Wo man früher ins Musée Dapper für afrikanische Kunst eintrat, prangt heute in geradlinigen, weißen Lettern das Wort "Heimat". "By Waris Dirie", in deutlich schwungvollerer Schrift, vervollständigt die Kopfzeile in Rostoptik über dem Eingang. Auf den ersten Blick lässt sich kaum erahnen, was sich hinter der Fassade verbirgt. Blicke durch die Fensterscheiben werden von einem Reigen an Pflanzen abgefangen, der jede Hipster-WG vor Neid erblassen lassen würde. Es könnte ein Hotel sein, ein Concept-Store. Aber: Dahinter befindet sich ein High-End-Fitness- und Wellnesstempel exklusiv für Frauen. Und eine permanente Kunstausstellung. Fitness und Kunst bleiben allerdings nicht der einzige Gegensatz im Heimat, dessen Name übrigens bewusst aus dem Deutschen entlehnt wurde.

Mit diesem Schritt ist Dirie nicht allein. Immer wieder verleihen mehr oder weniger Prominente ihren Namen für Fitnessstudios. So warb Popikone Madonna für die mittlerweile pleitegegangene Fitnesskette Hard Candy, benannt nach einem ihrer Alben. Schauspieler Mark Wahlberg, der seine Affinität zum Kraftsport gern nach außen trägt, ist Teilhaber des F45-Franchises. Auch Sportler wie der Fußballer Cristiano Ronaldo oder Tennisspieler David Lloyd versuchen ihr Glück in diesem Metier. Von Lloyds sogenannten Leisure Clubs, unter denen auch Tennis- und Squashplätze sind, gibt es europaweit über 100 Stück. Schaut man sich Fitnessprogramme an, fallen ebenfalls viele bekannte Namen ins Auge: Rapper Kollegah und seine "Bosstransformation", Model Lena Gercke mit ihrer App "atamba" oder Moderator Daniel Aminati, der Nutzern und Nutzerinnen helfen will, sich "krass" zu machen. Bereits Jane Fonda, quasi the Godmother of Workout-Clips, kombinierte ihre Schauspielkarriere mit dem Sportbusiness. Und mit Aktivismus. Ab Ende der 1960er-Jahre trat sie vermehrt gegen den Vietnamkrieg auf, später gegen Atomkraft, heute für Klimaschutz. Schafft auch Waris Dirie diesen Spagat?

Fitnessstudio Gym Waris Dirie Heimat
Die meisten kennen Waris Dirie als Model, Buchautorin oder Aktivistin. Ihr Name steht aber auch für ein Fitnessstudio in Paris.
Francois Goize/HEIMAT by Waris Dirie

Eine kurzer Blick zurück: Ende der 1980er-Jahre wird die damals 18-jährige Somalierin Waris Dirie schlagartig zu einem gefragten Model, nachdem sie mit Naomi Campbell aus dem berüchtigten Pirelli-Kalender lacht. Sie arbeitet für diverse Luxusmarken, taucht in einem James Bond-Film auf. 1997 spricht sie erstmals mit einer Journalistin der französischen Modezeitschrift "Marie Claire" über ihre Kindheit im ländlichen Somalia, was untrennbar mit ihrer Erfahrung der weiblichen Genitalverstümmelung verbunden ist. Dies verarbeitet sie auch in ihrem Buch "Wüstenblume", das ein internationaler Bestseller wurde. Dirie fungierte einige Jahre als UN-Sonderbotschafterin zum Thema Female Genital Mutilation (FGM) und gründete in Wien die Desert Flower Foundation, die bis heute in mehreren afrikanischen Regionen mit Bildungsinitiativen aktiv ist.

