Mit durchschnittlich etwas über elf Liter reinem Ethanol gehört Österreich laut der jüngsten OECD-Statistik zu den Ländern mit dem höchsten Alkoholkonsum (Platz fünf unter 38 Mitgliedsstaaten). Dementsprechend sind wir auch recht kreativ, wenn es um mehr oder weniger poetische Umschreibungen für den Zustand des Betrunkenseins geht. Das Buch "Österreichisch für Anfänger" listet immerhin 30 spezifisch österreichische Synonyme zusätzlich zu den üblichen Bezeichnungen wie angetrunken, besoffen, blau, breit, dicht, (blunzen)fett, im Öl, rauschig, voll oder zu auf.

Bei intensiverer Suche und Inkludierung lokaler Dialekte kämen wohl noch ein paar Dutzend weiterer Umschreibungen dazu, wodurch deren Zahl im österreichischen Deutsch im niedrigen dreistelligen Bereich liegen könnte. Im Vergleich zu dem noch erfinderischeren Englisch gibt es aber noch viel Luft nach oben. In dieser Sprache gibt es sogar einen eigenen Begriff dafür, nämlich "drunkonyms". Die Linguistin Christina Sanchez-Stockhammer (TU Chemnitz) und ihr Kollege Peter Uhrig (Uni Erlangen) haben sich für einen Beitrag im aktuellen "Yearbook of the German Cognitive Linguistics Association" diesen englischen Umschreibungen gewidmet und kamen dabei auf nicht weniger als 543 Drunkonyms, die sich in drei Lexika wie dem Oxford English Dictionary oder auf einer einschlägigen Liste der BBC finden ließen.

Erste Phase der Betrunkenheit
So fängt es an: erste Phase der Betrunkenheit, fotografiert um 1865 in Australien.
Charles Pickering / Mitchell Library, State Library of New South Wales

Ihre unterhaltsame Studie mit dem schönen Titel "'I’m gonna get totally and utterly X-ed.' Constructing drunkenness" verrät schon ganz zu Beginn, wie ein nicht ganz kleiner Teil dieser Ausdrücke zustande kommt: Ein Intensität vermittelndes Umstandswort wie "totally" oder "utterly" wird mit einem Begriff kombiniert, der ein Partizip perfekt darstellt oder dazu gemacht wird. 312 der Drunkonyme, also deutlich mehr als die Hälfte, haben eine -ed-Endung.

Jan Hammered und Bernhard Langered

Beispiele gefällig? "(I was totally) rat-arsed/carparked/fuckfaced/owly-eyed/pyjamaed/schnockered/shithoused". Es gibt in dem Zusammenhang auch einige Promis, die zu Drunkonym-Ehren kamen, wie den Jazzmusiker Jan Hammer(ed) oder den deutschen Golfer Bernhard Langer(ed) – beide natürlich wegen der bereits existierenden Drunkonyme "hammered" und "langered". Einfallsreiche Phrasen wie "Mozart and Liszt" (um nicht das Wort "pissed" in den Mund zu nehmen) haben Sanchez-Stockhammer und Uhrig dabei gar nicht erst in die Liste aufgenommen.

Betrunkenheit
Der Zustand der Alkoholisierung schreitet langsam fort ...
Charles Pickering / Mitchell Library, State Library of New South Wales

In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Alkoholintoxikation bildet die linguistische Komponente freilich nur einen Nebenaspekt. Im Zentrum stehen im Normalfall physiologische und toxikologische Zugänge. Diese Medikalisierung hat wohl auch mit dazu beigetragen, dass der Alkoholkonsum in den letzten Jahrzehnten weltweit tendenziell zurückging – und gerade auch unter jungen Menschen in unseren Breiten weniger beliebt ist als früher. Auch die Warnungen vor Alkohol haben sich entsprechend verschärft: So erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jänner 2023, beim Alkoholkonsum gebe es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge. Das Risiko für die Gesundheit beginne schon beim ersten Tropfen jedes alkoholischen Getränks.

Unbestritten ist, dass Alkohol in ausreichend hohen Konzentrationen einerseits schwere und sogar tödliche Körperfunktionsstörungen bewirkt und andererseits zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zumindest bestimmter sensomotorischer Fertigkeiten führt, weshalb etwa auch das alkoholisierte Lenken von Fahrzeugen unter Strafe steht. Zudem herrscht weitgehend Konsens darüber, dass Alkohol die Funktionen "höherer Hirnzentren" unterdrückt, wodurch weder menschliche Vernunft noch Gewissen ihre hemmenden Funktionen ausüben können. Das wiederum begünstige gewaltsame Übergriffe, im besseren Fall konsensuale sexuelle Annäherungen.

