Sonne, Wolken, Meer
Die Durchschnittstemperaturen der Luft und der Weltmeere steigen rasant weiter.Klimaforscher gehen davon aus, dass uns heuer weitere ungeliebte Rekorde ins Haus stehen werden.
Foto: AFP/DAVID GANNON

Der aktuelle Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) lässt kein gutes Haar an der klimatischen Entwicklung des vergangenen, an negativen Rekorden reichen Jahres. So lag etwa die globale Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche im Schnitt 1,45 Grad Celsius über dem vorindustriellen Referenzwert – das Jahr war damit das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Der europäische Klimawandeldienst Copernicus hatte die Erwärmung 2023 sogar mit plus 1,48 Grad angegeben. Davor war 2016 das wärmste Jahr, mit rund plus 1,3 Grad. Insgesamt waren die vergangenen zehn Jahre nach Uno-Angaben weltweit das heißeste Jahrzehnt seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen.

Die WMO betrachtet jeweils Datensätze von Copernicus und mehrerer anderer renommierter Institute zusammen. Deshalb ist ihr Bericht über Klimaveränderungen besonders breit abgestützt und gilt als globale Richtschnur.

"Alarmstufe Rot"

Auffällig sind auch die seit März 2023 außerordentlich hohen Temperaturen der Oberflächenwasser der Weltmeere. Verantwortlich dafür ist laut der Bestandsaufnahme vor allem das Klimaphänomen El Niño, das sich im Jahr 2023 entwickelt und im September seine volle Ausprägung erreicht hat. Doch El Niño sei dabei nicht der einzige ausschlaggebende Faktor, denn etwa die starke Erwärmung des nordöstlichen Atlantiks sei nicht typisch für ein El-Niño-Jahr, so der Bericht.

WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo sprach bei der Veröffentlichung des Berichts am Dienstag von "Alarmstufe Rot". "Beim Klimawandel geht es um viel mehr als um Temperaturen. Was wir im Jahr 2023 erlebt haben, insbesondere die beispiellose Erwärmung der Ozeane, den Rückzug der Gletscher und den Verlust des antarktischen Meereises, gibt Anlass zu besonderer Sorge", erklärte sie.

Grafik, Klima, Oberflächentemperaturen
Jährliche Anomalien der globalen Durchschnittstemperatur (im Vergleich zu 1850 bis 1900) von 1850 bis 2023.
Grafik: WMO

Ozeanische Hitzewelle

Im Lauf des Jahres hätten 90 Prozent der Ozeanregionen eine Hitzewelle erlebt, so die WMO. Zudem hätten die Gletscher mehr Eis verloren als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen 1950, vor allem in Nordamerika und Europa. Auch die Ausdehnung des antarktischen Meereises habe einen Negativrekord erreicht. Die maximale Ausdehnung sei eine Million Quadratkilometer kleiner gewesen als beim vorherigen Negativrekord: Das entspricht einer Fläche etwa so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen.

Der global durchschnittliche Meeresspiegel sei im vergangenen Jahr so hoch gewesen wie nie seit Beginn der Satellitenmessungen 1993. In den vergangenen zehn Jahren sei der Meeresspiegel doppelt so schnell gestiegen wie in den ersten zehn Jahren seit Beginn der Satellitenmessungen. Ursachen seien sowohl die Schmelze von Gletschern und Meereis als auch die thermische Ausdehnung des wärmeren Wassers.

Untätigkeit kommt teuer zu stehen

Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie der Universität Leipzig kritisierte anlässlich des Berichts, dass in der öffentlichen Debatte hierzulande verbreitet der Eindruck dominiere, die Klimawandelfolgen seien durch Technologie schon irgendwie zu bewältigen. Es fehle an Willen, die Klimakrise ernst zu nehmen.

"Tatsache ist, dass die durch Nichthandeln entstehenden Klimawandelfolgekosten die nötigen Kosten, um den Klimawandel rechtzeitig zu stoppen, um fast den doppelten Betrag jährlich übersteigen werden." Je mehr jetzt investiert werde, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden, desto mehr Geld werde insgesamt mittelfristig gespart. "Heutige Untätigkeit wird unsere Kinder und Enkel teuer zu stehen kommen."

