Justizwachebeamten führen die Angeklagten in den Großen Schwurgerichtssaal des Landesgericht für Strafsachen Wien.
Vier Algerier im Alter zwischen 21 und 29 Jahren sind angeklagt, im vergangenen Jahr einen Landsmann ermordet zu haben. Nur einer ist geständig.
APA / TOBIAS STEINMAURER

Wien – Wenn ein Gerichtsmediziner in einem Verfahren sein Gutachten erstattet, ist das selten gustiös. Was Sachverständiger Wolfgang Denk am letzten Tag in der Mordverhandlung gegen vier Angeklagte erzählt, lässt einem wirklich kalte Schauer über den Rücken laufen. Es geht um den "Machetenmord", bei dem am 20. April ein 32-Jähriger bei der U-Bahn-Station Jägerstraße in Wien-Brigittenau mit Hieben und Stichen so schwer verletzt wurde, dass er schlussendlich verblutete.

Wie Denk referiert, muss es ein grässlicher Todeskampf gewesen sein: Zwölf Stunden lang haben die Ärzte im Spital um das Leben des Algeriers gekämpft, ehe das Herz-Kreislauf-System endgültig versagte. Eine "Vielzahl an Verletzungen" wies der Getötete auf, vom gebrochenen Schädel bis zur "subtotalen Amputation" des Unterschenkels. Die abgebrochene Spitze einer der Tatwaffen, die für das Verbrechen namensgebende Machete, steckte im Körper. Laut Denk muss aber am Tatabend zumindest eine weitere Waffe im Spiel gewesen sein: In der linken Brustseite fand sich ein Einstich, der zu schmal für eine Machete ist und wohl von einem Messer stammt.

Geständiger sieht eskalierte Notwehr

Eine Erkenntnis, die die Darstellung der vier angeklagten, 21 bis 29 Jahre alten Algerier erschüttert. Nahm doch bereits zum Auftakt der Zweitangeklagte alle Schuld auf sich. Er allein habe das Opfer in einer Art von Notwehr getötet, behauptet der Zweitangeklagte. Zwei seiner Freunde hätten ihn und seinen Wohnungskollegen damals angerufen und berichtet, sie seien vom Getöteten und seinen Kumpanen attackiert worden. Da er ohnehin einen längeren Konflikt mit der Gegenseite hatte, habe er eine in der Wohnung gefundene Machete genommen, sein Mitbewohner, der Viertangeklagte, ein ebenso gefundenes Messer, und gemeinsam sei man zu den Freunden in einen Park gefahren.

Dort war die Auseinandersetzung aber bereits vorbei, da man schon außer Haus gewesen sei, habe man sich zu viert auf eine Bank gesetzt und geraucht, versucht der Zweitangeklagte dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Daniel Rechenmacher klarzumachen. Nach 20 Minuten sei das Opfer mit einem Begleiter plötzlich erschienen und habe versucht, ihn mit einem Messer anzugreifen. Als Reaktion habe er mit der Machete zugeschlagen, als das flüchtende Opfer nahe der U-Bahn-Station zusammengebrochen sei, habe er wie von Sinnen weiter auf den 32-Jährigen eingeschlagen, sagt der zehn Jahre jüngere Zweitangeklagte. Seine drei Mitangeklagten bestreiten, irgendwie involviert gewesen zu sein.

Eine Version, die die Staatsanwältin definitiv nicht glaubt. "Alle vier haben uns frech angelogen und versucht, uns für dumm zu verkaufen!", appelliert sie in ihrem Schlussplädoyer an die Laienrichterinnen und -richter. "Warum lügen die Angeklagten? Weil sie schuldig sind", ist sie überzeugt. Es sei bei der "Horrortat" um verletzte Ehre, Geld und Drogen gegangen, das Quartett habe gemeinsam eine "Racheaktion" durchgeführt, daher seien alle schuldig. "Blutrache darf es bei uns nicht geben", fordert sie hohe Strafen für die Angeklagten.

"Alle vier sind keine Engel"

Die Verteidigerinnen Anita Schattner, Elisabeth Mace und Nina Binder widersprechen. Der Zweitangeklagte habe seine Schuld eingestanden, die anderen drei seien in den Plan aber nicht eingeweiht gewesen. "Alle vier sind keine Engel", gesteht Binder zwar zu, dennoch gelte der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten", stellt sie klar. Der Verteidiger des Viertangeklagten, der originellerweise den Sachverständigen Denk sinngemäß fragte, ob nicht auch ein Behandlungsfehler im Spital zum Tod des Opfers geführt haben könnte (die Antwort lautet Nein), wirft der Anklägerin überhaupt vor, nicht die Wahrheit zu sagen und eine Geschichte zu erfinden.

Vier Schuldsprüche

Gegen 17.30 Uhr verkünden die Geschworenen ihren Wahrspruch: Die vier Angeklagten werden im Sinn der Anklage für schuldig befunden und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Geschworenen gelangten mehrheitlich – im Fall des 22-Jährigen einstimmig – zur Ansicht, dass alle vier unmittelbar an der vorsätzlichen Tötung des 31-jährigen beteiligt waren. Für den 22 Jahre alten Hauptangeklagten setzt es eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der 21-Jährige bekommt 15 Jahre, die 25 und 29 Jahre alten Männer jeweils 17 Jahre Haft.

Bei der Strafbemessung wurde die bisherige Unbescholtenheit der Männer mildernd gewertet, wobei der Richter betonte, dass man aufgrund ihrer Verwicklung in Drogengeschäfte von keinem ordentlichen Lebenswandel ausgehen könne. Beim Jüngsten wurde auch der Umstand berücksichtigt, dass er zum Tatzeitpunkt noch keine 21 Jahre alt und somit ein junger Erwachsener war. Erschwerend war "die Brutalität und Rücksichtslosigkeit bei der Tatbegehung", wie es in der Urteilsbegründung hieß. Beim 22-Jährigen, der dem Opfer die Machete zunächst zwei Mal auf den Kopf geschlagen hatte und, nachdem dieser zu Boden gegangen war, wiederholt auf dessen Beine einhieb, sei "nichts anderes als eine lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht gekommen", sagte der Richter.

Der 21-Jährige akzeptierte die über ihn verhängte Strafe, während die Rechtsvertreterinnen der drei weiteren Verurteilten Bedenkzeit erbaten. Deren Urteile sind damit nicht rechtskräftig. Die Staatsanwältin war mit sämtlichen vier Urteilen einverstanden. Damit erwuchsen die 15 Jahre für den 21-Jährigen bereits in Rechtskraft. (Michael Möseneder, APA, 19.3.2024)