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Die einen lassen sich im Training von Musik beflügeln, die anderen horchen lieber in sich hinein und auf die Geräusche in der Umgebung.
Der Standard/Aydogdu Fatih

Wer Marathon läuft, ist zunächst einmal selber schuld. Selber schuld am fast unvermeidlichen Muskelkater, selber schuld auch an einem etwaigen Schädelbrummen, zurückzuführen auf dauerhafte Beschallung während eines guten Teils der gut 42 Kilometer. Das wäre die eine Sichtweise, eine zugegeben sehr puristische. Anhänger dieser Sichtweise werden unter jenen 40.000, die aus 130 Nationen kommen, um am 21. April die diversen Bewerbe des 41. Vienna City Marathon (VCM) unter die Beine zu nehmen, eher in der Minderzahl sein. Denn natürlich gibt es auch eine andere, eine populäre Ansicht. Sie fasst sich so zusammen: Musik baut auf, Musik beflügelt, Musik kann einen oder eine im Finish förmlich ins Ziel tragen.

Der Marathon ist ein Event, so sehen das die VCM-Organisatoren, und so sieht das auch ein Großteil des Felds. Und zum Event gehört Musik. Dafür sorgen unter anderem knapp zwei Dutzend "Boombox Runners" (powered by Wien Energie), die vom Veranstalter mit Boxen ausgestattet werden und in durchaus unterschiedlicher Pace auf die Marathonstrecke gehen. Wer sich einige Stunden lang Radio-Wien-Sound reinziehen will, kann sich gerne anschließen. Dafür sorgen aber vor allem auch viele, viele Musikstationen am Streckenrand. Manches kommt live daher, anderes aus der Konserve. Jedenfalls werden die wirklich ruhigen Streckenabschnitte immer weniger und immer kürzer.

"Symphoniker-Meile" im Prater

Die klassischen 42 Kilometer und 195 Meter präsentieren sich in Wien heuer noch klassischer als sonst. Der VCM ist eine langfristige Partnerschaft mit den Wiener Symphonikers eingegangen. Das schlägt sich am 21. April bereits in der "Symphoniker-Meile" in unmittelbarer Lusthaus-Nähe nieder. Heinrich Bruckner, ein Trompeter des Orchesters und passionierter Läufer, hat eigens eine Playlist erstellt. "Es sind eine Menge Polkas dabei, die kommen sehr beschwingt daher", sagt der mit Anton nicht verwandte Bruckner dem STANDARD. "Aber wir wollten vor allem auch die Bandbreite des Orchesters abdecken. Es gibt Finalsätze von Beethoven-Symphonien, es gibt aber auch Jazziges und Solostücke, nicht nur für die Bläser, ich habe versucht, gerecht zu sein." Vom mit Conchita Wurst eingespielten Album "From Vienna with Love" wird ebenso etwas zu hören sein wie vom Symphoniker-Ableger VSOP. Die Playlist umfasst gut zwanzig Nummern, das reicht für circa hundert Minuten.

Julia Mayer Marathon Rekordlerin
Marathonrekordlerin Julia Mayer ist "komplett drauf reingekippt" und lässt sich bei Trainingsläufen seit einigen Wochen musikalisch begleiten. Von Falco, von STS, von Wolfgang Ambros.
APA/EVA MANHART

Hundert Minuten, das kostet Julia Mayer einen Lacher. Österreichs Marathonrekordlerin (2:26:43 Stunden) legt binnen einer Trainingswoche nicht selten 220 Kilometer zurück. Bei einem langen Lauf ist sie gut und auch gerne drei Stunden unterwegs. Wäre sie vor einem Jahr gefragt worden, ob sie dabei Musik hört, hätte sie das glatt verneint. "Aber vor ein paar Wochen bin ich komplett drauf reingekippt. Und so absurd das klingt, manchmal hör ich 25-mal dieselbe Nummer hintereinander. Nicht nur bei langen Läufen, auch im Intervalltraining." Welche Nummer zum Beispiel? "Aktuell gerade 'It's All Over Now, Baby Blue' von Falco." Nicht unbedingt ein Song, den man als Antrieb empfinden würde. Aber darum geht es Mayer, im Gegensatz zu vielen Hobbyisten, auch nicht. "Was ich beim Laufen höre, darf nicht zu hektisch sein, darf nicht zu viel Bass haben. Sonst werde ich nervös." Laufbewerbe seien eine andere Geschichte. "Da ist alles, was an Musik oder Lärm vom Straßenrand kommt, für mich positiv."

