Jede Sekunde landen in der EU zwei Tonnen Lebensmittel im Müll. 60 Millionen Tonnen sind es in einem Jahr. In Zeiten der Klimakrise ist es natürlich alles andere als optimal, wenn Dinge, die aufwendig hergestellt und über teils weite Strecken transportiert wurden, einfach im Abfall landen. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind enorm. Wenn Lebensmittelabfälle ein EU-Staat wären, würde dieser Platz fünf auf der Liste der größten Treibhausgasemittenten in der Europäischen Union belegen, lautete ein Vergleich des ehemaligen Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans. Bei Textilien sind es 12,6 Millionen Tonnen, die jährlich weggeworfen werden.

Die EU will sich nun ehrgeizigere Ziele setzen, um bis 2030 die Berge an Abfall zu reduzieren. Konkret sollen in der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln um 20 Prozent weniger Abfall anfallen – verglichen mit dem Jahresdurchschnitt von 2020 bis 2022. 40 Prozent weniger sollen es im Einzelhandel, in Gaststätten und privaten Haushalten sein. Altkleidung wiederum soll in größerem Ausmaß gesammelt und recycelt werden, die Hersteller sollen künftig dafür zahlen müssen. Darüber haben die Abgeordneten des EU-Parlaments am Mittwoch in Straßburg abgestimmt. Der Vorschlag wurde mit 514 Stimmen angenommen, 20 Abgeordnete waren dagegen, und es gab 91 Enthaltungen.

Zahlen zeigen, dass in der EU jede Sekunde zwei Tonnen Lebensmittel, die eigentlich essbar gewesen wären, im Müll landen.
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Wie mit dem Abfall innerhalb der EU umgegangen wird, ist in der sogenannten Waste Framework Directive von 2008 geregelt. Eine Änderung der Richtlinie hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits 2022 angekündigt. Im Juli des Vorjahres folgte dann ein Vorschlag der Kommission. Der Umweltausschuss des EU-Parlaments arbeitete im Februar dieses Jahres schließlich noch ambitioniertere Ziele aus, über die nun im Plenum abgestimmt wurde. Dass gerade die Bereiche Lebensmittel und Textilien in Angriff genommen wurden, kommt nicht von ungefähr – sie sind besonders ressourcenintensiv und sorgen für besonders große Umweltschäden, schreiben die Gremien. Auch im europäischen Green Deal liegt auf ihnen ein Augenmerk.

Kampagnen für mehr Bewusstsein

Laut den neuen Regelungen sollen Mitgliedsstaaten die Lebensmittelverschwendung in allen Bereichen bekämpfen, also von der Produktion bis zu den Haushalten. Durch Kampagnen soll die Bevölkerung ein stärkeres Bewusstsein für die Problematik bekommen. Unverkaufte Lebensmittel sollen häufiger gespendet werden.

Was Textilien angeht, ist eine stärkere Verantwortung für die Hersteller vorgesehen. Sie sollen die Kosten für die Sammlung, die Sortierung und das Recycling tragen. Außerdem müssen die Mitgliedsländer sicherstellen, dass die Produzenten eigene Sammelstellen für Altkleidung und Schuhe einrichten. Sie werden auch verpflichtet, Forschung zu Recyclingtechnologien zu unterstützen. Durch Gebühren sollen Anreize für die Herstellung hochwertiger und gut recycelbarer Textilien gesetzt werden. Jeder Mitgliedsstaat hat ein Register zu erstellen, in dem sich die Hersteller registrieren müssen.

Derzeit werden in der EU etwa 22 Prozent der Altkleidung zur Wiederverwendung oder zum Recycling gesammelt. Die übrige Kleidung wird oftmals verbrannt oder auf Deponien abgelagert – nicht selten auch in Südamerika oder Afrika, wo sie im schlimmsten Fall in der Natur landen. Die beschlossenen Regelungen sehen nun vor, dass die Altkleidung sortiert werden muss, bevor sie aus einem EU-Land gebracht wird. Außerdem soll dafür gesorgt werden, dass nur Kleidung exportiert wird, die auch brauchbar ist.

Das EU-Parlament will, dass die Mitgliedsstaaten 18 Monate nach Inkrafttreten der Richtlinie die Vorgaben zur Herstellerverantwortung umsetzen. Bis Jänner 2025 müssen sie für eine getrennte Sammlung von Textilien zur Wiederverwendung und zum Recycling sorgen.

Kritik an den Zielen

Die neuen Richtlinien werden unterschiedlich aufgenommen. Mehrere Organisationen kritisieren in einem gemeinsamen Brief, dass sie nicht weit genug gehen. Es brauche eine größere Reduktion von Lebensmittelabfällen. Konkret fordern sie 50 Prozent – von der Produktion bis zum Verzehr – bis zum Jahr 2030, wie in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs) vorgesehen. Ein solches einheitliches Ziel sei jedoch nicht machbar, erwidert die Schattenberichterstatterin Dace Melbārde, die der Fraktion der Europäischen Volkspartei angehört. Richtig verstanden sei der abgestimmte Vorschlag sogar ambitionierter als die SDGs.

Eine weitere Kritik von der Umweltschutzorganisation Greenpeace lautet, dass die Änderung der Richtlinie nur Lebensmittelabfälle und Textilien adressiert. "Was ist denn zum Beispiel mit Industrieabfällen oder Baumüll? Warum wurden sie nicht gleich mitbehandelt?", sagt Lisa Panhuber von Greenpeace.

