Norah Jones zeigt auf
Norah Jones zeigt auf "Visions" eine neue Facette, ohne Selbstverleugnung zu betreiben.
Joelle Grace Taylor

Die Vöglein zwitschern im ersten Lied im Hintergrund, wie ein Zeichen, dass sie die Musik nicht stört. Die Stimmung ist tiefenentspannt, man kennt das ja, schließlich geht es um Norah Jones. Sie wurde mit dem Album Come Away With Me zum Star, dem der Ruf des Candle-Light-Dinner-Soundtracks anhaftet wie ein Schatten: Hochgradig unteraufgeregte Musik, die 2002 ein Überraschungserfolg wurde, sich fast 30 Millionen Mal verkauft hat und die bis dahin weitgehend unbekannte Musikerin auf die Weltbühne brachte.

Dort blieb sie sich treu, was gut und schlecht zugleich war. Gut, weil sie bewiesen hat, kein elender Retortenstar zu sein, kein Casting-Wunder, für das man das Langzeitgedächtnis gar nicht erst bemühen muss, nein. Jones verkaufte ihre zwischen Country und Schmusejazz angesiedelten Lieder zwar wie verrückt, sie schien sich von dem Trubel um ihre Person aber nicht beeindrucken zu lassen. Schlecht war es, weil die sehr auf das Private zielende Musik im Konzert doch eher sedierend wirkte, ihre Lieder auf die Lider drückten.

Globale Fangemeinde

Trotz ihres Erfolgs blieb Jones die legere New Yorkerin, die dort weiterhin selbst den Einkauf erledigte – nur musste sie ab 2002 nicht mehr auf die Preise in der Wurstvitrine schauen. Ihr Erfolg hat damals das Traditionslabel Blue Note gerettet, aber das ist, wie der Schnee, Schnee von gestern.

Norah Jones - Running
norahjonesVEVO

Seit damals hat sie eine globale Fangemeinde und veröffentlicht in schöner Regelmäßigkeit neue Alben. Nun ist es wieder so weit: Mit Visions ist ihr neunter Longplayer erschienen, nachdem dessen Vorgänger ein eher einfallsloses Weihnachtsalbum war. Was man halt so tut, um den Aktionären der Plattenfirma Dividende zu bescheren.

Doch der vermeintlichen Unaufgeregtheit von Jones’ Musik wohnt eine Subtilität inne, die immer wieder verschiedene Facetten hervorbringt. Visions besitzt eine Funkiness, die sich über ein einschlägig gespieltes Schlagzeug äußert: diese Snare-Drum! Titel wie Queen of The Sea rumpeln lässig, im Hintergrund besorgen träge Bläser die Tiefen, während Jones’ leger geklimpertes Piano die Stimmung umrahmt.

Selbst Songs wie das vermeintlich Selbsthypnose evozierende Starring At The Wall sind keine Fadgas verströmenden Lieder, sondern erfreuen, in dem Fall, mit zurückhaltenden Rock-'n'-Roll-Charakteristika. Also nicht auf die explosiv-sexualisierte Eierbrecherart einer Poison Ivy von The Cramps, sondern auf eine züchtige Chris-Isaak-bespannt-die-Gitarre-Weise.

Keine Witze über Schlaf!

Das hat was, zumal der Song reduziert bleibt, was mehr Atmosphäre gebiert als ein vollgestopftes, überproduziertes Stück Musik. Ja, die Unaufgeregtheit hat auch ihre guten Seiten. So gibt es über die Entstehung des Albums keine wilden Geschichten zu berichten. Jones informiert über die Plattenfirma, dass die meisten Songs nebenbei entstanden seien, oft im Halbschlaf. Den Witz auf dieses Outing verkneifen wir uns. Wie um dem vorzubeugen, heißt ein Lied I’m Awake – sie kennt den Witz offenbar schon.

Norah Jones - Staring at the Wall
norahjonesVEVO

Gegen Ende pfeifen dann nicht mehr die Vöglein, in On My Way übernimmt die 44-Jährige das selber. Dazu eiert die Orgel, sie streut Piano bei, die Slide-Gitarre jault, der faule Bass charmiert. Das ist keine revolutionäre Kunst, aber die erwartet niemand von ihr.

Im Geiste bei den Großen

Jones stand und steht für traditionelles Songwriting, für geschmackvolle Produktionen. Als Autorin hat sie mit Figuren wie Willie Nelson oder Townes van Zandt früh schon einschlägige Vorbilder genannt. Selbst wenn die Country-Nähe aktuell weitgehend fehlt, sich im Geiste an den Großen zu orientieren, ist nie falsch.

Produziert hat das Album Leon Michels, der als El Michels Affair veröffentlicht und als Produzent für den Neo-Soul-Boom und Acts wie Charles Bradley, Lee Fields oder Sharon Jones mitverantwortlich war. Sein Einfluss auf Visions ist deutlich – ohne Jones gleich aus der Bahn zu werfen. Die Übung ist gelungen. (Karl Fluch, 12.3.2024)