen französischen Parteien im Élysée – und alle lehnten eine stärkere Involvierung in den Krieg im Osten kategorisch ab. Auf der Rechten zeigen sich die Putin-Freunde wieder ohne Visier, und Republikanerchef Éric Ciotti bittet darum, Putin "nicht zu erniedrigen". Macron wird sich deshalb in seinem rhetorischen Feldzug mäßigen müssen. Das dürfte die Spannungen mit Berlin eher abschwächen.

Auch in der zentralen Frage der atomaren Abschreckung gegen das beängstigende A-Waffen-Arsenal Russlands kommen sich Berlin und Paris nicht näher. Macron hat die nukleare Force de Frappe den EU-Partnern angeboten. Eine europäische "Teilhabe" wie im Nato-Pakt kommt für ihn aber nicht infrage – die Rechtspopulistin Marine Le Pen schreit jetzt schon von "Verrat" an der Nation. Fürs Erste warten die Europäer ab, ob Donald Trump wieder US-Präsident wird und den amerikanischen Atomschirm über Europa zuklappt.

Vorsicht in Berlin

Dass es zwischen Scholz und Macron eher suboptimal läuft, fällt auch in Berlin auf. Das Verhältnis von Deutschland und Frankreich sei "so gut wie zerstört", kritisiert Friedrich Merz (CDU). Vor zwei Wochen, auf der Ukraine-Konferenz in Paris, seien die beiden wortlos nebeneinandergesessen. Niemals hätte es Derartiges unter CDU-Führung von Konrad Adenauer, Helmut Kohl oder Angela Merkel gegeben. Merz findet sogar: Nicht mal Gerhard Schröder (SPD) hätte sich "so jämmerlich verhalten" wie der deutsche Kanzler.

In Berlin ist man not amused, dass Macron sich über die Vorsicht der Deutschen lustig macht. Der Franzose erinnerte unlängst daran, dass einige ja zu Beginn des Krieges "Schlafsäcke und Helme" in die Ukraine schicken wollten. Damit war Deutschland gemeint, das der Ukraine vor Kriegsbeginn 5000 Helme überbrachte. Scholz hat zunächst auch die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern abgelehnt. Erst als der Druck im eigenen Land und auch von den Verbündeten immer stärker wurde, schickte er "Leoparden" aus Bundeswehrbeständen.

Scholz hingegen wird in Berlin gedrängt, mehr zu tun. In der eigenen Koalition setzt ihm die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zu, die sich angesichts des Kanzler-Neins zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine entsetzt zeigte: "Wer berät den Kanzler? Ich finde das sehr besorgniserregend." Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) meint, man müsse eine Taurus-Lieferung prüfen. Die Union hat sogar im Bundestag einen Antrag auf Lieferung eingebracht, fand aber keine Mehrheit.

Das atomare Hilfsangebot aus Paris beeindruckt Scholz nicht. Er setzt, trotz der Drohungen von Donald Trump, Europa eventuell nicht mehr zu beschützen, auf die USA und sagt: "Wir haben eine funktionierende Nato, eine sehr gute transatlantische Partnerschaft. Dazu gehört auch das, was wir an nuklearer Zusammenarbeit entwickelt haben." Auch Bodentruppen in die Ukraine zu schicken, wie es Macron angedacht hatte, schließt Scholz kategorisch aus. Er fordert hingegen mehr Waffen und Munition für die Ukraine – eben auch von Frankreich.

Weiter heftige Kritik an Papst-Aussage

Offen ausgetragene Meinungsverschiedenheiten rund um unterschiedliche Vorstellungen vom Umgang mit Russland haben inzwischen auch den Vatikan erreicht. Wie am Sonntag bekannt wurde, hat Papst Franziskus in einem Interview mit dem italienischsprachigen Sender des Schweizer Fernsehens mit einer höchst umstrittenen Formulierung zu Verhandlungen im Ukraine-Krieg aufgerufen: "Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und der den Mut zur weißen Flagge hat, zu Verhandlungen", hatte Franziskus erklärt und damit heftige Kritik ausgelöst.

Mittlerweile hat auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf die Aussagen des Papstes reagiert: Die Kirche sei bei den Menschen, sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache. "Und nicht zweieinhalbtausend Kilometer entfernt, irgendwo, um virtuell zu vermitteln zwischen jemandem, der leben will, und jemandem, der dich vernichten will." Zuvor hatte bereits Außenminister Dmytro Kuleba den Vorstoß des Papstes scharf zurückgewiesen. "Der Stärkste ist derjenige, der im Kampf zwischen Gut und Böse auf der Seite des Guten steht und nicht versucht, sie auf die gleiche Stufe zu stellen und dies 'Verhandlungen' zu nennen", so Kuleba.

In dieselbe Kerbe schlug die ukrainische Menschenrechtsaktivistin Oleksandra Matwijtschuk: Laut Kathpress erklärte sie, Kapitulation wäre für die Ukraine gleichbedeutend mit russischer Besatzung. Das heiße "Folter, sexuelle Gewalt, zwangsweises Verschwinden, Ablehnung der eigenen Identität, Zwangsadoption der eigenen Kinder, Filtrationslager und Massengräber", sagte Matwijtschuk. "Die Besatzung ist nur eine andere Form des Krieges", so die Vorsitzende des Kiewer Zentrums für bürgerliche Freiheiten, das 2022 den Friedensnobelpreis erhielt.

Und auch Berlin ging auf Distanz zu den Aussagen von Franziskus: Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte am Montag, dass die Ukraine sich gegen einen Aggressor wehre. (Birgit Baumann aus Berlin, Stefan Brändle aus Paris, red, 11.3.2024)