Die Suche nach einem aparten Apfelbäumchen für das Foto rund ums Wiener Café Dommayer glückt nicht. Gerhard Höllinger nimmt es ebenso gelassen wie den unaufhörlich prasselnden Regen.

Gerhard Höllinger: "Die sexy Kultur der Start-ups hätte man sich vor 25 Jahren nur erträumen können."
Regine Hendrich

STANDARD: Sie haben einst Milch vermarktet. Heute verkaufen Sie direkt gepressten Apfelsaft. Was können Äpfel, was Milch nicht kann?

Höllinger: Milch ist eines der politischsten Lebensmittel überhaupt. Sie wird mit zehn Prozent besteuert, Fruchtsaft mit 20 Prozent. Dieser finanzielle Nachteil für Äpfel ist eklatant. Für bedenklich halte ich auch die große Vermarktung von Schulmilch, vor allem wenn die Industrie die Trickkiste auspackt und sie mit Kakao, Zucker und Aromen aufpeppt. Kinder trinken etwas, das sie vielleicht gar nicht brauchen oder vertragen.

STANDARD: Vielerorts hat Schulsaft Schulmilch abgelöst. Fünf Millionen Packerln im Jahr liefern Sie. Stößt das der Milchwirtschaft sauer auf?

Höllinger: Wir sind unterhalb ihrer Wahrnehmungsschwelle. Fragwürdig wird es, wenn Bauern Saftkonzentrat kaufen, in Glasflaschen füllen und dieses Schulen als Apfelsaft zu absurd hohen Preisen verkaufen.

STANDARD: Ihrem Sprung ins Unternehmertum ging ein Karriereknick in einem Molkereikonzern voraus. Fiel es Ihnen schwer, diesen wegzustecken?

Höllinger: Ich hatte einen Traumjob. Aber ich hatte auch eine selbstständige Ader, zum Glück hat es funktioniert. Auf dem Markt wurde ich erst milde belächelt, dann respektiert – und gleich drauf bekämpft. Die Phase dazwischen war sehr kurz. (lacht)

STANDARD: Ihr erstes Büro war das Wohnzimmer, der Balkon das Lager. Ließ Ihnen Ihre Familie freie Hand?

Höllinger: Meine Frau hat mich unterstützt. Mein Sohn war gerade ein Jahr alt und musste das Zimmer verlassen, weil quengelige Kinder beim Telefonieren mit Supermärkten nicht gut ankamen. Zu den Kunden bin ich mit meinem alten Golf. Homeoffice von heute wäre damals das Paradies gewesen.

STANDARD: Österreichs Saftproduktion ist fest in Hand von Rauch, Pfanner und Spitz. Hatten Sie nie Angst, dazwischen zerrieben zu werden?

Höllinger: Laufend. Ich hatte ja auch kein Geld, um auf dem Markt aktiv zu werden. Ich habe jeden Fehler gemacht, den man machen kann. Aber als Rauch damit begann, naturtrüben Apfelsaft zu vermarkten, waren wir darin schon sattelfest. Wir kommen heute mit allen Herstellern gut aus. Unsere größten Mitbewerber sind vielmehr die Eigenmarken des Handels.

STANDARD: Zurück zum Ursprung, Ja!Natürlich, Natur pur: Der Markt für Biosäfte ist hochkonzentriert. Ein Kampf mit ungleichen Waffen?

Höllinger: Händler haben in ihren Filialen Steuerungsmöglichkeiten, die Produzenten fehlen. Eigenmarken können mit anderen Aufschlägen kalkuliert werden als fremde Marken. Mit begrenzter Regalfläche lässt sich alles argumentieren.

1,8 Millionen Liter Apfelsaft: Gerhard Höllinger investierte in der Steiermark in 50 Lagertanks. "Unser Kunden verstehen, dass jeder Saft anders schmecken kann."
Höllinger

STANDARD: Ein Drittel der Lebensmittel im Handel wird rabattiert verkauft. Wer zahlt diese Aktionen?

