Das Bild zeigt ein Smartphone mit TikTok-Logo vor dem Hintergrund einer Flagge der USA
Tiktok soll in den USA verboten werden. Der Mutterkonzern Bytedance steht unter Verdacht, der chinesischen Regierung Zugriff auf Nutzerdaten zu ermöglichen.
AFP/OLIVIER DOULIERY

Im US-Repräsentantenhaus wurde am Mittwoch ein Gesetz verabschiedet, das das chinesische Unternehmen Bytedance zwingen soll, die äußerst beliebte Video-App Tiktok zu verkaufen. In China ist man wenig begeistert, Peking droht Washington mit "Ärger" und kritisiert das "Mobbingverhalten" durch die USA. Hintergrund für den radikalen Schritt ist die Befürchtung, Tiktok könnte die nationale Sicherheit der USA gefährden, sich Zugang zu den Daten der amerikanischen User verschaffen und im laufenden Wahlkampf Desinformationskampagnen starten. Angesichts dieser verhärteten Fronten könnte also die Verkaufsanordnung effektiv auf einen Bann der App hinauslaufen.

Video: Druck auf Tiktok in den USA wächst.
AFP

Frage: Ist die Zustimmung zur Lex Tiktok überraschend?

Antwort: Nein, dass die gesetzgebende Kammer der USA den Entwurf verabschiedet, hat sich bereits im Vorfeld abgezeichnet. Selbst der Direktor des FBI und die Direktorin der nationalen Nachrichtendienste haben mehrfach betont, dass die Gefahr bestünde, Tiktok könnte auf Pekings Geheiß Daten nach China transferieren oder auf Anweisung der Kommunistischen Partei Chinas Fake-News-Kampagnen in den USA starten.

Frage: Stand in den USA nicht schon einmal ein Verbot von Tiktok im Raum?

Antwort: Bereits im Jahr 2020 versuchte der damalige Präsident Donald Trump, die Social-Media-Plattform per Dekret zu verbieten. Dies wurde später von den Gerichten blockiert, nachdem Tiktok dagegen geklagt hatte. Die Trump-Administration wollte auch einen Deal vermitteln, wonach die US-Konzerne Oracle und Walmart "aus Gründen der nationalen Sicherheit" eine große Beteiligung an Tiktok hätten übernehmen sollen, ein Verkauf kam jedoch nicht zustande. Unter Biden gab es bislang noch keinen expliziten Versuch, Tiktok zu verbieten, die Überprüfung der Plattform wurde seit der Trump-Ära jedoch durch einen geheimen Ausschuss fortgesetzt. Im vergangenen Monat bestätigte das Weiße Haus noch, dass die Prüfung andauere.

Andere Bemühungen von Gesetzgebern, ein landesweites Verbot zu erlassen, wurden im vergangenen Jahr durch die Lobbyarbeit von Tiktok sowie von Influencern und kleinen Unternehmen, die die Plattform nutzen, ins Stocken gebracht. Die American Civil Liberties Union und einige Gruppen, die sich für digitale Rechte einsetzen, haben sich aus Gründen der Rede- und Meinungsfreiheit gegen ein Tiktok-Verbot ausgesprochen und argumentiert, dass der jüngste Gesetzesentwurf des Repräsentantenhauses die Rechte von Amerikanern verletzen würde, die die App für Informationen, Interessenvertretung und Unterhaltung nutzen.

Frage: Wie reagiert Tiktok auf das geplante Verbot?

Antwort: Wenig überraschend setzt Bytedance alle Hebel in Bewegung, um dagegen anzukämpfen. Letzte Woche hat Tiktok seine Nutzer in den USA bereits über Push-Benachrichtigungen dazu aufgefordert, ihre Abgeordneten bezüglich eines möglichen Verbots der App zu kontaktieren. Die Benachrichtigungen warnten davor, dass die Regierung möglicherweise das verfassungsmäßige Recht auf freie Meinungsäußerung von 170 Millionen Amerikanern einschränken könnte. Politiker kritisierten Tiktok dafür, dass es versuche, in den Gesetzgebungsprozess einzugreifen.

In einer offiziellen Stellungnahme nach der Verabschiedung des Gesetzesentwurfs meldete sich Tiktok-Chef Shou Zi Chew erneut zu Wort, dass ein Verbot von Tiktok die Macht auf wenige andere Social-Media-Unternehmen konzentrieren würde. Chew betonte außerdem, dass ein Wegfall von Tiktok auch hunderttausende amerikanische Arbeitsplätze und Kreative bedrohen sowie kleine Unternehmen schädigen würde. "Sorgt dafür, dass eure Stimmen gehört werden", fordert Chew die Userinnen und User auf, selbst aktiv zu werden. "Teilt eure Videos mit euren Freunden, Familien, Verwandten und Senatoren."

Frage: Wie reagieren Content-Creator auf das geplante Verbot?

