Grüne Bücher werden in Deutschland gerade genau unter die Lupe genommen - sind sie mit dem arsenhaltigen Schweinfurter Grün gefärbt?
Grüne Bücher werden in Deutschland gerade genau unter die Lupe genommen – sind sie mit dem arsenhaltigen Schweinfurter Grün gefärbt?
IMAGO/Guido Schiefer

Die Haptik von Papier, der Geruch der Tinte, die schöne Gestaltung! Alte Bibliotheken bringen Büchernarren ins Schwärmen, dabei lauert dort die Gefahr. Gleich mehrere deutsche Bibliotheken haben in den letzten Wochen Teile ihrer Bestände für das Publikum gesperrt. Zuerst waren 60.000 potenziell gefährliche Bände in der Universitätsbibliothek Bielefeld nicht mehr verfügbar, auch in Bibliotheken in Siegen, Kaiserslautern, Saarbrücken und Düsseldorf steht man inzwischen oder schon bald statt vor vollen Regalen vor verschlossenen Türen, während tausende Bände aus den Lesesälen verbracht werden.

Man wird in Zeiten, da Bibliotheken in den USA von rechts zunehmend unter Druck kommen, aber auch von links immer wieder in Büchern stehende Begriffe moniert werden, bei solchen Meldungen sofort hellhörig. Identitätspolitik spielt diesmal aber keine Rolle. Der Grund ist die im 19. Jahrhundert beliebte Farbe Schweinfurter Grün. Die hat neben ihrem kräftigen, leuchtenden und haltbaren Ton nämlich den Nachteil, dass sie giftige Arsenverbindungen enthält. "Giftgrün" darf man hier wörtlich nehmen.

Beliebter Problemstoff

Einmal irrtümlich zu einem vergifteten Buch zu greifen, mag seit Umberto Ecos gelehrigem Wälzer "Der Name der Rose" von 1980 eine Horrorvorstellung für Vielleser sein. Profibüchernarren ist die Krux mit gesundheitsschädlichen Farbpigmenten indes eigentlich schon lange bekannt. Denn nicht das Schweinfurter Grün allein kann zum Problem werden, wenn Pigmente über die Haut oder die Atemluft in den Körper gelangen. Immer wieder wurden im Lauf der Geschichte Farben gemischt und später als gefährlicher Irrtum später wieder aus dem Verkehr gezogen, etwa das einst bei Künstlern beliebte Bleiweiß.

Der raketenhafte Aufstieg des eher mittelmäßig klingenden Problemstoffs begann schon bald nach seiner Entdeckung 1805 durch den Österreicher Ignaz von Mitis. Daher und wegen der zuerst in Kirchberg am Wechsel beheimateten Produktion trägt die Farbe auch die frühen Namen "Mitisgrün" und "Kirchberger Grün". Ab 1814 wurde die industrielle Produktion im großen Stil in Schweinfurt aufgenommen und die Modefarbe zum Inbegriff des bürgerlichen Lebensstils. 1839 ließen sich aber bereits Warnungen vernehmen, ganze Zimmer damit anzustreichen. Die Befürchtungen wurden kurz darauf wissenschaftlich belegt.

Unkrautvernichtung

Trotzdem fand das Schweinfurter Grün noch weiter Verbreitung. Nicht nur bei der Gestaltung von Buchschnitten, Einbänden oder Illustrationen, sondern darüber hinaus auch zur Lackierung von Kinderspielzeug und Gebrauchsgegenständen oder zum Färben von Stoffen. Anfang der 1880er-Jahre erst wurde der Einsatz der Farbe in Deutschland gesetzlich verboten. Das neue Einsatzgebiet musste aber ohnehin die letzten Nostalgiker skeptisch machen: als Pflanzenschutzmittel zur Unkrautvernichtung in der Landwirtschaft.

Es kann nun also niemand, der professionell mit alten Büchern zu tun hat, sagen, er sei überrascht. Ende Februar äußerte sich aber die Kommission "Bestandserhaltung im Deutschen Bibliotheksverband" warnend zum "Umgang mit potenziell gesundheitsschädlichen Pigmentanteilen" in "historischen Bibliotheksbeständen" und brachte damit die aktuelle Bücherskepsis ins Rollen. Als Gefahr infrage kommende Bände werden jetzt geprüft. Nicht lesen ist ja auch keine Lösung. (Michael Wurmitzer, 12.3.2024)