Falco, STS und Ambros

Mayers Trainingsplaylist ist "sehr Österreich-lastig. Da sind auch STS und Wolfgang Ambros dabei. Und eben viel Falco." Diesen unbestritten guten Musikgeschmack verdankt die 31-Jährige ihrer Mutter, die früher während langer Autofahrten fast immer Austropop, nun ja, eingelegt hat. Mayers Gefühl für ihr Tempo ist jedenfalls so ausgeprägt, dass Musik sie nie und nimmer aus dem Rhythmus bringen würde. Andere Laufstars, aber auch Hobbyläufer können es sich dennoch nicht vorstellen, im Training mit Ohrstöpseln unterwegs zu sein. Sie horchen lieber sozusagen in sich hinein oder wollen mit all ihren Sinnen die Umgebung wahrnehmen. Mayer betont, dass sie sich "nur auf Strecken, wo keine Autos unterwegs sind", laufend Musik gibt. "Ansonsten wär es mir zu gefährlich."

Johannes Langer Rennleiter Vienna City Marathon VCM
Johannes Langer, Rennleiter des Vienna City Marathon, hält das Verbot von Kopfhörern und Ohrstöpseln bei Bewerben für wichtig. Wenn er selbst läuft, will er "die Vögel zwitschern hören".
APA/GEORG HOCHMUTH

Eine Aussage, die Johannes Langer dick unterstreichen würde. Langer ist Rennleiter des Marathons in Wien, Veranstalter des Salzburg-Marathons und Coach im Elite- wie im Hobbybereich. Als Rennleiter kann er nur davor warnen, Bewerbe mit Ohrstöpseln oder Kopfhörern zu bestreiten. Laufteilnehmern rät er dringend, sich an das diesbezügliche Verbot zu halten. Es könne immer wieder vorkommen, dass Einsatzkräfte auf der Strecke unterwegs seien. "Und einer, der sich abgekapselt hat und deshalb nichts von der Außenwelt wahrnimmt, ist dann ein ähnliches Problem wie einer, der die Rettungsgasse blockiert, weil er nicht zur Seite fährt."

Zwitschern und Plätschern

Als Coach sieht Langer einerseits den positiven Effekt, den Musik haben kann und der sich auch durch etliche Studien belegen lässt. "Musik erleichtert einfach vieles." Er sieht diese Erleichterung allerdings eher bei Übungen, beim Aufwärmen vor oder beim Stretching nach einem Training als während des Laufens. Wenn er selbst laufen geht, will Langer sich jedenfalls nicht ablenken lassen. "Ich will die Vögel zwitschern hören, ich will den Bach plätschern hören, ich will die Natur und das Drumherum mitbekommen. Viele sitzen den ganzen Tag im Büro, danach gehen sie laufen, setzen sich die Kopfhörer auf und kapseln sich erst recht wieder ab."

New York City Marathon
Nicht nur in Wien, sondern bei Marathons auf der ganzen Welt (hier New York City) macht Musik vom Straßenrand den Läuferinnen und Läufern Beine.
REUTERS/EDUARDO MUNOZ

Zurück zur Klassik, zurück zur Symphoniker-Meile im Prater. Welches Musikstück die Marathonis am 21. April im Vorbeilaufen "erwischen", wird Glückssache sein. Doch wer sich zum Anfeuern in die Nähe des Lusthauses begibt, kann auch in den Genuss der gesamten Symphoniker-Playlist kommen. Gratiskonzert, wenn man so will. Trompeter Bruckner, der schon ein halbes Dutzend Wien-Marathons intus hat, läuft diesmal nicht mit, weil das Orchester auf Tournee sein wird, nimmt sich aber seine nächste Teilnahme für 2025 vor. Die VCM-Partnerschaft mit den Symphonikern läuft sowieso weiter. 2024 ist nur die Ouvertüre. 2025 könnte es eine eigene Marathon-Fanfare geben, die das Orchester am Start vor dem Donauwalzer vielleicht sogar live zum Besten gibt. Für 2026 ist ein eigenes Marathonkonzert am VCM-Vortag angedacht.

Der Trompeter entspannt sich

Wenn Heinrich Bruckner, der Trompeter, in seiner Freizeit läuft, dann läuft er garantiert ohne Ohrstöpsel, ohne Musik. "Ich bin am Tag oft fünf, sechs, sieben Stunden ganz intensiv mit Musik befasst", sagt er. "Es fällt mir auch wirklich schwer, Musik zur Entspannung zu hören. Wenn ich laufen gehe, bin ich froh, wenn ich Ruhe habe." (Fritz Neumann, 23.3.2024)