Was sie außerdem störe: Bei den Textilabfällen werde nur "am Ende der Abfallkette" angesetzt. Es werde lediglich auf Sammlung und Recycling fokussiert – dabei seien Wiederverwendung, Secondhand und Reparatur viel relevanter. Genauso wichtig sei es, die Menge der hergestellten Kleidung und Schuhe einzuschränken. Beides stünde in der Abfallhierarche weiter oben. Dass Produkte, die leichter recycelt werden können, weniger Abgaben zahlen müssen als umweltschädliche, hält Panhuber für eine gute Idee. "Es wäre aber besser, wenn die Gelder anstatt für das Recycling dafür verwendet werden, Secondhand zu fördern."

Billig eingekauft, kaum getragen, bald mal weggeworfen: Durch Fast Fashion haben Kleidungsstücke oft nur noch eine kurze Lebensdauer.
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Bewusstseinsbildung zu Lebensmittelabfällen seien schön und gut, "aber das passiert seit zehn Jahren, und wir sehen, dass sich dadurch nicht viel verändert hat". Die Reduktionsziele müssten mit Geldstrafen verbunden werden. "Mitgliedsstaaten können sagen: Wir setzen für die einzelnen Branchen, für den Großhandel oder für Restaurants, diese Ziele fest, und wer sie nicht erreicht, muss Strafe zahlen."

Wie erreicht man Einzelne?

Für Johann Fellner, Experte für Abfallwirtschaft und Ressourcenmanagement an der Technischen Universität Wien, gehen die Ziele, die sich die EU setzen will, in eine wünschenswerte Richtung: "Die EU hat erkannt, dass es wichtig ist, die Abfälle zurückzufahren, die derzeit stetig ansteigen." Was die Vermeidung von Lebensmittelabfällen angeht, sei es richtig, bei den Haushalten anzusetzen, wo besonders viel weggeworfen wird. "Jeder kennt das: Man kauft etwas ein, vergisst es im Kühlschrank, und irgendwann ist das Haltbarkeitsdatum überschritten." Die Menschen in Kampagnen darüber aufzuklären, wie wertvoll Lebensmittel sind und welche Folgen ihre Verschwendung hat, hält er für eine geeignete Maßnahme. Anders sei es auch nur schwer möglich, in persönliches Konsumverhalten einzugreifen, ohne Preise für Lebensmittel anzuheben.

Auch dass die Sammelquote von alten Textilien erhöht werden soll, indem Produzenten daran mitwirken, begrüßt der Experte. Was er allerdings anmerkt: Derzeit sind viele Textilien nicht sortenrein, bestehen beispielsweise aus einem Baumwoll-Kunststoff-Gemisch. Selbst wenn Kleidung also in großem Stil gesammelt wird, kann aus ihnen derzeit nur schwer Neues entstehen. Die Qualität von Kleidung durch Gebühren zu fördern, sei ein guter Ansatz, allerdings: "Wie viel Lenkungseffekt das tatsächlich hat, ist fraglich. Ich befürchte, dass die Gebühren sehr hoch sein müssten, damit es etwas bewirkt." Es müsse unbedingt an Technologien für das Recycling gearbeitet werden, um künftig besser neue Kleidung aus alter herstellen zu können.

Das Entscheidende jedoch, um die Umweltauswirkungen von Textilien zu reduzieren, sei, die Produktion zurückfahren, sagt auch Fellner. "Die Frage ist, ob wir uns wirklich so oft neue Hemden kaufen müssen." Eine Reduktion werde aber in den geplanten Änderungen der Abfallrichtlinie "nicht wirklich angeschnitten". Er zieht schließlich auch in Zweifel, wie gut eine Sortierung von Altkleidung vor dem Export aus der Europäischen Union tatsächlich gelingen kann.

Umsetzung in Österreich

Laut Markus Meissner, Kreislaufexperte am Österreichischen Ökologie-Institut, bleibe abzuwarten, wie die Mitgliedsstaaten die geplanten Regelungen umsetzen. "Der Schlüssel zu Umweltvorteilen liegt in der Implementierung der Richtlinie." Bereits ohne die Richtlinien würden in Österreich 26 Prozent der Textilabfälle getrennt gesammelt. Dennoch sieht der Experte darin Chancen, die Kreislaufwirtschaft hierzulande weiter zu fördern. Die Sammelquoten könne sich dadurch noch erhöhen.

Variable Lizenzgebühren, um damit einen Anreiz zu setzen die Qualität der Textilien zu erhöhen, müssten für die Hersteller tatsächlich merkbar sein, sagt auch Meissner: "Die niedrigste Gebühr darf nur für jene gelten, die wirklich nachhaltige Kleidung produzieren." Das Geld, das von anderen Produzenten eingesammelt werde, solle idealerweise in die Forschung und Entwicklung von Kreislaufwirtschaft fließen. Meissner hält es für wichtig, Sozialbetriebe und Kommunen, die bereits jetzt Altkleidung einsammeln und behandeln, in die nationale Ausgestaltung der neuen Richtlinien miteinzubeziehen.

Als Nächstes formuliert der Rat seine Position zu den geplanten Änderungen. Anschließend beginnt der sogenannte Trilog – die Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission. Das wird jedoch erst nach der Wahl des EU-Parlaments im Juli so weit sein. Bis dahin wird der Abfall mit jedem Tag mehr. (Lisa Breit, 13.3.2024)