Pension, Antrittsalter
In Österreich geht ein Großteil der Männer vor dem Regelpensionsalter in Pension. Das liege auch an Unternehmen, die Ältere in die Frühpension "entsorgen", sagt Pensionsexperte Ulrich Schuh.
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Wer als junger Mensch in Dänemark zu arbeiten anfängt, muss sich auf ein langes Arbeitsleben einstellen. Ab 2060 liegt das Pensionsantrittsalter in dem Land bei 74 Jahren – sowohl für Frauen als auch für Männer. Auch in Schweden und Finnland werden viele Menschen künftig wohl erst mit 70 Jahren in Pension gehen. Der Grund: In allen drei Ländern ist das Pensionsantrittsalter automatisch an die Lebenserwartung gekoppelt. Da die Lebenserwartung immer weiter steigt, geht auch das Pensionsalter nach oben.

Anders sieht es in Österreich aus. Das Antrittsalter der Frauen soll hierzulande zwar bis 2033 schrittweise an jenes der Männer angehoben werden. An der 65-Jahre-Grenze ändert sich jedoch nichts. Im Vergleich zu anderen OECD-Staaten gehen Frauen in Österreich im Schnitt mit 60,9 und Männer mit 61,6 Jahren auch deutlich früher in Pension. Männer verbringen hierzulande laut OECD durchschnittlich 21,6 Jahre, Frauen 25,5 Jahre im Ruhestand.

Pensionsalter anheben?

Einigen ist das ein Dorn im Auge. Das aktuelle Pensionssystem gehe sich nicht mehr aus, wir müssen deshalb das gesetzliche Pensionsantrittsalter anheben, sagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger kürzlich in einem Interview. Ähnlich formuliert es die Ökonomin Monika Köppl-Turyna vom arbeitgebernahen Institut Eco Austria: Um der Wirtschaftsflaute und den steigenden Pensionskosten entgegenzuwirken, müsse das gesetzliche Pensionsalter rasch auf 67 Jahre angehoben werden.

Auch der Rechnungshof fand kürzlich klare Worte: Ab Mitte der 2030er-Jahre dürfte das effektive Pensionsantrittsalter in Österreich stagnieren – obwohl die Lebenserwartung steige. Das sei Ausdruck einer fehlenden Strategie zum künftigen Umgang mit dem Pensionsantrittsalter. Eine wichtige Handlungsoption sei die Anhebung des effektiven Pensionsantrittsalters und gegebenenfalls auch des gesetzlichen Pensionsalters. Der Wifo-Chef Gabriel Felbermayr sprach sich kürzlich zumindest für eine teilweise Kopplung des Pensionsantrittsalters an die Lebenserwartung auch in Österreich aus. Was ist dran an diesen Vorschlägen?

Junge müssen mehr schultern

"Die Pension war in ihrer ursprünglichen Form eine soziale Absicherung im Falle von Erwerbsunfähigkeit", sagt Bernhard Binder-Hammer, Bevölkerungsökonom am Institut für Demografie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Erst durch die Babyboomer-Generation – mit einem hohen Anteil an Erwerbstätigen und sinkenden Geburtenzahlen – sei auch eine lange erwerbsfreie Lebensphase möglich geworden. Während dieses System lange gut funktionierte, stoße es heute zunehmend an seine Grenzen. "Die Babyboomer-Generation geht in den nächsten zehn bis 15 Jahren in Pension. Das bedeutet, dass immer mehr Ressourcen von den Jungen an die Alten umverteilt werden müssen." Das Realeinkommen der Jungen sei seit 2010 aber gleich geblieben oder sogar gesunken. Hinzu komme ein Mangel an Arbeitskräften, speziell im Gesundheits- und Pflegebereich, der sich in Zukunft noch verschärfen könnte.

"In den letzten Jahren gab es in Österreich einen Reformstillstand bei den Pensionen", sagt Ulrich Schuh, wirtschaftspolitischer Leiter am Institut WPZ-Research und ehemaliges Mitglied der Pensionskommission. Immer dann, wenn die öffentlichen Finanzen nicht stark unter Druck stehen, verteile die Politik Geschenke an Pensionsbezieher, etwa in Form von Pensionserhöhungen. Bestimmte Jahrgänge werden dadurch stärker bevorzugt als andere. "Es fehlt ein Bewusstsein für ein nachhaltiges Pensionssystem."

In diesem Jahr gibt der Bund rund 20 Prozent mehr für Pensionen aus als im Jahr davor. Rund 30 Milliarden Euro fließen in die Pensionen – rund jeder vierte Euro im Bundesbudget. In Österreich beträgt der Anteil der Pensionsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut OECD rund 13,7 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 10,4, in Dänemark 10,1, in Schweden 9,3 Prozent des BIP. Allerdings sinken gleichzeitig auch die Kosten für die Beamtenpensionen, die ins gesetzliche Pensionssystem überführt wurden. Langfristig werden die staatlichen Pensionsausgaben laut dem gewerkschaftsnahen Momentum-Institut daher nur geringfügig steigen.

