alfred gusenbauer
Alfred Gusenbauer war im zusammengebrochenen Signa-Reich nicht bloß prominente Staffage, er saß an zentraler Stelle.
Heribert Corn

Der angebliche Abkassierer outet sich als Verlierer. Ist dieser Tage von der größten Pleite der Republik die Rede, darf sich Alfred Gusenbauer persönlich angesprochen fühlen. Zumindest zwölf Millionen Euro, so viel lässt sich zusammenreimen, dürfte der einstige Kanzler der Signa-Holding des René Benko an Beraterhonoraren verrechnet haben. Doch was bleibt? Er habe den Großteil in Aktien des gestrauchelten Konzerns investiert, erzählt Gusenbauer: "Wert heute zero. Aber so ist das eben. Wirtschaft ist ein Risikogeschäft."

Gusenbauer – grauer Stoppelbart, schwarzes Sakko über rosafarbener (nicht roter!) Hose – untermalt diese Worte mit einem lässigen, fast verwegenen Lächeln. Weder Ärger, Sorge noch Reue – keine Regung deutet darauf hin, dass hier einer nicht mit sich und der Welt im Reinen ist. Bedächtig, aber präzise spult der in hunderten Interviews geschulte 64-Jährige Sätze ab, die sich unredigiert abdrucken ließen. Nicht einmal die Schuldfrage vermag es, den konstanten Brummton seiner Stimme aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Moralisches Urteil

Er wisse schon, dass ihn die journalistische Darstellung – "wie immer unwahr und verkürzt" – als Verursacher des Signa-Debakels abstemple, sagt Gusenbauer: Doch ein solcher Unsinn beweise maximal die Ahnungslosigkeit der Autoren – oder gezielte Boshaftigkeit gegenüber einem Ex-Politiker.

In Gusenbauers ideologischer Heimat bewerten viele den Sachverhalt weniger entspannt. Zwar hat bisher nur die lautstarke, aber kleine Sektion 8 aus Wien einen Antrag auf Ausschluss aus der SPÖ gestellt, doch dahinter ballt sich stiller Ärger. Breit geteilt wird nicht unbedingt das Ziel des schwer zu vollziehenden Rauswurfs, sehr wohl aber das moralische Urteil: Mit seinem Engagement im Benko-Reich spotte der frühere Parteichef allem, was eine sozialdemokratische Galionsfigur repräsentieren sollte. Wieder einmal.

Nur die Kanzlerschaft

Der Vorwurf des Verrats ist Gusenbauer bereits auf dem Höhepunkt seines politischen Lebens, im Jahr 2006, entgegengeschallt. Von Konkurrenten einst als Jausengegner mit Apparatschik-Flair belächelt, von Genossen als unverkäuflich abgeschrieben, landete der von einer geschickten Kampagne getragene Sohn eines Bauarbeiters und einer Putzfrau aus Ybbs an der Donau jenen Wahlsieg, auf den er mit großem, auch körperlichem Einsatz – eine Wandertour führte quer durch Österreich – hingearbeitet hatte. Doch viel mehr als die wiedereroberte Kanzlerschaft blieb nach den Koalitionsverhandlungen nicht übrig. Die SPÖ warf zentrale Wahlversprechen – Abschaffung der Studiengebühren, Stornierung des Abfangjägerkaufs – über Bord, die Schlüsselministerien landeten bei der ÖVP.

Besonders die Linke vermochte auch in der Folge kaum eine rote Handschrift erkennen. Als es etwa darum ging, eine Neuauflage der vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Erbschaftssteuer gegen den Koalitionspartner durchzusetzen, fiel Gusenbauer nicht eben mit Kampfeslust auf. Dafür gebärdete er sich in einem Interview mit der deutschen Bild wie ein Wiedergänger des neoliberal gepolten Ex-Finanzministers Karl-Heinz Grasser: "Steuern runter macht Österreich munter."

