Tamara Tippler
Tamara Tippler wünscht sich ein professionelles, innovatives Arbeitsumfeld: "Im Biathlon gewinnen Mütter wieder Weltcuprennen und WM-Medaillen, warum soll das eine Skifahrerin nicht schaffen?"
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„Schon als ich den Schwangerschaftstest in der Hand hielt, war es mein Ziel, in Saalbach wieder am Start zu sein. Ich bin auf die Disziplinen Abfahrt und Super-G spezialisiert, beim Weltcup-Finale in dieser Woche bin ich als Vorläuferin eingeplant. Ich fahre kein Rennen, aber ich simuliere es. Ich möchte spüren, wie es ist, im Rennanzug in diesem roten Starthaus zu stehen. Kann ich abschalten? Bin ich ganz im Hier und Jetzt? Oder denke ich Sekunden vor dem Start, was meine Tochter gerade macht? Wenn schlechte Gedanken kommen oder gar Angst, ich könnte mich verletzen, war's das für mich. Dann werde ich die Karriere beenden.

Bei der WM im vergangenen Jahr wusste ich schon, dass ich schwanger bin. Nur meine Familie wusste Bescheid. Damals habe ich es verdrängt, es hat mich nicht belastet. Bis zur 13. Schwangerschaftswoche habe ich noch Rennen bestritten. Bei einem Rennen in Norwegen fehlte mir die Überzeugung. Ich wollte keine Sprünge über 40 Meter mehr nehmen. Das war nicht mehr die echte Tammy, ich war eine andere Person, denn plötzlich hatte ich Respekt vor dem Skifahren. Da habe ich allen gesagt, dass ich schwanger bin.

Im September kam Mia zur Welt. Sie ist eine richtige Bereicherung. Mama zu sein ist für mich das Beste auf der Welt, kein Sieg und keine Medaille kann das toppen. Aber weil ich jetzt eine Tochter habe, heißt das nicht, dass ich meine Karriere beenden muss. Im Gegenteil: Jetzt ist das Leben noch schöner. Wenn ich vom Skifahren heimkomme, bin ich voller Tatendrang und möchte Mia bespaßen. Heute gibt es viel mehr Struktur in meinem Leben. Ich war selten so befreit wie jetzt. Meine größte Motivation wartet daheim auf mich. Wenn ich in einem Rennen nur Zehnte werde, ist das vielleicht für mich ein Drama, aber Mia ist das wurscht. Für sie bin ich so oder so die Beste.

Freier Kopf, harte Strukturen

So sehr mir das Muttersein Freude bereitet, habe ich Fragezeichen, ob ich es wieder zurück in den Weltcup schaffe. Ohne den Verband wird es nicht gehen, da müsste es noch Gespräche geben, die klären, wie es funktionieren könnte. Wir sollten uns zusammensetzen und einen guten Plan schmieden. Weichen wir ein wenig von den Strukturen ab, oder bleiben wir beinhart? Mein Wunsch wäre, in einem professionellen Umfeld innovativ zusammenzuarbeiten. Wenn der Kopf frei ist, geht alles viel leichter.

In den letzten Wochen habe ich auf Eigeninitiative trainiert, mit Renate Götschl war ich etwa im Lachtal. Ich bin keine Einzelgängerin, sondern ein sozialer Mensch und gerne Teil eines Teams. Wie für andere Athletinnen auch wäre es eine Vorgabe, die körperliche Fitness mitzubringen. Das kenne ich aus der Vergangenheit. Ich bin seit 2011 im Weltcup, habe in meiner Karriere zehn Podestplätze erreicht. Ein gewisses Selbstvertrauen darf ich mir erlauben. Für mich, für die Trainer, ja für den ganzen ÖSV wäre es eine neue Situation. Vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube, beim ÖSV hat niemand damit gerechnet, dass ich wirklich mit dem Gedanken spiele, wieder zurückzukommen. Wenn alle an einem Strang ziehen, könnte es sehr wohl funktionieren. Mein Weg wäre eine Chance, der Welt zu zeigen: Eine Rückkehr in den Skisport als Mutter ist möglich. Im Biathlon gewinnen Mütter wieder Weltcuprennen und WM-Medaillen, warum soll das eine Skifahrerin nicht schaffen?

Für mich ist Skifahren alles, aber jetzt habe ich auch ein anderes Leben. Vieles läuft anders als erwartet. Es ist nicht so leicht, alles unter einen Hut zu bringen. Ich habe zwei Fulltime-Jobs, jede berufstätige Mama kennt das. Ich möchte in beiden Bereichen 100 Prozent geben. Der Ehrgeiz ist komplett da. Meine Tochter bringt mir Stärke.