Antwort: Wenn das vom Repräsentantenhaus vorgeschlagene Gesetz umgesetzt wird, könnte dies nicht nur negative Auswirkungen für kleine Unternehmen haben, die Tiktok für Marketingzwecke oder für den Verkauf ihrer Produkte über den Tiktok-Shop nutzen. Vor allem würden Influencerinnen und Influencer, die viel Zeit investiert haben, um auf Tiktok eine große Fangemeinde aufzubauen und die auf Einkünfte aus Werbeverträgen oder andere Einkommensquellen angewiesen sind, ebenfalls betroffen sein.

Content-Creator auf Tiktok fühlen sich jedenfalls von der Geschwindigkeit überrumpelt, mit der der Kongress Maßnahmen ergreift, um die Plattform einzuschränken, wie "Techcrunch" berichtet. Jules Terpak etwa, eine prominente Gen-Z-Influencerin, zeigte sich überrascht, dass der Gesetzgebungsprozess so schnell gehen könne. Nachdem das Gesetz vom Repräsentantenhaus angenommen wurde, haben viele daher begonnen, ihre Community zu mobilisieren und auf die Ernsthaftigkeit der Situation hinzuweisen.

Zum Beispiel hat Noah Glenn Carter, ein Influencer mit über acht Millionen Followern, ein Video veröffentlicht, in dem er seine Zuschauer dazu auffordert, ihre Senatoren zu kontaktieren. Tiktok selbst hat viele Influencer nach Washington eingeflogen, um an Lobbyingaktionen gegen den Gesetzesentwurf teilzunehmen, da ein Verbot der Plattform sowohl ihr persönliches als auch ihr berufliches Leben erheblich beeinträchtigen würde.

Frage: Ist das Gesetz jetzt fix? Was passiert als Nächstes?

Antwort: Noch ist nichts final entschieden. Der Entwurf muss nun noch vom Senat angenommen und anschließend von Präsident Joe Biden unterzeichnet werden. Der US-Präsident hat bereits angekündigt, dass er das tun werde, sollte das Gesetz von beiden Kammern abgesegnet werden. Aber ob der Senat tatsächlich zustimmt, ist fraglich.

Einige Senatoren haben bereits Bedenken gegen den Entwurf in seiner aktuellen Form geäußert. Insbesondere die namentliche Nennung von Tiktok und Bytedance im Gesetzestext stößt auf Kritik, da befürchtet wird, dies könnte gegen eine Verfassungsregel verstoßen, die es dem Kongress untersagt, Gesetze zu erlassen, die sich gegen spezifische Einrichtungen richten. Die Befürworter des Gesetzes sehen hierin jedoch kein Problem.

Frage: Was würde das Gesetz für Bytedance bedeuten?

Antwort: Sollte das Gesetz wirklich so beschlossen werden, dann muss der Mutterkonzern einen Käufer für Tiktok finden, mit dem auch die US-Regierung zufrieden ist. Außerdem müsste beim Verkauf garantiert sein, dass Bytedance keinerlei Kontrolle mehr über Tiktok hat. Findet Bytedance keinen Käufer oder kommt der Aufforderung nicht nach, dann wäre es für App-Stores rechtswidrig, die App weiterhin in den Vereinigten Staaten anzubieten. Jedes Unternehmen, das die Tiktok-App zum Download anbietet, würde sich strafbar machen. Tiktok würde also binnen kürzester Zeit aus dem App-Stores von Google und Apple fliegen.

Frage: Kann man Tiktok einfach so verkaufen?

Antwort: Ein Verkauf ist wahrscheinlich schwierig. Bytedance würde wohl versuchen, nur den amerikanischen "Anteil" zu verkaufen. Peanuts sind das aber nicht: Allein in den USA nutzen 170 Millionen Menschen die App. Ob sich dafür aber ein Käufer findet, ist fraglich. Tech-Riesen wie Microsoft, Google oder Meta könnten sich die Summen wohl leisten, aber auch hier hat die US-Regierung ein Wort mitzureden. Zuletzt war die Biden-Administration sehr dahinter, dass Big Tech nicht noch größer wird. Es ist also fraglich, ob die Regierung einem Verkauf von Tiktok an beispielsweise Google überhaupt zustimmt, wie die "New York Times" schreibt. Bytedance könnte Tiktok aber auch durch einen Börsengang ausgliedern.

Frage: Tiktok ist derzeit eine der weltweit erfolgreichsten Apps, das bedeutet wohl, dass damit viel Geld verdient wird?

Antwort: Nein, das heißt es nicht. Bytedance selbst nennt zwar keine Zahlen, Investoren gehen aber davon aus, dass Tiktok jedes Jahr mehrere Milliarden Dollar Verlust schreibt, bei einem geschätzten Umsatz von 20 Milliarden Dollar. Grund dafür sind nicht zuletzt die riesigen Kosten für den Betrieb eines solchen Videodiensts, die man mit Werbeeinnahmen bisher nicht auffangen kann – im Gegensatz zu Konkurrenten wie Youtube. Das bedeutet übrigens auch, dass der Betrieb von Tiktok derzeit indirekt über den Erfolg des chinesischen Pendants Douyin finanziert wird. Dieses ist als größte Werbe- und E-Commerce-Plattform des Landes nämlich extrem profitabel, der operative Gewinn soll allein in den ersten neun Monaten 2023 bei fast 23 Milliarden Dollar gelegen sein.

