Anton Bruckner an seinem Arbeitsplatz
Anton Bruckner an seinem Arbeitsplatz.
Österreichische Nationalbibliothek

Musikant des katholischen Gottes? Unbeholfener Landmensch, verloren in der Kaisermetropole Wien? Ein zeitlebens unverheiratet gebliebener Brautwerber, der nur Körbe bekam und zum schrulligen Außenseiter und rätselhaften Genie wurde, dessen Symphonien von schockierender Modernität waren? Dirigent Hans von Bülow bezeichnete Anton Bruckner wenig charmant als "halb Genie, halb Trottel". Und Johannes Brahms, ästhetisch auf der anderen, formal klassizistischen Seite, sprach von einem armen, verrückten "Menschen, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen haben".

Was den Wesenskern des 1824 im oberösterreichischen Ansfelden geborenen Komponisten ausmacht, dessen 200. Geburtstag heuer gefeiert wird, darüber darf also nach Gutdünken gerätselt werden. Eine reizvolle Möglichkeit, die eigenen Bruckner-Fantasien mit Dokumenten abzugleichen und zu weiten, bietet die Sonderausstellung in den Prunkräumen der Nationalbibliothek.

"... bitte retten Sie mich ..."

In jedem Fall war Bruckner ein ehrgeiziger Komponist, der aber seine Zeit brauchte, um er selbst zu werden. Spät, mit Mitte 40, übersiedelte er nach Wien, was 1868 eine psychische Herausforderung dargestellt haben muss. Zeugnisse der Unsicherheit sind Briefe Bruckners etwa an seinen Freund, Mentor und Dirigenten Johann Herbeck. Sätze wie „in Ihre Hände lege ich mein Schicksal, bitte retten Sie mich ..." gehen an einen Vertrauten, der als Juror über das Genie Bruckner nach dessen Orgelprüfung in der Piaristenkirche ausgerufen hatte: "Er hätte uns prüfen sollen!"

Zu alledem bietet die Ausstellung "Der fromme Revolutionär", kuratiert von Andrea Harrandt und Thomas Leibnitz, opulentes Anschauungsmaterial. Es war schließlich Bruckner selbst, der seinen Nachlass an die damalige k. k. Hofbibliothek überantwortete. Chronologisch-biografisch angelegt, zeigt die Schau rund 130 Objekte. Darunter finden sich unbekannte Fotografien, Porträts, Dokumente des Alltags und natürlich die Originalmanuskripte der Symphonien, die oft recht rüde rezensiert wurden.

Brahms' Grenzen

Bruckner komponiere "wie ein Betrunkener", ist da zu lesen, oder: „Herr Bruckner mordet Vater und Mutter mit der Überzeugung, es müsse so sein." Und Kollege Brahms? "Alles hat seine Grenzen. Bruckner liegt jenseits, über seine Sachen kann man nicht hin und her, kann man gar nicht reden." Bruckner litt. Was Wunder, dass er Kaiser Franz Joseph bat, auf seinen Hauptkritiker Eduard Hanslick einzuwirken, nicht negativ über ihn zu schreiben. Seine Hoheit kam dem Wunsch nicht nach. (Ljubiša Tošić, 20.3.2024)