Beine eines mexikanischen Transsexuellen in Netzstrümpfen und High-Heels.
Dass er bei der Polizei den Bordellbesuch bei einem Sexarbeiter zu erwähnen vergaß, bringt einen Angestellten vor Gericht.
APA / AFP / CLAUDIO CRUZ

Wien – Spätestens mit der nicht rechtskräftigen Verurteilung von Altbundeskanzler Sebastian Kurz (Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei) hat auch die breite Öffentlichkeit erfahren, dass eine falsche Beweisaussage strafbar ist. Selten ist das Delikt aber nicht, im Landesgericht für Strafsachen Wien wird es mehrmals pro Woche verhandelt. Meist unter geringem Medieninteresse, wie auch das Verfahren gegen einen 54-jährigen Angestellten zeigt. Obwohl dieser Prozess durchaus Außergewöhnliches zu bieten hat.

"Ich habe mich extrem geniert dafür. Und es passt auch nicht in mein Umfeld", liefert der unbescholtene Angeklagte Richter Martin Kampitsch als Erklärung, warum er bei der Polizei viermal nicht die ganze Wahrheit gesagt hat. Aber der Reihe nach: "Ich habe mich mit Freunden im Schwarzen Kameel getroffen, dort haben wir viel Weißwein getrunken", erinnert sich der 54-Jährige an den Beginn des Abends vom 16. auf den 17. Oktober. Anschließend zog man in eine Bar weiter, wo der Angeklagte mit einem Freund Gin becherte.

20.000 Euro in einer Nacht überwiesen

"Ich wollte dann mit dem Taxi heimfahren. Als ich drinnen saß, bin ich dann aber in das Laufhaus gefahren", schildert der Mann weiter. "Ich bin dort irgendwann munter geworden", fehle ihm für die nächsten Stunden die Erinnerung, behauptet er auch vor Gericht. Daheim sei er dann erst am 18. Oktober wieder ganz bei Sinnen gewesen, aus einer Eingebung heraus habe er seinen Kontostand überprüft und festgestellt, dass während seiner Zeit im Etablissement rund 20.000 Euro überwiesen worden waren. "Erst zwei kleine Abbuchungen, die wären mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, dann im Zehn-Minuten-Takt 1.000 Euro", stellt der Angeklagte in den Raum.

Er zeigte das bei der Polizei an, gab aber in insgesamt vier Einvernahmen an, ihm fehle die komplette Erinnerung an den Abend, er könne sich absolut nicht erklären, wer das Geld wieso und an wen überwiesen haben könnte. Was nicht stimmte. So schlecht kann sein Gedächtnis nicht gewesen sein, schließlich wusste er am Morgen des 18. Oktober offensichtlich noch genau, in welchem Bordell er gewesen war und auch mit wem er dort die Zeit verbracht hatte. Es handelte sich um einen italienischen Transsexuellen, den der Angeklagte auch vor seinem Polizeibesuch anrief und zumindest 8.000 Euro zurückforderte. Was der Sexdienstleister ablehnte.

Also ging der Angeklagte zur Exekutive und schützte seine Amnesie vor. Die Polizei begann zu ermitteln, eine Blutuntersuchung beim Angeklagten ergab zwar nicht die von ihm vermuteten Reste von K.-o.-Tropfen, dafür Spuren von Kokain und Meth. Über eine Kontoöffnung wurde der Empfänger des Geldes eruiert, der Sexdienstleister schließlich sogar für einige Tage festgenommen.

Vier Aussagen bei der Polizei

"Sie haben viermal bei der Polizei ausgesagt. Warum haben Sie nicht irgendwann die Wahrheit erzählt?", will Richter Kampitsch vom Angeklagten wissen. "Ich bin dabei geblieben. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich dachte, über die Kontonummer bekommen sie es eh heraus", verteidigt sich der Mann. "Aber weil Sie den Laufhausbesuch verschwiegen haben, ist der Zeuge sogar in Haft gekommen!", hält der Richter dem Angestellten vor. "Als mir das am 24. gesagt wurde, habe ich es eh gesagt", führt der Angeklagte an. "Ja, aber erst nachdem es Ihnen die Polizei vorgehalten hat", sieht die Staatsanwältin keine Freiwilligkeit.

Der Zeuge erzählt dann mithilfe eines zunächst etwas verwirrten Dolmetschers, der ob des männlichen Vornamens nicht mit derart ausgeprägten weiblichen Attributen gerechnet hatte, wie sich die Sache aus seiner Sicht abgespielt habe. Der Angeklagte sei gegen 22.45 Uhr aufgetaucht und habe zunächst zwei Stunden à 300 Euro gebucht, die er bar bezahlt habe. Danach habe er um zwei Stunden verlängern wollen, aber auch andere Dienste, was den Stundenpreis auf 500 Euro erhöht habe. "Er hat mir das dann von seinem Handy per Direktüberweisung auf mein Konto geschickt", sagt der wortreich und stark gestikulierend aussagende 32-Jährige.

"Für mich war es dann schon genug", nach vier Stunden wollte der Sexworker den Freier eigentlich loswerden. Der wollte aber um die Burg nicht gehen, behauptet der Zeuge. "Also habe ich gesagt: 'Gut, dann kostet eine Stunde ab jetzt aber 1.700 Euro!' Ich habe gedacht, er wird sagen: 'Bist du verrückt, so viel zahle ich nicht!'" Es kam anders, der Angeklagte war bereit, den Preis zu zahlen, sagt der Zeuge, der sogar noch die Chefin des Laufhauses mit dem Kunden sprechen ließ. Irgendwann gegen neun oder zehn Uhr am nächsten Tag ging der Mann, der nach Eigenangaben eine langjährige Beziehung hat, dann.

Zeuge will 25.530 Euro 

Als Privatbeteiligter will der Zeuge die 7.350 Euro Anwaltskosten, die ihm wegen der Falschaussage entstanden sind, zurückhaben, zusätzlich verlangt er 18.000 Euro für den fünftägigen Verdienstentgang und die psychischen Belastungen durch die Festnahme. Der Angeklagte will davon nichts zahlen.

"Das eigentliche Opfer sitzt schon da in der Mitte", ist der Verteidiger in seinem Schlussplädoyer überzeugt, dass sein Mandant im berauschten Zustand ausgenommen wurde. Er wünscht sich eine Diversion oder zumindest eine milde Strafe dafür, dass der Angeklagte aus Scham nicht die volle Wahrheit gesagt habe.

Erfolg hat er damit vorerst nicht. "Ich sehe das nicht so, dass Sie das einzige Opfer sind!", begründet Richter Kampusch dem Angeklagten, warum er ihn zu 15 Monaten bedingter Haft verurteilt hat. "Sie haben mehrere Möglichkeiten gehabt, Ihre Erinnerung zu berichtigen", sieht er in der mehrmaligen Falschaussage einen Erschwerungsgrund. Noch dazu seien die Folgen – die Haft für den Zeugen – gravierend gewesen. "Diversionsfähig ist das nicht. Stellen Sie sich vor, es wäre zu einem Verfahren gekommen und Sie hätten das weiter verschwiegen, dann wäre der Zeuge vielleicht sogar verurteilt worden!", warnt der Richter. Mit seinen Geldforderungen wird der Zeuge allerdings auf den Zivilrechtsweg verwiesen, da er keine Rechnungen vorgelegt hat.

Der geschockt wirkende Angeklagte erbittet sich nach kurzer Beratung mit dem Verteidiger drei Tage Bedenkzeit, auch die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 20.3.2024)