Blick auf eine Produktionsanlage des Generikaherstellers Sandoz im Werk Kundl
In Kundl, Bezirk Kufstein, hat Sandoz in den vergangenen zwei Jahren rund 200 Millionen Euro investiert, um das Werk, wo Antibiotika für den Weltmarkt hergestellt werden, wieder auf neuesten Stand zu bringen und den Output zu erhöhen.
APA/SANDOZ

Das Werk Kundl sei jetzt wieder auf neuestem Stand, sagt ein sichtlich zufriedener Peter Stenico. Der Österreich-Chef des Schweizer Pharmakonzerns Sandoz, der nach der Abtrennung von Novartis im Zuge eines Börsengangs seit vorigem Herbst einen eigenständigen Weg eingeschlagen hat, ist froh, dass es Unterstützung seitens der öffentlichen Hand für die Stärkung von Kundl gegeben hat. 200 Millionen hat das Unternehmen investiert; 45 Millionen davon hat der Bund beigesteuert, rund fünf Millionen das Land Tirol. An die 2.700 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden künftig in der Lage sein, unterstützt durch viele Roboter bis zu 240 Millionen Medikamentenpackungen pro Jahr auszuliefern.

STANDARD: Wenn die Margen eher klein sind wie im Generikabereich, geht es um Skalierung, um Menge. Hat Sandoz mit der 200-Millionen-Investition nun eine kritische Größe, um den Standort Kundl für längere Zeit profitabel zu halten?

Stenico: Das ist ein kontinuierlicher Vorgang. Seit der Werksgründung vor 77 Jahren versuchen wir am Standort Jahr für Jahr besser zu werden, Prozesse zu optimieren, mehr Output zu generieren. Dazu gehört Pioniergeist, der sich etwa bei der Fermentation zeigt. Dort haben wir das Produktionsvolumen im Lauf der Jahrzehnte um 2.700 Prozent erhöht – nicht weil wir mehr Kapazitäten hinzugefügt haben, sondern durch Verbesserung der Prozesse.

STANDARD: Es geht auch ohne Investitionen?

Peter Stenico, Österreich-Chef des Pharmaunternehmens Sandoz, im Interview.
"Bei der Wirkstofferzeugung waren wir technologisch hinter unserer Konkurrenz, wir mussten investieren", sagt Peter Stenico, Chef von Sandoz-Österreich.
Sandoz / Martin Vandory

Stenico: Nicht immer. Bei der Fermentation, dem ersten Schritt der Penicillinherstellung, waren und sind wir sehr effizient. Bei der Wirkstofferzeugung waren wir technologisch hinter unserer Konkurrenz. Wir mussten investieren – 150 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Ohne die Umstellung des dortigen Produktionsprozesses wären wir nicht mehr konkurrenzfähig gewesen. Weitere 50 Millionen haben wir jetzt in die Kapazitätserweiterung der Fertigformproduktion von Antibiotika investiert. Das ermöglicht es uns, die Produktionskapazität um 20 Prozent auf 240 Millionen Packungen pro Jahr zu steigern.

STANDARD: Kommen neue Antibiotika auf den Markt?

Stenico: Es gibt kaum Forschung in neue Antibiotika. Das Problem ist, dass die existierenden Antibiotika sehr, sehr günstig sind, weil quasi alle Generika am Markt haben, die den Preis drücken. Um ein neues Antibiotikum auf den Markt zu bringen, erzielen die forschenden Firmen nicht den Preis, den sie bräuchten, um die Forschungsausgaben zurückzuverdienen. Wir sind keine forschende Firma im Sinne der Entwicklung neuer Medikamente, wir produzieren. Wenn ein Antibiotikum den Patenzschutz verliert, sind wir zur Stelle.

STANDARD: Das Problem mit Resistenzen wird aber immer größer?

Stenico: Gerade deswegen ist es wichtig, dass es einen Aktionsplan gegen antimikrobielle Resistenzen gibt. Es muss darauf geachtet werden, dass Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltstandards im Produktionsprozess streng eingehalten werden, was leider nicht überall der Fall ist. Sandoz ist sehr engagiert, Ursachen von Resistenzen zu bekämpfen und die korrekte Anwendung von Antibiotika zu fördern. Ärzte müssen zudem aufhören, für alle Wehwehchen Antibiotika zu verschreiben. Auch der Mangel an passenden Antibiotika führt zu Resistenzen.