Als Mutter sollte man nicht alles dieser Rolle unterordnen. Man darf nie auf sich selbst vergessen. Ich denke, ganz viele Mütter trauen sich eine Führungsposition nach einer Geburt nicht mehr zu. So eine kleine Maus ist eine große Motivation. Man ist danach noch leistungsfähiger. Man muss nicht jahrelang daheimbleiben und babysitten. Aber es braucht das passende Umfeld, das ist klar. Das hat nicht jede.

Tamara Tippler beim Sprung
Bei der WM im Februar 2023 fuhr Tippler schwanger den Super-G.
EPA

Polizei als Sicherheitsnetz

Ich dachte ja schon, im Sport weiß es scheinbar jeder besser. Dann wurde ich Mutter und merkte, in der Erziehung ist es noch viel wilder. Es gibt 1.000 Meinungen und ungefragte Ratschläge. Klar ist: Ich werde nie etwas tun, was Mia schaden würde. Die Leute müssen sich keine Sorgen machen, zu Hause wäre für alles gesorgt.

Die Babypause bedeutet für mich einen Einkommensverlust, Preisgelder kommen ja keine herein. Ich bin aber Polizeisportlerin und als solche ganz normal in Karenz. Für uns Profis ist es ein tolles Privileg, den Sport ausüben zu können. Mit meiner Polizeiausbildung habe ich auch die Sicherheit, nach der Karriere direkt ins Arbeitsleben einzusteigen. Das ist beruhigend und eine große Erleichterung.

Ich wollte schon als junges Mädchen immer in den Weltcup kommen, bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen starten. Irgendwann kam der Wunsch dazu, Mama zu werden. Zeitlich exakt planen lässt sich eine Schwangerschaft nicht. Wir hatten Glück, weil es relativ bald geklappt hat. In meinem Bekanntenkreis bekomme ich mit, dass viele jahrelang um ihren Kinderwunsch kämpfen.

Männliche Skiprofis sind im Fall einer Geburt ein paar Tage zu Hause, kehren dann in den Weltcup zurück, und ihnen wird zugetraut, dass sie emotional bei der Sache sind. Bei Frauen kann gern der Vorwurf kommen: Dein Kind ist krank, und du fährst hier ein Rennen? Ja, klar fahre ich dann auch ein Rennen, weil im Hintergrund alles geregelt ist! Ich habe daheim eine zweite stabile Säule, die alles trägt.

Boden der Realität

Mias Geburt war ein Kaiserschnitt. Ich habe schon oft gehört, ich sei gar nicht verletzt, ich hätte ja nur ein Kind bekommen. Dass es eine riesige OP war, bei der der Unterbauch durchtrennt wird, daran denkt kaum jemand. Es ist ein Irrglaube, dass ich vom Krankenbett gleich auf die Beinpresse springe. Hormontechnisch haut es dich komplett durcheinander. Körperlich ist nichts so wie vorher. Früher war der Rumpf meine Stärke, die Körperspannung. Nach der Geburt musste ich schauen, wie ich überhaupt zwei Sit-ups schaffe. Da wurde ich auf den Boden der Realität zurückgeholt.

Meine Fortschritte sehe ich positiv. Ich bin bei weitem noch nicht in der Form, die ich für einen Saisonbeginn brauchen würde, aber bis November wäre genug Zeit. Ich kenne Läuferinnen, deren Körper echte Maschinen sind, die aber bis jetzt keinen einzigen Weltcuppunkt geholt haben. Ich müsste mich voll reinhängen, ob mit oder ohne Kind. Da gibt es keine Ausreden.

Beim Skiweltverband bin ich als verletzt eingestuft. Bei meiner Rückkehr würden meine Leistungen aus der Vergangenheit berücksichtigt werden, ich müsste bei Rennen nicht als Letzte starten, sondern hätte eine Startnummer in den Top 30. Ich müsste so oder so schnell Ski fahren, sonst wird man vom ÖSV auch nicht nominiert.

In einem Jahr findet in Saalbach die WM statt. Wenn ich mich dazu entschließe weiterzumachen, wäre es ein großes Ziel, dabei zu sein. Ich wäre gern Vorbild für Frauen, die den Mut fassen, es auch zu probieren. Vielleicht haben andere Skifahrerinnen die Karriere beendet, um Familie zu gründen, das weiß ich nicht genau. Aber ich bin dieselbe Tammy, habe mich nicht zum Schlechten verändert, ich bin gleich lustig oder verwirrt wie davor. Jetzt hätte ich zumindest Zeit, mich auch mental auf die Situation, auf harte Phasen vorzubereiten und mir gleichzeitig keinen Stress aufzusetzen. Im schlimmsten Fall würde ich mir ein Flugticket von wo auch immer buchen und heimfliegen. Heim zu meiner Mia. Dieser Gedanke beruhigt mich." (Lukas Zahrer, 19.3.2024)