Demontage als Schlüsselerlebnis

Nach 23 Monaten und zahllosen parteiinternen wie koalitionären Querelen musste Gusenbauer dem damals noch besser angeschriebenen Werner Faymann weichen. Die durch die Demontage erlittene Kränkung halten Zeitzeugen für ein Schlüsselerlebnis, das die zweite Karriere prägen sollte. Mit der Jagd nach dem großen Geld, so die These, habe es der Geschmähte den unverständigen Genossinnen und Genossen so richtig zeigen wollen: Seht her, ich habe euch nicht nötig.

Das allein würde noch nicht allzu sehr provozieren, sprudelten Honorare nicht aus Quellen, die weltverbesserisch motivierten Sozialdemokraten als anrüchig gelten. Der ins Beraterfach umgestiegene Gusenbauer engagierte sich in der Glücksspielbranche ebenso wie für einen Bergbaukonzern, der in Rumänien unter ökologisch umstrittenen Umständen Gold schürfen wollte. Als Lobbying für einen Diktator werteten die Kritiker seine einstige Arbeit für den kasachischen Machthaber Nursultan Nasarbajew. Gusenbauer hingegen sprach vom Einsatz für die Demokratisierung eines bislang autokratisch geprägten Landes.

Aus dem Kanzleramt zu Benko

Im Fall der Signa, neben dem Aufsichtsratsvorsitz beim heimischen Bauriesen Strabag Gusenbauers Hauptjob in den vergangenen Jahren, stößt schon der Akt der Anbahnung auf Misstrauen. Kaum drei Wochen waren seit dem Kanzlersturz verstrichen, da war bereits der erste Benko-Vertrag besiegelt. Hat da einer das Amt des Regierungschefs ausgenützt, um an der späteren Laufbahn zu basteln? Dieser Verdacht sei ebenso falsch wie das Stereotyp, dass der Wert eines Politikers nur in seinem Telefonverzeichnis bestehe. Benko haben ihn wohl deshalb geholt, weil ihm die zu Kanzlerzeiten demonstrierte Managementfähigkeit und Wirtschaftsaffinität aufgefallen seien, sagt Gusenbauer: "Die Kontakte haben mir am wenigsten geholfen."

Hat der Chefaufseher und Berater alles richtig gemacht, wenn die Firma am Ende den Bach runtergeht? "Ja, das kann so sein."
Heribert Corn

Es blieb nicht beim Status einer prominenten Staffage. Gusenbauer avancierte zum Aufsichtsratschef der beiden wichtigsten Signa-Unternehmen, der Prime und der Development, und saß im Beirat der übergeordneten Holding. Das führt zur Grundsatzfrage, die in den roten Reihen gestellt wird. Sind Geschäfte nach Signa-Manier noch mit dem Anspruch einer Bewegung vereinbar, die Auswüchse des Kapitalismus bekämpfen will? Oder muss jeder, der sich sozialdemokratischen Werten "aufs Engste" verbunden fühlt (O-Ton Gusenbauer), schlicht die Finger davon lassen?

Kritische Perspektive

Wer Argumente für die kritische Perspektive sucht, ist bei Leonhard Dobusch richtig. Der Wirtschaftswissenschafter und Mitbegründer des gewerkschaftsnahen Momentum-Instituts entschlägt sich zwar einer Bewertung der Rolle Gusenbauers, bietet aber eine Charakterisierung des Modells Signa an. Nicht alles sei auf Sand gebaut gewesen, schickt Dobusch voraus. Hinter der Entwicklung des Goldenen Quartiers, der Luxuseinkaufsmeile in der Wiener Innenstadt, stecke etwa eine beachtliche Leistung: "Im angestammten Metier waren sie nicht schlecht."

Daneben jedoch sei jenes Schneeballsystem gewachsen, das dem kurzfristigen "Hochjazzen" von Gewinnen gedient habe. Als Kern identifiziert Dobusch die Methode, dank billiger Kredite Handelsimmobilien zu kaufen, in der Folge die Mieten zu erhöhen, um mit den auf diese Weise aufgewerteten Liegenschaften wieder neue Kredite zu besichern. Mit nachhaltigem Wirtschaften habe dies, wie die Pleite nun zeige, nichts zu tun.

