Er will doch nur spielen. Justin Timberlake lädt dich gleich auf einen Pfirsich-Spritzer ein.
Er will doch nur spielen. Justin Timberlake lädt dich gleich auf einen Pfirsich-Spritzer ein.
Charlotte Rutherford

Sechs Jahre sind im Pop eine Ewigkeit. In dieser Zeitspanne werden Retortenstars zum Superstarstatus hochgejazzt. Es folgen die Versuchung und der Absturz, der Raub des Throns durch jüngere Modelle sowie die in jeder Heldenreise unabdingbare Läuterung und ein ehrenwertes Comeback in kleinerem, bescheidenerem Rahmen. Zuletzt hörte man 2018 Justin Timberlakes etwas bizarren Versuch, mit dem Album Man of the Woods bodenständiges Cowboytum mit sülziger R-'n'-B-Jammerei zu kombinieren. Die Sülze hat damals gewonnen.

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Danach überließ Justin I. das Feld der 13 Jahre jüngeren Raubkopie Justin II. Bieber. Der perfektionierte das inflationär flehende Gesülze dieser musikalisch im Wesentlichen aus der Boybandschule kommenden Egoshooter-Variante in Verbindung mit krasser, für Instagram, Tiktok und Twitter, das jetzt aber anders heißt, bestens geeigneter Ganzkörpertätowierung. 2021 war Bieber angeblich der meistgestreamte Künstler auf Spotify. Das aber wird ebenso inflationär von vielen anderen Sängern und Sängerinnen behauptet.

Gute Figur als Schauspieler

Justin Timberlake war zuletzt verstärkt als Schauspieler aktiv. 2023 machte er als böser Bube an der Seite von Benicio del Toro im Netflix-Thriller Reptile eine gute Figur.

Sechs Jahre nach seinem letzten, trotz aller Kritik durchaus erfolgreichen Album kehrt Timberlake mit einer schwachen und aus der Zeit zurück in die 1990er-Jahre gefallenen Vorabsingle wie der balladigen Schmonzette Selfish zurück. Das dazugehörige Album nennt sich Everything I Thought It Was, beinhaltet sage und schreibe 18 Songs und bietet mit einer Laufzeit von 75 Minuten mehr Justin Timberlake, als wir je wollten.

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Man muss schon ein gesundes Selbstvertrauen entwickelt haben, wenn man glaubt, dass man sich damit im zunehmend austauschbarer werdenden Markt wird durchsetzen können. Vielleicht klappt es nach kolportierten 160 Millionen verkauften Tonträgern im Laufe seiner zwei musikalischen Karrieren ja dank einer anstehenden Welttournee ein weiteres Mal.

Justin Timberlake stammt mit seinen 43 Jahren und einer Vergangenheit in Disneys Kaderschmiede The All-New Mickey Mouse Club und in der Boyband *Nsync aus der Generation Synchrontanz. Den Synchrontanz hat er mit Soloalben wie Justified (2002) oder dem frühen Höhepunkt FutureSex/LoveSounds (2006) und dessen Welthit SexyBack, in dem er uns damals das Sexy zurückbrachte, niemals aufgegeben. Das hält ältere Käuferschichten bei der Stange. Und auch auf Tiktok wird ja heute gern getanzt. Apropos, 2011 erwarb Timberlake Anteile an der Social-Media-Plattform Myspace. Wer sie noch kennt.

Ewige Autotune-Jammerei

Die 18 neuen Songs wurden jetzt wieder sündhaft teuer von den besten Raketenwissenschaftern der Welt in geheimen Geheimlabors entwickelt. Alles klingt edel und nach idealer Beschallung für die Innenstadtboutiquen und Spumante-Clubs dieser Welt. Einige Songs haben trotz der ewigen verhallten Autotune-Jammerei mit Kopfstimme gute Ansätze, wie etwa die auf der Höhe der Zeit befindlichen R-'n'-B-Versuchsanordnungen F**kin’ Up the Disco, Sanctified oder No Angels. Es fehlen aber die wiedererkennbaren Refrains. Justin Timberlake hat sich wieder einmal einen protzigen SUV zugelegt. Der ist sauteuer. Es handelt sich allerdings nur um einen Mini Cooper, den man auf einen breiten Arsch gesetzt hat. (Christian Schachinger, 20.3.2024)