Höllinger: Der Lieferant ist immer dabei. Der Handel hätte viele Möglichkeiten, Preispolitik zu machen. Diese nur über Rabatte zu spielen, ist zu wenig. An der Uni gäbe es dafür ein glattes Nicht genügend.

STANDARD: Supermarktketten kaufen Äpfel zusehends direkt bei Erzeugern und suchen sich für die Verarbeitung Dienstleister. Das hat für Wirbel unter Saftproduzenten gesorgt. Verlieren diese damit Zugkraft und Marge?

Höllinger: Das ist ein heikles Thema, weil die Beschaffung von Bioobst zu unseren Kernkompetenzen zählt.

STANDARD: Wie schwierig war es, Platz in Supermarktregalen zu finden?

Höllinger: Ich kam über die Bäcker in den Handel. Erst zu Meinl, dann zu Merkur. Es war mühsamst. Die sexy Kultur der Start-ups, denen Supermärkte einen Regalmeter zur Verfügung stellen, hätte man sich vor 25 Jahren nur erträumen können.

STANDARD: Die öffentliche Hand ist bei Bio stark säumig. Hätten Sie sich mehr von Bioquoten erwartet, zu denen sich die Bundesbeschaffung verpflichtete?

Höllinger: Auf jeden Fall. Wir hatten einst Gespräche bei der Agrarmarkt Austria. Kredenzt wurde Fruchtsaft von Industrieherstellern – nicht von Bauern, für die tausend Flaschen sicher ein schöner Auftrag gewesen wäre. Aber das war jedem wurscht. Es fehlte das Mindset. Das gilt für den gesamten öffentlichen Bereich.

Gerhard Höllinger: "Die EU-Bioverordnung treibt Lieferanten in die Enge, während in der konventionellen Produktion fast alles erlaubt ist."
Regine Hendrich

STANDARD: Sie exportieren Biosäfte in mehr als 45 Länder. Welche Spielregeln gibt es in Märkten wie Saudi Arabien, Dubai oder Mauritius?

Höllinger: Spanien und Portugal fehlen Äpfel. Der wilde Apfel ist daher gefragt. Im arabischen Raum gibt es kaum Bio, aber kaufkräftiges Publikum. Es braucht den Mut, Produkte arabisch zu deklarieren. Für mich war Pfanner hier immer ein Vorbild. Wir sind gezwungen, zu exportieren, allein um in vernünftigen Mengen einkaufen zu können. Der Welthandel und internationale Messen machen mir viel Spaß. Ich komme gerade aus Dubai. Es ist spannend, zu sehen, was man in welchen Märkten unternehmen könnte.

STANDARD: Man erzählt sich, dass Fruchtsäfte im arabischen Raum gern in Hauskellern vergoren werden...

Höllinger: Ich habe auf Basis dieser Legende sogar einmal selbst kleine Gärspunde erzeugt. Man konnte sie auf Traubensaftpackungen setzen, um sie dann in die Sonne zu stellen. Aber es hat niemanden interessiert. (lacht)

STANDARD: Konzentrat ist ein globales, Direktsaft ein regionales Produkt. Transportkosten wiegen bei naturtrüben Fruchstäften ungleich schwerer. Ein großer Wettbewerbsnachteil?

Höllinger: Wir waren die Ersten, die Direktsaft, den die Bauern seit Jahrhunderten produzieren, sichtbar gemacht haben. Es ist mir jedoch bis heute nicht gelungen, dass jeder, der Fruchtsaft kauft, weiß, was er kauft. Für Konzentrate werden den Äpfeln Saft, Mineralstoffe und Spurenelemente entzogen. Aber das kratzt offenbar keinen. Viele glauben immer noch, Direktsaft ist was Ähnliches.

Gerhard Höllinger: "Fragwürdig wird es, wenn Bauern Saftkonzentrat kaufen, in Glasflaschen füllen und dieses Schulen als Apfelsaft zu absurd hohen Preisen verkaufen."
Regine Hendrich

STANDARD: Sie produzieren Ihre Säfte gemeinsam mit dem steirischen Verarbeiter Ribes. Wie kam das?