Fehler erkannt – bei den anderen

Gusenbauer widerspricht. Dass Signa nach seinem Einstieg zwölf Jahre lang Gewinne geschrieben habe, sei der beste Beweis für Nachhaltigkeit. Was die Gruppe genauso wie andere Immobilienfirmen zum Kippen gebracht habe, seien die geänderten Umstände. Niemand, sagt er, habe die Covid-Krise, den Ukrainekrieg, die Inflationswelle und die explodierten Kreditzinsen voraussehen können.

Aber müsste ein solides Geschäftsmodell nicht mitkalkulieren, dass Kosten für Kredite auch irgendwann steigen könnten? Das schon, räumt Gusenbauer ein, doch den Zinssprung allein hätte Signa auch verdaut. Nur habe leider die Führung – nicht er – die Fehlentscheidung getroffen, in erfolglosen Handelsaktivitäten Geld zu versenken. Dem Einwand von Dobusch und anderen Beobachtern, wonach die hochgelobten Gewinne ohne die aufgewerteten Handelsimmobilien undenkbar gewesen wären, hält er das Beispiel der Sportartikelplattform Signa Sports entgegen: "Diese hat mit Immobilien nichts zu tun, aber 850 Millionen Euro Verlust verursacht."

Verhängnisvolles Phänomen

Als extrem schnellen Rechner habe er Benko kennengelernt, erzählt Gusenbauer, und als Mann mit dem gewissen Auge, um "in jeder Hütte" das zukünftige Immobilienprojekt zu erkennen. Doch irgendwann habe sich ein bekanntes wie verhängnisvolles Phänomen bemerkbar gemacht: "Viele Unternehmer beginnen zu glauben: Wenn sie eine Sache beherrschen, können sie alles andere auch."

Andere haben also Fehler begangen – doch wie steht es mit Gusenbauer selbst? Kann es sein, dass der Chefaufseher und hochdotierte Berater alles richtig gemacht hat, wenn eine Firma am Ende den Bach runtergeht? "Ja, das kann so sein", kommt es ohne einen Sekundenbruchteil Nachdenkpause retour. Vor dem Ausflug in den Handel habe er dezidiert gewarnt, und er wisse auch nicht, was es an der Berechtigung seiner stolzen Honorare zu hinterfragen gäbe. In einem Milliardenkonzern bewege sich eben auch das Salär in höheren Dimensionen, sagt Gusenbauer: "Die Sozialdemokratie ist stets dafür eingetreten, dass Menschen für Leistung etwas verdienen."

Auch diese Erklärung darf in SPÖ-affinen Kreisen nicht unbedingt mit Mehrheitsfähigkeit rechnen. Wenn Gusenbauer nach einem derartigen Desaster im Interview mit dem Ö1-Mittagsjournal von guter Entlohnung für gute Arbeit spreche, "geht ganz vielen das Feitel in der Tasche auf", glaubt der PR-Berater Josef "Joe" Kalina, zu Parteichefzeiten ein wichtiger Mitstreiter. So sei der Gusi eben: "Ein wirklich gescheiter, fleißiger Mensch. Aber ohne G’spür, wie die Leute ticken."

Zwischen Intellekt und Arroganz

Dieses ambivalente Bild hat sich in viele Köpfe eingeprägt. Manchen gilt der multi­linguale Gusenbauer als einer der klügsten Sozialdemokraten weit und breit, anderen zumindest als sagenhaft belesen. Auf dem Schreibtisch seines Büros nahe der Votivkirche im neunten Wiener Bezirk stapeln sich dutzende Bücher, zwei bis drei schaffe er in der Woche, sagt er selbst. Wer ihn in Gespräche verwickelt, gewinnt den Eindruck: Die Lektüre dürfte sich nicht nur auf die Klappentexte beschränken. Gusenbauer sei auf so vielen Gebieten firm, erzählt ein Funktionär, "dass du ihn in Diskussionen kaum schlagen kannst".

