Der Startzeitpunkt der neuen ZDF-neo-Serie "Bauchgefühl" über einen Schwangerschaftsabbruch ist kein Zufall. In Deutschland prüft eine Expertenkommission derzeit die Überarbeitung der aktuellen Gesetzeslage, wonach ein Schwangerschaftsabbruch vor der zwölften Woche zwar als straffrei, aber als rechtswidrig einstuft wird. Ergebnisse sollen Ende März präsentiert werden. In "Bauchgefühl" – ab 14. März in der ZDF-Mediathek und am 7. April im Hauptabendprogramm von ZDF neo – wird Lena (Laura Berlin) ungewollt schwanger, sie entscheidet sich für einen Abbruch. Entwickelt wurde die sechsteilige Serie von der österreichischen Drehbuchautorin und Regisseurin Esther Rauch. Es geht um eine schwere Entscheidung, die sich trotzdem richtig anfühlen kann, und darum, wie viel Kraft es kostet, wenn sich andere in diese Entscheidung einmischen.

STANDARD: In Deutschland prüft eine Expertenkommission gerade die geltenden gesetzlichen Regeln für Schwangerschaftsabbrüche. Wird sich etwas ändern, was sind Ihre Erwartungen?

Rauch: Es ist alles sehr unvorhersehbar im Moment. In den USA werden die Regelungen für einen Schwangerschaftsabbruch strenger, Frankreich geht den umgekehrten Weg und nimmt das Recht auf Abtreibung in die Verfassung auf. Durch die Änderung in Frankreich habe ich die Hoffnung, dass es auch in Deutschland in Richtung Lockerung geht.

STANDARD: In Österreich sagte Frauenministerin Susanne Raab in der "ZiB 2" am Weltfrauentag, dass die aktuelle Regelung der Fristenlösung bleibt. Die Regierung hat nicht vor, sie zu lockern. Und sie hat auch betont, dass Kinder in unserer Gesellschaft etwas Wunderschönes und willkommen seien.

Rauch: Ja, das fand ich absurd, dass sie diesen Zusammenhang herstellte. Mir war es wichtig, dass die Hauptfigur in der Serie bereits ein Kind hat und dieses Kind sehr liebt. Es geht nicht darum, sich gegen Kinder zu entscheiden oder zu sagen, dass Kinderhaben nicht schön sei. Man macht keinen Schwangerschaftsabbruch, weil man Kinder nicht leiden kann.

Wird ungewollt schwanger: Lena (Laura Berlin).
Foto: ZDF, Lisa Eidenhammer.

STANDARD: Ist Österreich hier konservativer als Deutschland?

Rauch: Ich glaube, dass diese Fragen auch Fragen des Wahlinteresses sind. Wer möchte wo stehen, und wie positioniert man sich deshalb? Auch wenn in Deutschland das Werbungsverbot gefallen ist, heißt das nicht, dass – etwa durch die AfD – nicht wieder eine Verschärfung kommen könnte. Man sollte sich über Lockerungen freuen, aber man darf sich nicht darauf ausruhen.

STANDARD: Sowohl in Deutschland als auch in Österreich ist ein Abbruch gesetzlich nach wie vor eine Straftat, also illegal, und nur in den ersten drei Monaten straffrei.

Rauch: Ja, völlig absurd, es geht da auch um die Symbolik. Wenn man einen Abbruch als Straftat deklariert, heißt das, dass man als Frau nicht frei entscheiden darf.

STANDARD: Was wollen Sie mit der Serie bewirken?

Rauch: Es ist noch immer ein tabuisiertes Thema, über das man wenig weiß. Ich will einerseits aufklären und andererseits mit Lena eine Frau zeigen, die eine Entscheidung für sich und ihren Körper trifft. Es geht nicht um eine Vergewaltigung, es geht nicht um einen finanziellen Notstand und auch nicht darum, dass der Vater des Kindes nicht da wäre für das Kind. Ich will auch zeigen, wie viel Kraft es eine Frau kostet, wenn sich viele Menschen in diese Entscheidung einmischen.

STANDARD: Sie macht sich diese Entscheidung nicht leicht. Aber es war ihr sofort klar, dass sie dieses Kind nicht will.

Rauch: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Frau gibt, die sich diese Entscheidung leicht macht. Es gibt viele Frauen, die sich sehr früh und auch sehr klar für einen Abbruch entscheiden, sie treffen diese Entscheidung aber nicht leichtfertig.

STANDARD: Lena darf auch traurig über diese Entscheidung sein.

