In Berlin sorgte die Witwe von Kremlkritiker Alexej Nawalny für Aufsehen: Julia Nawalnaja beteiligte sich dort an der Protestaktion "Mittag gegen Putin", die auch in Wien stattfand.
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Die "Wahlfarce", wie die russische Opposition die Präsidentschaftswahl nennt, ist geschlagen. Nach der Schließung der letzten Wahllokale gab es in den Staatsmedien eine erste Prognose. Erwartungsgemäß hat Wladimir Putin mit fast 88 Prozent haushoch gewonnen. Das genaue Ergebnis wird am Montagvormittag bekanntgegeben. Die Wahlbeteiligung wurde am Sonntagabend mit mehr als 70 Prozent angegeben, dem höchsten Wert jemals bei einer russischen Präsidentenwahl.

Das Rekordergebnis soll zeigen: Ganz Russland steht hinter seinem Präsidenten. Der Wahlsieg war genau geplant. Von der Zentralen Wahlkommission wurden die erklärten Kriegsgegner Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin schon im Vorfeld der Wahl aus formalen Gründen abgelehnt. Putins drei Mitbewerber sind auf Kreml-Linie und waren chancenlos. Die meisten Menschen in Russland haben Putin gewählt. Die Rentnerin Natascha hat bereits am Freitag, am ersten Tag, abgestimmt. "Natürlich für Putin", sagte sie dem STANDARD.

Protestaktionen im In- und Ausland

Vereinzelt gab es in Russland freilich auch Protestaktionen. In Sankt Petersburg warf eine 21-Jährige einen Molotowcocktail auf die Veranda eines Wahllokals. Und in manchen Wahllokalen gossen Wähler grünliche Farbe in die Wahlurnen. Auch Cyberangriffe auf das Wahlsystem und die Computer der Regierungspartei Einiges Russland“ hat es gegeben. Laut dem Onlineportal "Meduza" erhielten kritisch eingestellte Wählerinnen und Wähler Warnungen auf ihre Handys. Die Empfänger sollten "ruhig" an der Wahl teilnehmen, "ohne Warteschlangen und Provokationen".

Erinnerungsfoto aus dem Wahllokal: "Ich wählte einen Präsidenten" steht auf dem Schild.
AFP/STRINGER

Wer hinter den Nachrichten steckt, das ist nicht bekannt. Auch nicht, wie die Empfänger ausgewählt wurden. Für den letzten Tag der Wahlen hatte das Team des verstorbenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny zu einer besonderen Aktion aufgerufen: "Mittag gegen Putin". Punkt zwölf Uhr versammelten sich Tausende, um ihre Stimmzettel ungültig zu machen. Bürgerrechtlern zufolge wurden dutzende Menschen bei dem stillen Protest festgenommen. Insgesamt zählte die Organisation Ovd-Info bis Sonntagnachmittag über 60 Festnahmen. Auch russische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen im Ausland nahmen an dieser Form des Widerstands teil. Auch in Wien gab es stillen und lauten Protest vor der russischen Botschaft.

Nach der Wahl

Was wird sich ändern in Russland? Sicher ist, Wladimir Putin wird den Weg in Richtung einer Sowjetunion 2.0 weitergehen. Mit einem neuen Geschichtsbild und Militärunterricht an den Schulen. Mit Unterdrückung der Opposition und Diskriminierung von Minderheiten wie Schwulen und Lesben. Aber, so meint die Politologin Tatjana Stanowaja: "Der Krieg fängt an, Putin seine eigenen Regeln zu diktieren. Der Präsident und sein engster Kreis sind gezwungen, sich der neuen Kriegsrealität zu unterwerfen, die sie selbst geschaffen haben." Die Kämpfe in der Ukraine werden weitergehen, die besetzten Gebiete wird Putin nicht räumen. Soldaten und Munition hat Russland genug, die Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren. Aber das alles kostet Geld. Viel Geld, das an anderer Stelle fehlt.

In diesem Winter versagten in vielen Orten die Heizungen, Warmwasserrohre platzten. Der Unmut wächst. Dringend müsste saniert werden, dafür muss Geld ausgegeben werden. Dann die Kriegsheimkehrer, viele schwer verletzt. Ärztliche Betreuung, Prothesen, auch das kostet Geld. Wladimir Putin will Russland zur Großmacht mit weltpolitischer Bedeutung umgestalten. Dabei muss er die Fehler vermeiden, die letztendlich zum Zusammenbruch der damaligen Sowjetunion geführt haben. Sprich: Die Wirtschaft muss florieren. Nicht nur die Rüstungswirtschaft, auch die Konsumgüterindustrie.

Was ist Putins weiterer Plan?

"Es scheint, dass Putin die endgültige Entscheidung getroffen hat, die Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen, anstatt die Inflation einzudämmen. Es wird eine Inflation und ein Wirtschaftswachstum geben, das sich über das ganze Land ausbreiten wird", meint der Politologe Igor Gretskiy, der bis 2022 Professor an Uni St. Petersburg war. Höhere Steuern hat der Präsident schon angekündigt. Und die Menschen werden sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Autos und Waschmaschinen in Zukunft aus China kommen werden. Für viele in Russland unter Putin heißt es aber auch: Politischer Protest und Meinungsvielfalt werden in Zukunft noch stärker unterdrückt werden. (Jo Angerer aus Moskau, 17.3.2024)

Protest vor der russischen Botschaft in Wien.