Höllinger: Direktsaft braucht Tanklager. Wir pressen dort, wo uns 3500 Bauern ihr Streuobst liefern, teilweise sind es Kleinstmengen, von Bäumen hinterm Haus und ungespritzt. Nichts aus Plantagen, nichts Sortenreines. Die Mischung macht es aus. Unsere Kunden verstehen, dass jeder Saft anders schmecken kann.

STANDARD: Österreich ist in Europas Apfelproduktion ein Zwerg. Polen etwa expandiert mit riesigen Bioplantagen. Kaufen Sie auch im Ausland zu?

Höllinger: Unser steirischer Apfel ist zu 100 Prozent steirisch. Auch wenn es finanziell riskant ist, sich zu einer einzigen Region zu bekennen. Polnische Äpfel sind ja deutlich günstiger. Kein ausschließlich österreichisches Produkt sind unsere Bioäpfel, deren Säfte wir aber überwiegend exportieren.

STANDARD: Der Flaschenhals Ihres Geschäfts ist der Zugang zu Rohstoffen. Sind Bioäpfel knapp, zumal es drei Jahre braucht, um Plantagen von konventionell auf Bioanbau umzustellen?

Höllinger: Bio-Landwirtschaft wird immer schwieriger. Es fehlt an Unterstützung, vieles wird nicht honoriert. Das tun sich viele nicht mehr an. Auch kleine Biohändler sperren zu. Die EU-Bioverordnung treibt Lieferanten in die Enge, während in der konventionellen Produktion fast alles erlaubt ist.

STANDARD: Konventionelle Apfelplantagen etwa werden jährlich bis zu 30 Mal chemisch behandelt.

Höllinger: Wir kaufen bei normalen Ernten Streuobst. Und dieses wird auch konventionell nicht gespritzt.

Er sei gezwungen, zu exportieren, sagt Gerhard Höllinger: "Aber der Welthandel macht mir Spaß."
Regine Hendrich

STANDARD: Sie erzeugen auch Bio- Energydrinks. Was ist daran so reizvoll?

Höllinger: Wann wird Bio Unsinn? In der landwirtschaftlichen Urproduktion ist Bio wichtig. Bei Fertigpizzen stelle ich Bio infrage. Auch bei Energydrinks und Cola. Biohändler wollen jedoch konventionelle Produkte auch in Bioqualität führen. So gesehen hat es wieder Berechtigung.

STANDARD: Sie sind ein passionierter Segler. Wo ist die Gefahr Ihrer Erfahrung nach größer, Schiffbruch zu erleiden: auf hoher See oder als Unternehmer?

Höllinger: Achte ich beim Segeln zu wenig aufs Wetter, was mir passiert ist, gerate ich in einen Sturm. Davor habe ich großen Respekt. Als Unternehmer habe ich vor nichts Respekt. Man darf nur nichts verschlafen. Bedrohlich sind schleichende Fehler. Passen die Spannen nicht, muss ich auf der Hut sein. Meine Kosten nicht im Griff zu haben bedeutet Blindflug.

STANDARD: Sie haben einmal erzählt, Ihre Mutter hätte Ihnen nahegelegt, niemals Schulden zu machen. Haben Sie sich daran gehalten?

Höllinger: Nein. Das wäre bei einer Zinslandschaft wie vor vier Jahren auch ein schlechter Rat gewesen.

STANDARD: Wie schwierig ist es als Unternehmensgründer, sich aus dem Tagesgeschäft zurückzuziehen?

Höllinger: Ich bin altersangepasst anwesend und froh, gebraucht zu werden. Mit Produktentwicklungen mache ich ja den spannendsten Teil. Loszulassen fällt mir nicht schwer. Ich habe tausende andere Hobbys. (Interview: Verena Kainrath, 17.3.2024)