Rauch: Es gibt einen Unterschied darin, eine Entscheidung zu bereuen oder wegen einer Entscheidung traurig zu sein. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Lena bereut nicht, aber ja, sie darf traurig sein. Sie weiß um ihre Verantwortung, will auch nichts ignorieren und nichts verdrängen. Sie will den Fötus im Ultraschall sehen.

Lena (Laura Berlin) will das Kind nicht, ihr Mann Felix (Ludwig Trepte) kann ihre Entscheidung nicht verstehen.
Lena will das Kind nicht, ihr Mann Felix (Ludwig Trepte) kann ihre Entscheidung nicht verstehen.
Foto: Lisa Eidenhammer

STANDARD: Lenas Mann kann ihre Entscheidung nicht nachvollziehen, er will das Kind. Wäre es für Lena einfacher gewesen, ihm nichts von der Schwangerschaft zu sagen?

Rauch: Das wäre, so wie die Beziehung konstruiert ist, ein Vertrauensbruch zwischen den beiden gewesen. Und er ist eben der Vater des Kindes. Wenn eine Beziehung auf Ehrlichkeit basiert, ist es naheliegend, darüber zu sprechen. Sie räumt ihm aber kein Mitspracherecht ein, stellt ihn vor vollendete Tatsachen. Jede Frau soll für sich entscheiden können, wie sie das machen möchte. Lenas Entscheidung ist, es ihm zu sagen. Es ist auch ihre Entscheidung, mit ihrer Schwester darüber zu sprechen.

STANDARD: Weil sie jemanden zum Reden braucht?

Rauch: Dadurch, dass der Schwangerschaftsabbruch nach wie vor oft ein Tabu ist, wird man damit allein gelassen. Durch die Politisierung des Themas, durch Stimmen, die sagen "Abtreibung ist Mord", ist es so emotionalisiert, dass man dazu neigt, diese Entscheidung mit sich selbst ausmachen zu wollen, obwohl es wichtig wäre, darüber zu reden.

STANDARD: Bis auf die Medizinerin, die Lena berät und ihr auch das Abtreibungsmedikament gibt, kommen Ärzte und Ärztinnen nicht gerade gut weg. Schon das "Herzlichen Glückwunsch" bei der ersten Ultraschalluntersuchung wirkt unpassend.

Rauch: Als Arzt oder Ärztin kann man sagen, dass ein Abbruch für einen persönlich nie in Frage kommen würde. Das heißt aber nicht, dass sie jemanden verurteilen dürfen, der das macht. Ärztinnen und Ärzte haben die Verpflichtung, medizinisch aufzuklären. Sie sollten keine Wertung abgeben.

STANDARD: In der Serie üben Studierende einen Abbruch anhand einer Papaya.

Rauch: Ja, damit wird eine Absaugung gelernt, man kann das ja schlecht in echt üben. Diese Frucht hat eine ähnliche Form wie der Uterus und auch die Empfindsamkeit. Ich habe das auch ausprobiert, eine Papaya eignet sich gut zum Üben. Erstaunt hat mich in der Recherche, dass es keine Verpflichtung in der Ausbildung gibt, nicht einmal in der Gynäkologie, sich mit Abbrüchen auseinanderzusetzen.

Laura mit ihrer Schwester Tina (Luise von Finckh).
Lena (Laura Berlin) mit ihrer Schwester Tina (Luise von Finckh).
Foto: ZDF, Lisa Eidenhammer.

STANDARD: Noch 2024 soll die True-Crime-Serie "Ohne jede Spur – Der Fall der Nathalie B." über die Entführung der Triathletin Nathalie Birli ausgestrahlt werden, sie führten Regie. Birli wurde im Sommer 2019 in der Nähe von Graz überfallen und in einem kleinen Haus festgehalten. Wie war hier die Herangehensweise?

Rauch: Das war ein sehr schwieriges Projekt, es ist wieder eine Frau, die einem Täter zum Opfer fällt. Wie erzählt man das und warum? Wir haben versucht, die Geschichte aus ihrer Perspektive zu erzählen. Man sieht vom Täter nur das, was sie sieht. Wir zeigen ihre Fluchtversuche, aber auch jene Momente, in denen sie versucht, eine Ebene mit ihm herzustellen, um ihr Überleben zu sichern. Am Ende manipuliert sie ihn so massiv und bekommt ihn so sehr in den Griff, dass er sie nach Hause fährt. (Astrid Ebenführer, 14.3.2023)

"Bauchgefühl"-Regisseurin Esther Rauch.
Foto: Andreas Dobslaff