Spar sieht den Bogen in Ungarn überspannt und hat Beschwerde in Brüssel eingereicht. Es geht um die Regeln des Wettbewerbs, um Recht auf Nichtdiskriminierung, auf Niederlassungsfreiheit und freien Warenverkehr. Der österreichische Handelskonzern wirft Ungarn vor, wesentliche Grundrechte krass zu verletzen.

Spar expandiert seit Mitte der 90er-Jahre in Ungarn. Mit 624 Filialen setzt der Konzern dort mehr als 2,3 Milliarden Euro um.
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Spar klagt in einer Stellungnahme, die dem STANDARD vorliegt, über Preisobergrenzen, überhöhte Steuersätze, ein Verbot von Umstrukturierungen, fehlende Begründungen und mangelnde Rechtssicherheit. "Der Europäische Gerichtshof hatte noch nie Gelegenheit, sich mit einem vergleichbaren Mix restriktiver Maßnahmen zu befassen."

Ungarns Protektionismus spiegle das Bestreben des Landes wider, ausländische Konkurrenten entweder aus dem Lebensmitteleinzelhandel zu verdrängen oder sie unter Druck zu setzen, Anteile an ungarische Unternehmen abzugeben, hält Spar in einem Positionspapier fest. Die ungarische Regierung gefährde damit das ordnungsgemäße Funktionieren des EU-Binnenmarktes.

Protektionismus

Ungarn pflegt einen Wirtschaftskurs, der internationale Investoren hart vor den Kopf stößt. Strategische Branchen, von Banken über Medien bis zum Energiesektor, sollen in ungarische Hände gelangen. Der rechtspopulistische Regierungschef Viktor Orbán machte nie einen Hehl daraus, den Anteil ausländischer Unternehmen stark reduzieren zu wollen. Hinter vorgehaltener Hand ist von beispiellosen Schikanen und kalter Enteignung die Rede.

Dorn im Auge ist Orbán vor allem der Lebensmitteleinzelhandel. Rund zwei Drittel des Geschäfts werden von internationalen Konzernen wie Lidl, Aldi, Penny, Tesco und Auchan gesteuert. Spar expandiert seit Mitte der 90er-Jahre in Ungarn und zählt dort mit mehr als 620 Filialen und 2,3 Milliarden Euro Umsatz zu den Marktführern.

2012 gab die belgische Delhaize-Gruppe infolge höherer Steuern und Abgaben hunderte Standorte an die ungarischen Handelsketten Coop und CBA ab. Im Vorjahr gingen 47 Prozent der Anteile der Auchan-Hypermärkte von französischen in ungarischen Besitz über. Auchan war in Ungarn zuvor in die Verlustzone geschlittert.

Sondersteuern

Orbán kritisierte internationale Lebensmittelkonzerne als Krisengewinner, nachdem Ungarns Wirtschaft im Zuge der Corona-Pandemie und Russlands Überfall auf die Ukraine zusehends unter Druck gekommen war. 2021 führte er eine spezielle Einzelhandelssteuer für die größten Steuerzahler des Landes ein, die seither schrittweise angehoben wurde. Da Steuergesetze Landessache sind und nicht von der EU reglementiert werden, sahen Händler bisher wenig Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.

2024 erreichte der Steuersatz für Supermarktbetreiber mit mehr als 252 Millionen Euro Jahresumsatz stattliche 4,5 Prozent. Zum Vergleich: Die durchschnittlichen Gewinnspannen der Branche belaufen sich auf rund zwei Prozent.

Dank eines Franchisesystems profitieren viele ungarische Supermarktketten von deutlich niedrigeren Steuerklassen. Internationalen Konzernen hat es Orbán vorsorglich untersagt, ihre Unternehmensstrukturen zu verändern.

Preisbremsen

Den Kampf gegen die Teuerung sagte Ungarn 2022 mit Preisbremsen für einzelne Lebensmittel an, obwohl Ökonomen vor kaum messbaren Einsparungen für einkommensschwächere Haushalte warnten. Der Schuss ging nach hinten los. Deckelung und Extrasteuer führten dazu, dass Händler die Preise anderer Produkte erhöhten. Ungarn bezahlte dafür mit einer Lebensmittel-Rekordinflation von 46 Prozent.

Die Teuerung sank, die Auflagen blieben – zumindest für internationale Konzerne. Von Inspektionen und damit drohenden Geldstrafen betroffen seien hauptsächlich Einzelhändler in ausländischem Besitz, was deren Handlungsspielraum weiter einschränke, zieht Spar Bilanz.

Der Konzern verbuchte in Ungarn 2022 nach Gewinnen im Jahr zuvor einen Verlust von knapp 33 Millionen Euro. Spar beziffert die Sondersteuern für 2022 mit 67 Millionen Euro.

Steigende Verluste

2023 summierte sich die Steuerlast durch die staatlichen Eingriffe auf 90 Millionen Euro. Der Verlust sei auf knapp 50 Millionen Euro gestiegen. Das geht aus der bei der EU eingereichten Beschwerde hervor, die der Financial Times vorliegt. Brüssel müsse intervenieren, appelliert Spar darin, die Auswirkungen auf die Geschäfte seien "verheerend".

Ideen für immer neue Regulierungen gehen Ungarn nicht aus. Seit März müssen große Supermarktketten Preiswarnungen für Produkte anbringen, deren Verpackungsinhalt zwischen 2020 und Mitte 2023 geschrumpft ist. Wer keinen Plan zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle vorlegt, muss Spar zufolge mit Sanktionen rechnen, die bis zu 0,6 Prozent der Einnahmen des abgelaufenen Geschäftsjahres ausmachen. Die Verordnungen seien "eindeutig diskriminierend und selektiv".

Schlechte Erfahrungen mit Ungarn machten auch andere österreichischen Konzerne. Nach der Verstaatlichung der Versorgungswirtschaft drohte Saubermacher erheblicher Schaden. Das Land drängte private Entsorger aus dem Geschäft mit kommunalem Abfall. Saubermacher sah sich gezwungen, die ungarische Tochterfirma an die Stadt Nagykanizsa zu verkaufen. (Verena Kainrath, 13.3.2024)