Zweifel an der universellen Enthemmung

Diese Annahme hat auch Eingang in unsere Strafgesetzgebung gefunden. Aber ist sie auch empirisch haltbar? Craig MacAndrew und Robert Edgerton, zwei kalifornische Sozial- und Kulturanthropologen, hatten in den 1960er-Jahren angesichts der doch sehr unterschiedlichen ethnografischen Berichte über Betrunkenheit in aller Welt so ihre Zweifel und gingen der Frage systematischer nach.

Für ihr bahnbrechendes Standardwerk "Drunken Comportment", das 1969 auf Englisch erschien und seit kurzem unter dem Titel "Betrunkenes Betragen" endlich auch in einer gelungenen deutschen Übersetzung vorliegt, werteten sie zahllose Studien über insgesamt rund 200 Ethnien rund um den Globus aus. Darunter befinden auch historische Untersuchungen des österreichischen Jesuiten Martin Dobrizhoffer (1718–1791) über die Abiponen im heutigen Paraguay oder seines ebenfalls aus Österreich stammenden Landsmanns Gerardo Reichel-Dolmatoff (1912–1994), der unter anderem die Tucano in Kolumbien erforschte.

Dritte Phase der Betrunkenheit
... und bewegt sich in Richtung "blunzenfett".
Charles Pickering / Mitchell Library, State Library of New South Wales

Während die Trinkgelage bei den bescheidenen und zurückhaltenden Abiponen oft genug in offener Barbarei und blutigen Gemetzeln endeten und damit der rauschinduzierten Transformation zum Schlechteren entsprachen, ging es etwa im Tucano-Dorf Artitama in der Mitte des 20. Jahrhunderts ganz anders zu: Schwer betrunkene Personen waren dort unaufdringlich und still, wurden weder "aggressiv, sentimental, geschwätzig oder amourös", berichtete Reichel-Dolmatoff.

Trinken bis zum Umfallen

Zahlreiche weitere ethnografische Berichte rund um den Globus, die Craig MacAndrew und Robert Edgerton kompilierten, widersprechen ebenfalls unseren Vorstellungen vom notwendigerweise enthemmenden Alkoholexzesses: Bei den Tohono O'Odham ("Volk der Wüste") beispielsweise, die im Grenzgebiet von Arizona und Mexiko lebten, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zwar buchstäblich bis zum Umfallen gesoffen, was die jungen Männer – mögliche Ideengeber für Christian Louboutin – dazu brachte, ihre Fußsohlen rot anzumalen, damit man im Vollrausch die schöne Farbe sehen kann. Das Gewaltsamste im Vollrausch seien die Lieder gewesen, die sie sangen, berichtete die US-Anthropologin Ruth Underhill.

Vierte Phase der Betrunkenheit
Das Ende eines australischen Vollrauschs anno 1865.
Charles Pickering / Mitchell Library, State Library of New South Wales

Auf Tahiti wiederum habe laut MacAndrew und Edgarton das alkoholisierte Verhalten im Laufe der Jahrhunderte gleich mehrere auffällige Transformationen erfahren: Auf eine Phase der Ablehnung von Alkohol folgte eine des gewaltsamen Alkoholexzesses, ehe man im 20. Jahrhundert zu einem pazifistischen Verhalten im Dusel zurückkehrte. Die beiden Autoren nützen ihre These von der kulturellen Bedingtheit des betrunkenen Verhaltens aber auch für ein explizit antirassistisches Argument: Der unglückliche Umgang der Ureinwohner Nordamerikas mit "Feuerwasser" liege nicht in deren Wesenheit begründet, sondern sei mit dem schlechten Vorbild erklärbar, das ihnen die europäische Kolonisatoren beim Saufen abgegeben hätten.

Unter dem Strich spricht das von MacAndrew und Edgerton zusammengetragene Beweismaterial, das der deutsche Psychiater Jakob Hein klug kommentierte, doch recht eindrücklich für einer Kulturalisierung des betrunkenen Betragens: Wie sich "blunzenfette" Menschen verhalten, hat mit gesellschaftlichen Konventionen mindestens ebenso viel zu tun wie mit dem toxischen Angriff des Alkohols auf den Sitz unserer Selbstkontrolle. (Klaus Taschwer, 21.3.2024)