Güsse von Maulwurfgängen holen Verborgenes an die Oberfläche.
Güsse von Maulwurfgängen holen Verborgenes an die Oberfläche.
Bildrecht, Wien 2024/Manuel Carreon Lopez

Regale oder Schaukästen sucht man vergeblich im Ausstellungsraum des Belvedere 21. Stattdessen liegen die Exponate wie willkürlich ausgestreut auf dem Boden. Der Kontext erschließt sich beim Betrachten der unförmigen und verzweigten Gebilde nicht sofort. Womöglich sind es Naturerzeugnisse? Das würde die Ausstellung (Kuratierung: Verena Gamper) als Beitrag zur Klima Biennale Wien immerhin nahelegen.

Oder geht es um Schlimmeres, um Umweltprobleme? Denn die knochengrauen bis pechschwarzen Objekte bieten einen trostlosen ­Anblick, erinnern an ein verdorrtes Korallenriff. So falsch liegt man mit dieser Vermutung gar nicht. Mit Soil Fictions (dt. Bodenfiktionen) nähert sich Bildhauerin Angelika Loderer dem Boden und dem gefährdeten Ökosystem. Der Mensch glänzt ausnahmsweise durch Abwesenheit. Nicht jedoch die verheerenden Folgen, die unbedachte Bebauung oder rücksichtsloser Straßenverkehr auf die Tier- und Pflanzenwelt haben.

Bei ihrer Installation hatte die gebürtige Steirerin ein archäologisches Grabungsfeld im Sinn. Sie platziert diverse Formen und Materialien nebeneinander und misst ihnen keine priorisierende Gewichtung bei. Als Ausstellungsgegenstände fungieren Abdrücke von tierischen Behausungen, Nistplätzen oder Verkehrsopfern. Verlassene Maulwurfgänge mitsamt Wurzeln und Erdklümpchen, Brutzellen der Mörtelwespe oder Baumlöcher, die von Spechtschnäbeln ausgehöhlt wurden, dienten der Künstlerin als Gussformen. Mit Wachs, Lehm, Metall oder Gips transferierte sie verborgene Lebensräume in die sichtbare Sphäre. Bronzefiguren entpuppen sich als überfahrener Igel, Spatz oder plattgewalzte Schlange.

Geplanter Kontrollverlust

Vom Wandel begriffen sind Glasflaschen und Kassettenhüllen, die mit Myzel, also dem Geflecht aus Pilzfäden, gefüllt sind. Der wachsende Pilz entreißt der Künstlerin die Kontrolle über dessen Erscheinungsbild. Erfrischend ist, dass sich der Mensch in dieser Ausstellung nicht aufdrängt.

Freilich hat ein solcher die Exponate aufgespürt und für die Ansicht präpariert, er überreicht das Zepter aber der Natur als wahrem Urheber. Von ihm bleiben bestenfalls Relikte wie ein zerbrochenes Schwert. Angelehnt an ein archäologisches Fundstück verweist jenes auf bewaffnete Konflikte rund um Landbesitz. In diesem Zusammenhang kommt dem Boden neben seiner Funktion als Lebensraum auch die des Zeitspeichers zu.

Humane Zivilisation prägt unübersehbar das Landschaftsbild und verdrängt allzu oft das meist unsichtbare Habitat kleinerer Lebewesen. Wie in Soil Fictions sollten sich Menschen – auch in der Realität – zurücknehmen und das Erdreich im Einklang mit anderen Organismen nutzen. Das hat Angelika Loderer auf abstrakte Weise sehr deutlich gemacht. (Patricia Kornfeld, 12.3.2024)