Grafik, Klima, Ozeantemperaturen
Die Weltkarte zeigt die extremen Oberflächentemperaturen der Ozeane im Jahr 2023 (Referenzzeitraum 1982 bis 2011).
Grafik: WMO

Noch weit vom Ziel entfernt

Derzeit reichen die Bemühungen der Menschheit bei weitem noch nicht, um die Erderwärmungen mittelfristig auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, wie völkerrechtlich vereinbart wurde, berichten unterdessen Wiener Wirtschaftswissenschafter. Ohne drastische Veränderungen steigen die Treibhausgasemissionen bis 2050 deutlich, anstatt eine Nettonull zu erreichen, berichten Lukas Vashold und Jesus Crespo Cuaresma von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien im Fachjournal "Communications Earth & Environment". Auch in Österreich seien die Einsparungsprognosen teils zu optimistisch.

Um das Ziel des Pariser Klimaabkommens – eine Klimaerwärmung von 1,5 Grad als Zielpfad gegenüber der vorindustriellen Zeit, jedoch deutlich unter zwei Grad zu bleiben – zu erreichen, müsste man global laut den Vereinten Nationen im Jahr 2050 bei Netto-Null-Emissionen angekommen sein; es müssten also die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen zur Gänze wieder ausgeglichen werden.

Für seine Prognose entwickelte das Team vom Department für Volkswirtschaft ein Computermodell, das mit ökonomischen und demografischen Daten gefüttert wurde, um realistische Projektionen für die Treibhausgasemissionen von 173 Staaten bis zum Jahr 2050 auszuspucken. Das Ergebnis sei ernüchternd, hieß es.

Elektrifizierung als wichtiger Baustein

Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern lassen starkes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum laut den neuen Modellberechnungen die Emissionen weiter ansteigen. Einige reiche Länder könnten die ausgestoßenen Treibhausgasmengen im Industrie- und Energiesektor zwar reduzieren, doch beim Transport würden sie auch hier anwachsen. "Eine stärkere Elektrifizierung wäre hier ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen", so Crespo Cuaresma: "Es ist aber wichtig, dass der Strom für die Elektroautos klimaneutraler produziert wird als bisher."

Anhand der Prognosen der WU-Forscher sind negative Spitzenreiter beim Treibhausgasausstoß im Jahr 2050 die USA, Indien und China. Demnach würde im Jahr 2033 Indien die USA überholen und vom zweiten Rang verdrängen. "Große Diskrepanzen ergeben sich, wenn man die Daten des Modells mit den Emissionszahlen vergleicht, die einige Staaten bei den Uno-Klimakonferenzen vermelden", so die Wissenschafter.

Video: Das Klima im Jahr 2023
World Meteorological Organization - WMO

Falsche Zahlen

Bei Schwellenländern wie der Türkei, Indonesien und dem Iran übersteigen die errechneten Emissionen die Zahlen des Modells sogar um mehr als 50 Prozent. "Diese Staaten überschätzen sie wahrscheinlich, damit ihre geplanten Maßnahmen wirkungsvoller aussehen", so Crespo Cuaresma. Er schlägt vor, dass dagegen eine wissenschaftliche Watchdog-Organisation, eine "Überwachungsorganisation", eingerichtet wird.

Die Prognosen des globalen Modells sind auch "etwas pessimistischer" als jene des österreichischen Umweltbundesamts, so Vashold: Es würde kaum einen Rückgang der Emissionen, sondern eher einen leichten Anstieg (nach einem starken Rückgang ausgelöst durch die Corona-Pandemie) projizieren. "Der größte Unterschied zeigt sich dabei im Transportsektor, in dem laut WU-Modell ein Anstieg um knappe fünfzehn Prozent bis 2040 prognostiziert wird, während das Umweltbundesamt einen Rückgang von knapp zehn Prozent sieht", erklärte er. (tberg, red, APA, 19.3.2024)