Frage: Welche Rolle spielt Donald Trump jetzt?

Antwort: Der ehemalige Präsident Donald Trump hat sich in den letzten Tagen überraschend gegen die Tiktok-Gesetzgebung ausgesprochen. "Trumps Opposition ist ein bedeutender neuer Gegenwind für dieses Gesetz", sagt Paul Gallant, ein politischer Analyst bei TD Cowen gegenüber der "New York Times". "Viel wird davon abhängen, ob er bei diesem Tiktok-Gesetz genauso auf die Matte geht wie bei dem Gesetz zur Grenzsicherung." Gruppen, die sich für die freie Meinungsäußerung einsetzen, haben sich ebenfalls gegen den Gesetzesentwurf ausgesprochen, da sie befürchten, dass ein Verbot die Meinungsäußerung unterbinden würde.

Frage: Wird Tiktok im Fall eine Verbots gleich verschwinden?

Antwort: Die App selbst würde wohl noch einige Zeit lang auf den Smartphones der Nutzerinnen und Nutzer weiter funktionieren. Sie kann aber nicht mehr mit Updates versorgt werden, was wohl dazu führen würde, dass Tiktok irgendwann nicht mehr funktionieren wird. Theoretisch hätten Apple und Google sogar die Möglichkeit, die App von außen von Smartphones zu entfernen. Ob man wirklich zu solch einer harten Maßnahme greifen will oder gar muss, wird schlussendlich aber davon abhängen, wie sich die aktuelle Situation weiterentwickelt.

Frage: Wer würde von einem Verbot profitieren?

Antwort: Sollte Tiktok verboten werden, könnten vor allem Google und Meta, in Form von Youtube und Instagram, davon profitieren. Laut Mike Proulx, dem Vizepräsidenten und Forschungsdirektor bei Forrester, würde ein solches Verbot praktisch einer Monopolstellung gleichkommen. Wäre Tiktok nicht mehr in den USA verfügbar, blieben als Hauptalternativen konkret nur noch Youtube Shorts und Reels übrig. Was wahrscheinlich dazu führen würde, dass die genannten US-Unternehmen den Großteil der Werbeeinnahmen für sich gewinnen könnten, die bisher Tiktok zuflossen.

Frage: Kann man Userinnen und User überhaupt daran hindern, die Plattform zu benutzen?

Antwort: Selbst wenn die Lex Tiktok in Kraft treten sollte, lässt sich die Plattform nicht von einem Tag auf den anderen einfach "ausschalten". Es stimmt zwar, dass der Zugang danach erheblich eingeschränkt würde und vermutlich ein großer Teil der Nutzerinnen und Nutzer wegfallen würde. Wer aber Tiktok (oder andere "verbotene" Plattformen) unbedingt nutzen möchte, kann dies weiterhin tun: über Virtual Private Networks (VPN), die den Datenverkehr über Rechner in anderen Ländern umleiten.

Solche VPNs lassen sich ohne hohen Aufwand nutzen, um den eigenen Standort zu verschleiern und derartige Einschränkungen zu umgehen. Für die US-Regierung könnte es zudem schwierig werden, gegen dieses Verhalten vorzugehen, da viele ausländische VPN-Dienste nicht den US-Gesetzen unterliegen.

Frage: Und wie sieht es in Europa mit einem Verbot aus?

Antwort: Auch in Europa stellte man Bytedance in der Vergangenheit schon die Rute ins Fenster. Zuletzt drohte die EU-Kommission im Jänner 2023 ausdrücklich mit einem Tiktok-Verbot. Aufhänger waren die sogenannten Tiktok-Challenges: Es könne nicht sein, dass Nutzerinnen und Nutzer innerhalb von Sekunden zu lebensbedrohlichen Inhalten gelangen können, ließ EU-Kommissar Thierry Breton damals ausrichten.

Tatsächlich verboten sind Tiktok-Apps aus Angst vor Datenspionage mittlerweile auf Diensthandys aller EU-Institutionen – zu weitreichenden Überlegungen zu einem Verbot für EU-Bürgerinnen und -Bürger ist es aber noch nicht gekommen. Auch Österreich setzte Tiktok mittlerweile auf die Liste der verbotenen Apps auf Diensthandys des Bundes, ebenso eine Reihe west- und nordeuropäischer Staaten.

Weil man die Gewohnheiten der Europäerinnen und Europäer allerdings nicht ignorieren möchte, will man sich Tiktok aber offenbar auch zunutze machen: Der Pressedienst des Parlaments kündigte im Februar an, im Vorfeld der Europawahlen eine Tiktok-Präsenz aufzubauen – ohne Geräte aus dem öffentliche Dienst und außerhalb der Netzwerke des Europäischen Parlaments. "Dies würde es ermöglichen, Desinformation zu bekämpfen und seine Botschaft zu vermitteln, während die Systeme des Parlaments sicher bleiben", heißt es gegenüber "Euractiv". (Benjamin Brandtner, Peter Zellinger, 14.3.2024)