Keine einfachen Lösungen

"Wir haben in unserem Alterssicherungssystem Handlungsbedarf. Aber eine einfache Lösung gibt es nicht", sagt Christine Mayrhuber, Ökonomin und Pensionsexpertin am Wifo. Einfach das Pensionsantrittsalter zu erhöhen gehe an den realen Gegebenheiten am Arbeitsmarkt vorbei. Denn je nachdem, in welchen Bereichen Menschen tätig sind, unterscheide sich auch die Lebenserwartung. "Je geringer das Einkommen, desto niedriger ist auch die Lebenserwartung."

Im Alter von 65 Jahren unterscheide sich die Restlebenserwartung von Männern mit Pflichtschul- oder Uni-Abschluss um 4,8 Jahre, bei Frauen um 2,6 Jahre. Männer, die eine Lehre abgeschlossen haben und mit 15 Jahren zu arbeiten begonnen haben, haben mit 65 eine Restlebenserwartung von 17,9 Jahren. Männer mit Uni-Abschluss, die erst zehn Jahre später zu arbeiten begonnen haben, leben nach 65 durchschnittlich noch 20,9 Jahre. "Das Pensionsalter pauschal zu erhöhen kann zu einer sozialen Schieflage führen, die Akademiker bevorzugt."

Höheres Sterberisiko

Ein späterer Pensionsantritt kann zudem auch negative gesundheitliche Auswirkungen haben, wie eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie der Universitäten Barcelona, Pompeu Fabra und Mannheim zeigte. Demnach würde eine Erhöhung des Pensionsalters um ein Jahr ab 60 das Sterberisiko bei Menschen zwischen 60 und 69 Jahren um 2,5 Prozentpunkte erhöhen. Das treffe besonders auf jene Menschen zu, die in Berufen mit starker psychosozialer Belastung, hohem Stress oder anstrengender körperlicher Belastung arbeiten, sagt Han Ye, Ökonomin an der Universität Mannheim und Co-Autorin der Studie.

Ein längerer Verbleib im Job müsse aber nicht immer negative Auswirkungen haben. "Das betrifft vor allem jene Menschen, die in ihrem Job viel Anerkennung bekommen und Erfolgserlebnisse haben." Statt das Pensionsalter pauschal zu erhöhen, brauche es flexiblere Möglichkeiten, schrittweise in den Ruhestand zu gehen. Das bedeute auch, den Arbeitsplatz altersgerechter zu machen.

Entwicklung verschlafen

"Viele Betriebe haben diese Entwicklung leider verschlafen", sagt Ingrid Mairhuber, Expertin bei der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt. In der Praxis seien ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute schon oft gesundheitlich gefährdet. "Wenn die Leute mit 55 schon Probleme haben, weil sie sich im Job überarbeitet haben, ist es oft schon zu spät." Als ältere Person überhaupt wieder in einem Betrieb angestellt zu werden sei extrem schwierig. 2023 lag die allgemeine Arbeitslosenquote in Österreich bei 6,4 Prozent, bei den 60- bis 65-Jährigen hingegen bei 9,8 Prozent.

Das Pensionsantrittsalter zu erhöhen heiße de facto, die Menschen länger in den Krankenstand oder in die Arbeitslosigkeit zu schicken, sagt Mairhuber. Das führe auch zu einer Individualisierung des Problems. Anstatt von der Beschäftigung aus landen viele vom Krankenstand oder der Arbeitslosigkeit aus im Ruhestand.

Arbeitsbelastung besser aufteilen

Künftig müssten die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass man von jung bis alt gut durchkommt und die Arbeitsbelastung über die Arbeitsjahre besser aufgeteilt wird, sagt Mairhuber. "Da müssten von den Unternehmen viel mehr Möglichkeiten kommen." Um die Finanzierung der Pensionen zu garantieren, sollte laut der Expertin vermehrt Geld aus jenen Bereichen kommen, in denen bei wenigen Beschäftigten vergleichsweise viel Vermögen lukriert wird – beispielsweise durch eine Wertschöpfungsabgabe oder eine Finanztransaktionssteuer.

"In Österreich herrschte lange Zeit eine Alles-oder-nichts-Mentalität: Entweder du arbeitest Vollzeit oder gar nicht", sagt Christine Mayrhuber. Diese Mentalität habe viele Jahre lang einigermaßen funktioniert. "Jetzt braucht es aber ein Umdenken seitens der Betriebe." Dazu gehören mehr Möglichkeiten für flexiblere Arbeitsformen und zur Leistungsreduktion.

Wir stecken gerade in einer tiefgreifenden Veränderung dessen, was es heißt, zu altern und in den Ruhestand zu gehen, schrieben Forschende kürzlich im "Harvard Business Review". Die Vorstellung, komplett mit der Arbeit aufzuhören und dann ein oder zwei Jahrzehnte rund um die Uhr Freizeit zu haben, sei zunehmend obsolet und wenig ansprechend. Ältere Arbeitnehmer in besserer, altersgerechter Beschäftigung zu halten könne eine Win-win-Situation sein: für die Beschäftigten, die Unternehmen und die Gesellschaft.

Wir können und sollten Menschen aber auch mit einigen Jahren Auszeit belohnen, in der sie körperlich und geistig noch fit sind, sagt Mairhuber. "Menschen haben das Recht, gesund in Pension zu gehen." (Jakob Pallinger, 22.3.2024)