Kanzler Karl Nehammer (links) und Vizekanzler Werner Kogler (rechts) haben noch einige gemeinsame Monate vor sich.
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Das "Hacklwerfen" wird nach Ostern losgehen, vermutet ein türkiser Mandatar. Die Stimmung in seiner Partei sei angespannt. Schon jetzt. Schließlich gehe es für viele um nichts weniger als das Überleben, also: das politische Überleben.

Denn verliert eine Partei bei der Wahl Stimmen, verliert sie auch Sitze im Nationalrat, und weniger Sitze bedeuten weniger Jobs. Selbst wenn der ÖVP im Wahlkampf eine Aufholjagd gelingen sollte, wird es vermutlich bald deutlich weniger türkise Nationalratsabgeordnete geben. Aus der Wiener ÖVP sitzen derzeit beispielsweise acht Mandatarinnen und Mandatare im Nationalrat, die über die Landesliste oder Grundmandate eingezogen sind. Nach der Wahl im Herbst – so wird angesichts aktueller Umfragen befürchtet – könnten es nur noch vier sein. Oder sogar nur drei. Würde heißen: fünf Jobs weniger.

"Das wird unschön", sagt der Funktionär. Womöglich sei die Koalition mit den Grünen für eine bürgerliche Partei der falsche Weg gewesen, meint er.

Grüne Lagerbildung

Auch bei manchen Grünen macht sich Frustration breit. Vergangenen Donnerstag gab die langjährige Grünen-Politikerin Ewa Ernst-Dziedzic bekannt, dass sie bei der kommenden Nationalratswahl nicht mehr auf dem Wahlzettel stehen wird. Zwischen den Zeilen las sich ihr Abschiedsstatement wie eine Abrechnung: "Mein Gradmesser für die schwarz-grüne Koalition war immer, eine Diskursverschiebung nach rechts außen zu verhindern", schrieb die grüne Menschenrechtssprecherin. "Mein Fazit: Mit rein öko-konservativer Politik kommt man dagegen nicht an."

Grüne, die sie gut kennen, sagen: Ernst-Dziedzic ist auch deshalb gegangen, weil sich in der Partei "das andere Lager" durchgesetzt habe. Die scheidende Menschenrechtssprecherin wird dem linken, auch sozialpolitisch sehr engagierten Flügel der Grünen zugerechnet. Die Umweltpartei wurde im Lauf der vergangenen Jahre jedoch immer pragmatischer und im Auftritt gemäßigter – wohl als Konsequenz daraus, Teil einer Regierung mit den Konservativen zu sein.

Im Wahlkampf ist die Koalition im Grunde für beide Parteien ein Problem: Inhaltlich und ideologisch stehen ÖVP und Grüne selten auf der gleichen Seite. Und Regierungsarbeit bedeutet, Kompromisse zu finden. Doch vor einer Wahl müssen Parteien ihr Profil schärfen, damit Wählerinnen und Wähler wissen, was sie für ihre Stimme bekommen würden. "Natürlich wird das ein Spagat, der kaum zu halten ist", sagt ein Türkiser.

Schlechte Inszenierung

War die Koalition aus Sicht der Parteien also tatsächlich "der falsche Weg"? Und ist die türkis-grüne, die wohl unbeliebteste Regierung der Nachkriegsgeschichte, so schlecht wie ihr Ruf? Bis zum geplanten Wahltermin im September müssen jedenfalls noch sechs Monate vergehen. Geht da noch was in der Koalition?

Die Analyse in Regierungskreisen fällt naturgemäß freundlicher aus, viel freundlicher. Inhaltlich habe die Koalition zahlreiche – auch überraschende – Verhandlungserfolge vorzuweisen, wird erklärt: die Abschaffung der kalten Progression und des Amtsgeheimnisses, kürzlich wurde ein größeres Wohnbaupaket präsentiert. "Ich bin manchmal selbst erstaunt, wie viel noch geht", sagt eine Regierungsstrategin. Zwischen Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer und Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler sei die Zusammenarbeit weiterhin gut – oder, wie es gerne heißt: "konstruktiv". Aber reicht das?

Im Hintergrund wird auch aktuell in unterschiedlichen türkis-grünen Teams an verschiedenen Themen gearbeitet. In den kommenden Wochen sollen noch Einigungen und gemeinsame Vorhaben in den Bereichen Soziales und Energie wie auch für den Wohnbau präsentiert werden. Es sei bereits vieles "weitergegangen" – trotz Krisen –, wird von allen Seiten betont. Ein Kenner interner Regierungsabläufe formuliert es so: "Unter Sebastian Kurz hat sich die ÖVP ständig selbst überdrippelt mit ihrer Inszenierung. Jetzt ist das Gegenteil der Fall." Er meint damit: Derzeit mangle es an gezielter strategischer Planung und Kommunikation. Das Resultat sei, dass selbst erfolgreiche Regierungsarbeit untergehe oder rasch vergessen werde.

Die grüne Hoffnung: Schilling

Eine Konsequenz ist jedenfalls auch, dass beiden Regierungsparteien bei der Nationalratswahl ein Absturz droht. Die ÖVP steht aktuell bei rund 21 Prozent. Das wäre ein Minus von mehr als 16 Prozentpunkten im Vergleich zur vergangenen Wahl 2019. Auch die Grünen würden gemäß aktuellen Erhebungen ein Drittel ihrer Wählerschaft verlieren. Man könnte sagen: Die türkis-grüne Regierung arbeitet zusammen wie einst die große Koalition: solide, unauffällig, leicht zerstritten und doch vereint. Besonders gut kommt das aber nicht an.

Dennoch lebt in beiden Parteien die Hoffnung: Die Grünen rechnen zwar mit Verlusten bei der kommenden Wahl. Aber wenn Lena Schilling als junge, spannende Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl ein gutes Ergebnis einfahre, sei das ein erster Schritt in die richtige Richtung. Danach müsse die Erzählung greifen, dass die Grünen auch in der kommenden Legislaturperiode Teil einer Regierung sein könnten. Denn Grün-Wähler, weiß man bei den Grünen, wollen, dass die Grünen regieren. Mit der ÖVP allein wird das nicht mehr möglich sein – denkbar wäre eine Dreierkoalition mit Volkspartei und Sozialdemokraten.

Neuwahlen vom Tisch

Die ÖVP hingegen versucht nun, die Mitte anzusprechen. Die Idee: Wenn die SPÖ nach links rückt und die FPÖ nach rechts, wird dazwischen Platz frei, der sich noch erobern lässt. Aus beiden Regierungsparteien ist zu hören: Man wolle auch im Wahlkampf gemeinsame Projekte auf den Boden bringen, aber sich gleichzeitig noch klarer vom jeweils anderen abgrenzen. Einfach wird das nicht, wissen beide Seiten.

Vom Tisch sind jedenfalls Neuwahlen. Durch diverse Fristenläufe braucht eine Nationalratswahl rund drei Monate Vorlauf. In den Sommerferien wird prinzipiell nicht gewählt. Und der reguläre Wahltermin steht ohnehin bereits im September an. (Katharina Mittelstaedt, 19.3.2024)