Champagner und Tafelparkett

Wer im Heimat by Waris Dirie neben Coffee-Table-Books und Duftkerzen trainieren und sich an der hauseigenen Champagnerbar einen Absacker gönnen will, blättert pro Monat stolze 300 Euro hin, U25-Jährige sparen sich ein Drittel. Dazu kommt eine Aufnahmegebühr in der Höhe eines Monatsbeitrags. Hinsichtlich der Mitgliederzahlen gibt sich die betreibende RSG-Group, die auch hinter Fitness-Franchises wie McFit oder Gold's Gym steht, bedeckt. Es gebe eine "großartige Community an starken Frauen". Auf Influencer-Marketing werde verzichtet. Jeglicher Content, den es zur Einrichtung auf Social Media gebe, entstehe durch Eigeninitiative der Userinnen. Bilder führen die Gegensätzlichkeit des Clubs vor: Filigrane Beistelltischchen stehen neben kiloschweren Medizinbällen, Airbikes (eine Mischung aus Crosstrainer und Ergometer) sind vor einer Wand mit Federschmuck platziert, Samt trifft auf Schweiß, Champagner auf Spinatsmoothies. Und daneben: ausgewählte Kunst afrikanischer Künstlerinnen, Skulpturen, Kleidungsstücke, Gemälde.

Fitnessstudio Gym Waris Dirie Heimat Airbike
Ob der trockene Dekobaum stehen bleibt, wenn jemand auf dem Airbike daneben richtig Gas gibt?
Didier Delmas/HEIMAT by Waris Dirie
Fitnessstudio Gym Waris Dirie Heimat Kettlebell
Im Heimat-Gym wird mit Kettlebells auf feinem Tafelparkett trainiert.
Didier Delmas/HEIMAT by Waris Dirie

So weit, so außergewöhnlich, aber nachvollziehbar. Wie aber passen eine Aktivistin und ein Nobel-Gym mit ihrem Namen zusammen? Zwar ist die heute 59-Jährige Waris Dirie als Model immer wieder ins Luxussegment eingetaucht, bisher allerdings nicht unter dem Deckmantel, es für "female empowerment" zu tun. Dirie selbst antwortet auf Anfrage des STANDARD, inwieweit sich ihr Lebenswerk im Fitnessprojekt widerspiegelt, mit Floskeln. In Planung, Konzeption und Design sei sie bis zur Eröffnung letztes Jahr laufend eingebunden gewesen. Durch das Studio wolle sie "Frauen aus den unterschiedlichsten Berufen" zusammenzubringen und "gemeinsame Werte teilen". Mit Blick auf den Abo-Preis wird das Potpourri an Frauen wohl eher weniger abwechslungsreich sein. Sie betont, Heimat sei "weit mehr als ein Fitness- und Wellnessclub". So gebe es in den ehemaligen Museumsräumlichkeiten auch einen Saal, in dem Filmvorführungen, Lesungen und Podiumsdiskussionen zu "Frauenthemen" – häusliche Gewalt, Gleichberechtigung, FGM – stattfinden würden.

Fitnessstudio Gym Waris Dirie Heimat
Schwitzen neben Polstermöbeln und Aktionskunst: In gängigen Fitnessstudios schaut es anders aus.
Didier Delmas/HEIMAT by Waris Dirie

Dass der Louis-Roederer-Champagner nach einer schweißtreibenden Beintrainingseinheit sicher ganz gut mundet, mag man kaum bezweifeln. Vor allem auch, weil einem im Kraftraum die Blicke von testosterongeladenen Pumpern erspart bleiben, die zu allem Überfluss vielleicht nicht mal ihr Handtuch gescheit unter ihren verschwitzten Rücken legen. Dass aber Orte wie der Heimat-Club draußen in der "echten Welt", wo es nicht um Boho-Dekor, sondern um tatsächliche Gleichberechtigung gehen soll, nichts verändern werden, ist leider genauso erwartbar wie die Tatsache, dass die feinen Samtmöbel im Kraftraum früher oder später Schweißflecken haben werden. (Nina Schrott, 19.3.2024)