Werner Möstl hockt am Boden, linkes Bein weit ausgestreckt. Er stoppt einen Ball mit seinen Händen.
Werner Möstl in sehr jungen Torhüterjahren, gewiss noch vor den vier Meistertiteln und den zwei Cuperfolgen in der West-Wien-Blütezeit vor mehr als drei Jahrzehnten.
Handball West Wien

Manche Erfolge haben viele Väter und Mütter. Jener der österreichischen Handballer, die kürzlich bei der EM in Deutschland für Furore sorgten, ist jedenfalls nicht von schlechten Eltern. Schon Natascha Rusnachenko, Roman Frimmel und Werner Möstl spielten für Österreich, heute tun das ihre Söhne. Bei den Möstls ist die Parallele besonders dick, wie einst der Senior hütet nun der Junior das Tor. Manchmal fällt der Apfel nicht weit vom Stamm, in dem Fall wuchs zwischen den Stangen quasi ein Apfelbaum.

Dass Constantin bei der EM unter anderem die Kroaten (28:28) und die Deutschen (22:22) verzweifeln ließ, hat dazu geführt, dass Österreich nun sogar von der Olympiateilnahme träumen darf. In Hannover geht es ab Donnerstag in einem Viererturnier gegen Kroatien, Algerien und Deutschland, die ersten zwei lösen das Ticket zu den Sommerspielen in Paris.

Das Jucken beginnt

In Olympianähe ist Werner Möstl seinerzeit nicht gekommen, aber mit Fug und Recht kann er behaupten: "Wir waren die ersten, die ganz oben angeklopft haben." Mehr als dreißig Jahre ist es her, der legendäre Harry Dittert hatte beim Hietzinger Verein West Wien schon kräftig umgerührt, und als er den Trainersessel für den nicht minder legendären Vinko Kandija freimachte, ging es erst so richtig los.

Vorbildliche Nachwuchsarbeit zeitigte 1989 einen ersten Meistertitel, das Durchschnittsalter der Truppe lag bei knapp über 21 Jahren. Anfang der 90er folgten drei weitere Meistertitel und zwei Cuperfolge sowie eine Champions-League-Gruppenphase, in der es 1994 drei sensationelle Heimsiege gab, auch einen gegen den späteren Champions-League-Sieger Santander mit Superstar Talant Dujshebaev. In einem direkten Duell mit Hin- und Rückspiel hätte West Wien sogar die Oberhand behalten.

Und Werner Möstl stets mittendrin. Auch im Nationalteam, dessen Kader sich natürlich nicht nur aus West Wienern, sondern vor allem auch aus Linzern speiste. Möstl und Ewald Humenberger bildeten ein kongeniales Torhütergespann. Bei der Heim-B-WM 1992 schaffte Österreich den Aufstieg, bei der A-WM 1993 in Schweden ging es wieder hinunter, nachdem beim Vorrundensieg über Ägypten (26:23) ein einziges Tor zum Klassenerhalt gefehlt hatte. "Das gehört im Sport dazu", sagt Möstl, "Erfolg und Niederlage liegen manchmal verdammt eng beisammen."

Das Jucken geht weiter

Constantin, der Junior, hat die Gnade der späten Geburt. Er ist Vollprofi, derzeit noch bei Hard in Vorarlberg, mit Saisonende wechselt er zu Lemgo in die deutsche Bundesliga. Papa Möstl musste stets davon ausgehen, dass er mit dem Sport nicht das Auslangen finden würde. Neben dem Handball begann er Betriebswirtschaft zu studieren und neben dem Studium im Bankwesen zu arbeiten. Raiffeisen, Volksbanken AG, Bank für Tirol und Vorarlberg waren die ersten Stationen, seit 2010 ist Möstl bei der Raiffeisen Landesbank und dort nun Abteilungsleiter im Firmenkundengeschäft.

Werner Möstl Gesicht mit Brille.
Werner Möstl.
Werner Möstl

Aus dem Nationalteam trat er nach 103 Länderspielen zurück, doch auf Vereinsebene verschob sich das Karriereende immer mehr. Eigentlich sollte 2006 endgültig Schluss sein, doch dann meldeten sich die Handballfreunde aus Tulln. "Und es hat mich doch wieder gejuckt." Resultat des Juckens war Möstls dritter österreichischer Cupsieg (2008).

Zu der Zeit war Tochter Lisa schon zehn Jahre alt und Constantin acht. Der Sohn spielte zunächst nicht im Tor, sondern am Feld. Doch zum Training musste er so oder so gebracht werden. "Und ob ich ihn nur hinführe oder dort gleich auch etwas tue, hat keinen großen Unterschied ausgemacht", also begann Möstl dann auch als Betreuer im Nachwuchsbereich, später auch als Co-Trainer.

Dabei blieb es, als er zum zweiten Mal verheiratet und auch Vater von Clemens und Julia war. "Wir patchworken", sagt er. Mittlerweile muss auch sein jüngerer Sohn Clemens längst nicht mehr zum Training gebracht werden. Er ist Aufbauspieler bei West Wien und eines der größeren heimischen Talente.

Aktuell ist West Wien, was es zu Werner-Möstl-Zeiten war, nämlich regierender österreichischer Meister. Und doch ist der Verein zweitklassig, er ist zwangsabgestiegen, weil sich der Betrieb nicht mehr finanzieren ließ. Der sportliche Weg ist ein guter, die Wiener könnten gut und gerne wieder aufsteigen. Ob sich in der, nun ja, Sportstadt Wien auch ein wirtschaftlicher Rahmen bilden lässt, ist freilich nicht gesichert.

Möstl reißt Arme hoch.
Constantin Möstl zeigte zuletzt bei der Handball-EM eine überragende Leistung.
IMAGO/Steinbrenner

Den Hietzingern fehlt nicht zuletzt seit jeher eine Halle, ihre Heimspiele in der HLA trugen sie in der Südstadt aus, die ist weder West noch Wien. "Die Wirtschaft und die Politik müssten endlich erkennen, welchen Stellenwert der Sport hat, und müssten investieren", sagt Möstl. "So oft wird gejammert, dass es in Österreich an Spitzenkräften fehlt. Im Sport werden solche Kräfte ausgebildet, nämlich Leute, die Visionen haben, die sich Ziele setzen können und über Schmerzgrenzen gehen können."

Das Jucken hört nie auf

Leute wie Werner Möstl. Bei ihm ist noch eine Frage offen: Wann hat er eigentlich seine aktive Karriere beendet? Nun, nach dem Ausflug nach Tulln stand er von 2009 bis 2010 wieder seinem Stammverein West Wien zur Verfügung. Danach war freilich auch noch nicht wirklich Schluss. 2015 war Not am Mann, ein Goalie hatte sich verletzt, so entstand bei West Wien die Idee, dass "der alte Möstl" als zweiter Keeper nach Bregenz mitfahren könnte. Er war 46, so what?

Er fuhr, wärmte sich auf wie ein Junger, ging für drei Siebenmeter ins Tor, einen davon parierte er, und West Wien gewann. "Am nächsten Tag hatte ich Schmerzen, als wäre ich einen Marathon gelaufen." Das hatte er freilich 2018, als die Atzgersdorfer anriefen, auch schon wieder verdrängt. Einige Monate lang gab er sich die dritte Liga, Atzgersdorf schaffte den Aufstieg in die zweite.

Einerseits ist das jetzt fast sechs Jahre her, und vielleicht sollte man nicht ganz ausschließen, dass Werner Möstl nun wirklich aufgehört hat. Andererseits ist 55 für einen Apfelbaum kein Alter. (Fritz Neumann, 13.3.2024)