Geisterbahnfahrt
STANDARD-Autor Manfred Gram sucht zur Sicherheit einen beruflichen Plan B: Könnte es vielleicht ein Job in der Geisterbahn sein?
Heribert Corn

Speeddating war Ende der 1990er eine ziemlich große Sache. Anfang der Nullerjahre auch noch. Im Schnelldurchlauf Leute kennenzulernen und in wenigen Gesprächsminuten auf ihre Kompatibilität – für welchen Lebensentwurf auch immer – abzuklopfen, das hatte was. Wie so vieles blieb auch die schnelle Schau nach Braut und Bräutigam von der Digitalisierung nicht verschont. Wer 2024 noch auf Speeddating setzt, hat eine anachronistische Ader und Sinn für Nostalgie. Wie der Wiener Praterverband und das AMS.

Offene Knochenjobs

In welcher schummrigen Ecke sich dieses Traumpärchen gefunden hat, darf im Dunkeln gelassen werden. Gemeinsam veranstaltete man aber Ende Februar im Praterlokal Café Meierei Holzdorfer, direkt an der schnurgeraden Hauptallee gelegen, ein Speeddating für Jobs im Prater. 13 Betriebe hatten dort gut 80 Jobs anzubieten. Allein das Schweizerhaus suchte 25 neue Leute. Knochenjobs.

Bei Katja Kolnhofer sind vier Stellen offen. Die 45-Jährige ist in eine Praterdynastie hineingeboren worden und im Wurstelprater aufgewachsen. Wie tief sie verwurzelt ist, merkt man, wenn man sie anruft. Dann singt Hermann Leopoldi Schön ist so ein Ringelspiel.

Geisterbahn: Interieur
Glühende Augen weisen den Fahrgästen im Dunkeln den Weg.
Heribert Corn

Der Prater als Rettungsschirm

Rund um den Calafatiplatz führt Kolnhofer ein kleines Imperium. Es besteht unter anderem aus einer Schießbude, dem Kopfüberkarussell Extasy und dem Super-Autodrom. Auch das Geisterschloss, die älteste Geisterbahn im Prater, gehört dazu. Kolnhofer leitet die Gruselinstitution seit 2016. Damals ging ihre Mutter in Pension. Im Prater arbeitet sie aber schon länger. "Ich bin 2009 nach meiner Scheidung und als Alleinerziehende von damals noch drei, mittlerweile sind es vier Kinder, ins Familiengeschäft eingestiegen", sagt sie: "Der Prater war mein Rettungsschirm."

Vielleicht wird es auch meiner. Kolnhofer sucht nämlich Schaustellergehilfen für ihr Geisterschloss. Es ist nie verkehrt, einen Plan B zu haben. Wie Speeddating war Printjournalismus zuletzt Ende der 1990er-Jahre eine ziemlich große Sache. Ein Probetag in der Geisterbahn kommt da gerade recht. Leuten eine Fahrkarte verkaufen und sie erschrecken traue ich mir durchaus zu. Und dem Journalismus ganz unähnlich ist die Sache auch nicht. Gruselige Gestalten gibt’s da wie dort.

Das Geisterschloss als Arbeitsplatz ist jedenfalls schon einmal ziemlich super. Fast 70 Jährchen hat die Hütte mittlerweile auf dem Buckel, und die Wagen, die auf Schienen durchs einstöckige Haus rattern, sind sogar noch älter. Sie haben aber neue Motoren. Kolnhofer sucht übrigens auch einen Mechaniker oder eine Mechanikerin. In der Hauptsaison, wenn das Geschäft brummt, gibt es in ihrem Reich immer was zu reparieren und zu warten.

Geisterbahn-Chefin Katja Kolnhofer
Im Prater lehrt Schaustellerin Katja Kolnhofer das Erschrecken der Fahrgäste.
Heribert Corn

Überschaubarer Gruselfaktor

Kolnhofer erklärt mir, was ein Schaustellergehilfe so zu tun hat. Sie führt mich durch die Geisterbahn und zeigt die Abkürzungen, wie man schneller durchkommt. Sollte nämlich einmal ein Wagen während der Fahrt steckenbleiben und es staut sich auf der Geisterbahn, muss man schnell bei den Fahrgästen sein, um sie bei Licht zügig hinauszubegleiten. "Im Sommer bei Vollbetrieb kann das mitunter vorkommen", sagt die Schlossherrin.

Zu Panik- und Angstattacken sei es aber noch nie gekommen. Wohl auch, weil der Gruselfaktor überschaubar ist. Es zischt, ächzt, stöhnt, knurrt und schreit zwar immer irgendeine Figur hier herinnen, aber selbst Weichgesottenen jagt das nur kleine Schauer über den Rücken. "Wir wollen ja niemanden traumatisieren." Das Figureninventar ist übrigens ein guter Mix aus alt und neu. Die Bahn wird immer weiterentwickelt und auf einen aktuellen Stand der Technik gebracht, ohne dabei die Schauder-DNA zu zerstören. "Das Original soll immer erlebbar und spürbar bleiben", sagt Kolnhofer.

