Wolfgang Sobotka
"Der Kampf gegen Antisemitismus ist nicht die Aufgabe von Jüdinnen und Juden", sagt Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
APA/ROLAND SCHLAGER

Sein Großvater war nicht nur Mitläufer. Sondern SA-Führer. Und bekennender Nationalsozialist schon zu einem Zeitpunkt, als sich noch nicht viele zu dieser Ideologie bekannten. Die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte sei am Anfang nicht leichtgefallen, sagt Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Aber: Ist die anfängliche Scheu vor der Konfrontation einmal überwunden, eröffnet das Potenzial für befreiende Prozesse. "Und der Kampf gegen Antisemitismus ist nicht die Aufgabe von Jüdinnen und Juden", sagt Sobotka. "Es ist unsere Aufgabe."

Einen Beitrag dazu soll die Antisemitismus-Ausstellung in der Parlamentsbibliothek leisten, die am Dienstag runderneuert eröffnet wurde. An sich ist die Schau bereits seit Wiedereröffnung des Parlamentsgebäudes im Vorjahr zu sehen. Die ursprüngliche Gestaltung habe ihren Zweck aber nicht ausreichend erfüllt, sagt der Parlamentspräsident. Zu textlastig, zu sperrig, nicht mehr aktuell genug. Deshalb habe man sich entschlossen, die gesamte Ausstellung zu überarbeiten, interaktiver zu gestalten und mit digitalen Elementen wie Bildschirmen und Videos zu versehen. Gerade Jugendliche sollen damit gezielter angesprochen werden.

Kooperation mit Yad Vashem

In der nun neu eröffneten Schau unter dem Titel "Tacheles reden. Antisemitismus – Gefahr für die Demokratie" sind auch zentrale Ereignisse der jüngeren Zeitgeschichte wie der Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober oder die antisemitischen Darstellungen bei der Documenta 2022 in Kassel enthalten. Aber auch jüdisches Leben in Österreich wird nun verstärkt – und mit Fokus auf seine Vielfältigkeit – dargestellt. In die Konzepterstellung waren neben der Israelitischen Kultusgemeinde etwa die deutsche Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel und der Judaist Armin Lange eingebunden. Auch mit der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem gab es regelmäßigen Austausch.

Die Ausstellung ist einerseits für alle Besucherinnen und Besucher im Hohen Haus am Ring zugänglich. Andererseits wird sie die Grundlage für Workshops der Demokratiewerkstatt des Parlaments bilden. "Antisemitismus ist immer antidemokratisch", sagte Sobotka am Mittwochabend vor Journalistinnen und Journalisten. Auch deshalb sei es Aufgabe des Parlaments, dagegen anzukämpfen.

Ehrlicher Umgang mit Österreichs Geschichte

In der Schau wird ein breiter Bogen von den Ursprüngen des Antisemitismus in der Bibel und seinen Auswüchsen im Mittelalter über den Nationalsozialismus und dessen mangelnde Aufarbeitung im Nachkriegsösterreich bis hin zu aktuellen Ereignissen gespannt. "Die Ursprünge der Judenfeindlichkeit liegen ja im Christentum", sagte Sobotka beim Rundgang durch die Ausstellung.

Auch auf die hartnäckigen Versuche in der Zweiten Republik, den Holocaust und die Verbrechen der NS-Zeit zuzudecken statt aufzuarbeiten, wird in der Ausstellung ausführlich und ehrlich eingegangen; ebenso auf die jahrzehntelangen Versuche, Österreich ausschließlich als "erstes Opfer" des Nationalsozialismus darzustellen. Eine selbstkritische Perspektive, die auch in Sobotkas eigener Partei lange alles andere als eine Selbstverständlichkeit war. Ist sie es denn heute? "Auch bei der Waldheim-Ära ist vieles noch nicht aufgearbeitet", sagte Sobotka. Generell sei die Forschung zum Umgang mit der NS-Zeit ab den 1950er-Jahren weiterhin ein sehr lohnendes Feld – etwa auch für Studierende an den Unis.

Israel als "Sicherheitsversprechen"

Israel sei auch ein Sicherheitsversprechen für Jüdinnen und Jüdinnen weltweit, sagte Sobotka. Eines, für das Deutschland und Österreich aufgrund ihrer Geschichte besondere Verantwortung trügen. In seiner Solidarität mit Israel unterscheide er aber sehr wohl zwischen dem Staat und der Regierung Netanjahu, betonte der Nationalratspräsident. "Die macht es einem nicht leicht."

Viele Menschen aus jüdischen Communitys, auch in Österreich, würden heute berichten, dass sie wieder ihre Koffer gepackt hielten, um im Notfall schnell das Land verlassen zu können. Trotz der aktuellen Lage und des neuen Krieges im Nahen Osten sei Israel auch heute für viele das potenzielle Exit-Szenario. Zu verhindern, dass Jüdinnen und Juden in Europa wieder in Angst vor Angriffen und Übergriffen leben müssten, sei Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft, sagte Sobotka. "Wir müssen verhindern, dass Jüdinnen und Juden wieder Koffer packen." (Martin Tschiderer, 21.3.2024)