Gusenbauer räumt seinen Platz - aber nur in der Signa. In der SPÖ will er bleiben.
Heribert Corn

Doch ebenso omnipräsent sind die Erzählungen, wonach Gusenbauer sein intellektuelles Potenzial als Freibrief für Arroganz verstehe. Selbst grundsätzlich wohlmeinende Weggefährten wissen von Auftritten eines notorischen Besserwissers zu berichten, der vermeintlich weniger geistvolle Zeitgenossen mit Verachtung straft.

Vom Entscheidungsträger bis zum Unterläufel reiche die Bandbreite der Genossen, die der einstige Frontmann vor den Kopf gestoßen habe, ist da zu hören. Einen dieser Momente hat eine Kamera für die Nachwelt eingefangen: Ob ihn das "übliche Gesudere" erwarte, hatte Gusenbauer vor einer SPÖ-Veranstaltung im Frühjahr 2008 gefragt. Die ihm nach Wochen mühsam abgerungene Entschuldigung an die Mitglieder kam zu spät, um noch viel reparieren zu können. Noch im selben Jahr war er als Parteichef und Kanzler Geschichte.

Das "Gschlader" beim Namen nennen

Manches, was ihm als dreiste Überheblichkeit ausgelegt wird, will Gusenbauer gar nicht bestreiten. Es könne schon sein, dass er, der Liebhaber edler und zwangsläufig auch teurer Tropfen, einen ihm kredenzten Wein als geladener Gast mit den Worten "Des Gschlader kann man ja net saufen" abqualifiziert habe, sagt er im STANDARD-Gespräch. Aber auch ein Kanzler sei doch wohl nicht dazu verpflichtet, alles zu schlucken: "Wenn was a Gschlader is – warum darf ich es dann nicht so nennen?"

Für alles, was über derartige Harmlosigkeiten hinausreicht, könne die schlechte Nachrede aber wieder nur von Bösartigkeit getragen sein, fügt Gusenbauer an. An Funktionäre habe er stets hohe Ansprüche gestellt, das ja. Doch Behandlung von oben herab? Wer so etwas behaupte, leide offenbar aus irgendwelchen Gründen unter einem "intellektuellen und kulturellen Minderwertigkeitskomplex". Auf dem Tennisplatz oder sonst wo hätten die ganz normalen Leute alle kein Problem mit ihm.

Kein Schlussstrich in der SPÖ

Um das abzutesten, sollte Gusenbauer künftig mehr Zeit haben. Über seine Projektentwicklungs- und Beteiligungs-GmbH ist er laut Eigenaussage zwar in zehn verschiedene Unternehmungen involviert, von der Lachszucht im Waldviertel bis zum Müllverwertungsfonds in Santiago de Chile. Doch die gewichtigsten Posten kommen ihm abhanden.

Den Vorsitz im Strabag-Aufsichtsrat hat er bereits mit Ende des ausgelaufenen Jahres niedergelegt – um einen etwaigen, von seinen Signa-Verwicklungen ausgelösten "Reputationsschaden" nicht auf den Baukonzern überspringen zu lassen, wie es in seiner offiziellen Erklärung hieß. Die kommende Woche läutet nun auch das Ende der Aktivitäten im einstigen Benko-Imperium ein. Nach der für kommenden Montag angesetzten Gläubigerversammlung will Gusenbauer ehestmöglich seinen angekündigten Ausstieg aus den Aufsichtsräten der Teilunternehmen Prime und Development finalisieren.

Die Abwendung einer drohenden Rufschädigung: Das wünscht sich auch so manche Stimme aus der SPÖ. Doch diesen Schlussstrich verweigert Gusenbauer. Ob er seine Parteimitgliedschaft aus Rücksicht auf den anbrechenden Wahlkampf vielleicht doch noch ruhend stelle? „Ich wüsste nicht, wieso". (Gerald John, 16.3.2024)