Es ist wohl dieser liebevolle, softe Horrortrash, der das Geisterschloss immer wieder zu einer beliebten Kulisse macht. Kolnhofer erzählt, dass Unternehmen regelmäßig die Geisterbahn anmieten, um hier Teambuilding-Seminare abzuhalten. Und im Laufe der Jahre wurden hier zahlreiche Filme und Dokus gedreht. Sogar James Bond in Gestalt des halbfaden Timothy Dalton besuchte den Prater-Spuk-Hotspot. "Die riesige Zombie-Frankenstein-Figur an der Frontfassade hat das Bond-Filmteam angefertigt und hiergelassen", erzählt sie. Dieses klobige Monster an der Schlosswand ist ein beliebtes Fotomotiv bei Touristen. Auch bei denen, die am Geisterschloss lieber vorbei- als hereinspazieren. "Das eigentliche Maskottchen der Bahn ist aber unser sprechender Gorilla an der Fassade", klärt Kolnhofer auf und zeigt in einem kleinen Raum hinter der Registrierkasse, wo die Knöpfe sind, die das Geisterschloss zum Spuken und den Gorilla zum Sprechen bringen. Der Menschenaffe redet im schönsten Wienerisch, hat aber auch noch einen weiteren Trick zur Steigerung der Aufmerksamkeitsökonomie auf Lager. Er schifft auf Knopfdruck Passanten an. Heute aber nicht. Seine Blase ist noch nicht gefüllt. Außerdem nieselt es. Und Passanten sind auch Mangelware.

Geisterbahn: Interieur
Ein Knochenjob.
Heribert Corn

Erst anlocken, dann erschrecken

Kommen welche vorbei, liegt es an den Schaustellergehilfen, um sie zu werben. "Du musst die Leute ansprechen, anlocken und Interesse wecken. Aber bitte charmant und auf keinen Fall offensiv oder gar penetrant", erklärt Kolnhofer den Code of Conduct fürs Geisterschloss. Na dann. Drei Teenager, offensichtlich Schulschwänzerinnen, wollte jedenfalls schon einmal nicht in die Geisterbahn.

Katja Kolnhofer gibt mir aber trotzdem 200 Euro in kleinen Scheinen und weiht mich in die Geheimnisse der Registrierkasse ein. Vier Euro kostet eine Fahrt für Erwachsene, 2,50 für Kinder. Sie zeigt mir auch, wie man die Wagen auf die Reise in die Geisterbahn schickt. Dazu muss man mit dem Fuß auf den vorderen von zwei Buzzern am Boden drücken. Mit dem hinteren Buzzer holt man den nächsten Wagen nach vor. Sind Fahrgäste unterwegs, muss man sie im Auge behalten. Ein Splitscreen zeigt das Geschehen im Schloss. Nähern sich die Fahrgäste dem Ende der Strecke, heißt es hurtig zum Ausgang sprinten. Hier ist ein weiterer Splitscreen angebracht – aber was noch viel wichtiger ist: Hier nimmt man auch eine sehr hässliche Gummimaske in die Hand und lauert, bis der Wagen aus der Geisterbahn kommt. Ist es so weit, fuchtelt man den Fahrgästen mit der schrecklichen Larve kurz vorm Gesicht herum und macht laut: "Buhuuu!", oder "Grrrrr!", oder "Ughaaa!" oder gibt einen anderen gespenstischen Laut von sich. Auch wichtig: "Kinder werden nicht erschreckt, die haben eh schon Angst."

Übung macht den Meister

Ginge es auch anders? Manchmal werden Fahrgäste in der Bahn erschreckt. Dann leuchtet man ihnen mit einer Taschenlampe überraschend ins Gesicht, oder man tippt sie an der Schulter an, wenn sie vorbeifahren. Davon kommt man aber mehr und mehr ab, wie Kolnhofer erzählt. "Fahrgäste wollen das einfach nicht mehr." Die Chefin macht auch selbst hin und wieder das Schreckgespenst. "Wenn ich einen anstrengenden Tag oder ein wenig schlechte Laune habe, erschrecke ich gerne Fahrgäste. Das entspannt und heitert auf."

Blöderweise fehlt es an diesem Vormittag an Fahrgästen zum Erschrecken. Geübt muss aber trotzdem werden. Meine zwei neuen Kollegen Michael und Nenad fahren daher eine Runde. Ich schick sie per Fußbuzzer auf die Reise und warte dann am Ausgang mit der Maske in der Hand. Als die Schwingtür dann erwartbar, aber doch sehr plötzlich aufschnellt, erschrecke ich mich fürchterlich. Das ist, nun ja, nicht ganz optimal gelaufen. Vielleicht doch einen anderen Plan B ins Auge fassen. (Manfred Gram, 13.3.2024)