STANDARD: Brächte Bierbrauen mehr als Penicillin herstellen? Schließlich wurde am nunmehrigen Sandoz-Standort vor vielen Jahrzehnten Bier gebraut?

Stenico: Man soll das machen, was man gut kann, in unserem Fall lebensrettende Medikamente herstellen. Das Werk mit seiner Antibiotikaproduktion trägt zum Wohle der Gesellschaft bei. Wir können das gut, deshalb fokussieren wir uns darauf.

STANDARD: Sie kritisieren die Preiserosion bei ihren Produkten …

Stenico: Was wir kritisieren, ist, dass nur auf den Preis geschaut wird, wenn es um Entscheidungen geht, was gekauft werden soll. Ob die Produktion ressourcenschonend, umweltschonend und unter fairen Arbeitsbedingungen passiert, wie das bei uns in Kundl der Fall ist, zählt nicht.

STANDARD: Das wird vorausgesetzt?

Peter Stenico, Österreich-Chef des Pharmaunternehmens Sandoz, im Interview.
"Man muss schauen, dass man ein faires Ökosystem schafft": Peter Stenico, Chef von Sandoz-Österreich oder Country President Sandoz Austria, wie die Funktion offiziell heißt.
Sandoz / Martin Vandory

Stenico: Man schaut gar nicht hin. In großen Ländern wie Deutschland machen die Kassen eine Ausschreibung – und wenn das Produkt einen Cent billiger ist, wird der eine gegenüber dem anderen bevorzugt, egal ob das Abwasser des billiger Anbietenden sauber ist oder nicht. Das ist falsch. Man muss schauen, dass man ein faires Ökosystem schafft.

STANDARD: Warum dieses Jammern? Pharmakonzerne nagen in der Regel doch nicht am Hungertuch?

Stenico: Pharma ist nicht gleich Pharma. Pharmaunternehmen, die neue Medikamente gegen Krankheiten entwickeln mit entsprechend langer Entwicklungszeit, kommen mit einem deutlich höheren Preis auf den Markt. Generika hingegen, wie Sandoz sie anbietet, sind wertvoll, aber billig. Sie kommen auf den Markt, wenn der Patentschutz abgelaufen ist. Da kommt dann nicht nur ein Generikum, sondern meist zehn bis 20 gleichzeitig mit entsprechendem Wettbewerb und Preisdruck.

STANDARD: Wie hoch ist der Preis einer Packung, die das Werk Kundl verlässt?

Stenico: Im Schnitt und für die rund 100 Länder berechnet, die wir weltweit beliefern, rund drei Euro für eine Packung Antibiotika. Drei Euro für ein lebensrettendes Medikament inklusive Verpackung, Beipackzettel und Qualitätskontrolle.

STANDARD: Sie wollen eine Indexierung der Erstattungspreise?

Stenico: Wenn die Inflation fünf oder zehn Prozent beträgt, sollten auch die Preise entsprechend erhöht werden können. Letztlich rühren auch Versorgungsengpässe daher, dass sich die Kosten in den Preisen nicht mehr wiederfinden. Es braucht einen europäischen Ansatz, es reicht nicht, wenn das nur in Österreich passiert.

STANDARD: An und für sich richtet das der Markt. Wenn es Engpässe gibt, steigt der Preis und es wird vom betreffenden Produkt mehr produziert.

Stenico: Es gibt keine Preiserhöhung. Das ist der Unterschied zum Kaugummi. Wenn da ein Engpass auftritt, kann der Preis erhöht werden, bei Generika geht das nicht.

STANDARD: Kann eine Wirkstoff- bzw. Arzneimittelbevorratung ein taugliches Instrument zur Verhinderung von Versorgungsengpässen sein?

Stenico: Ich halte von der Idee wenig, wenn es auf nationaler Ebene passiert. Dann beginnt das Horten, Frankreich glaubt, es sei wichtiger als Spanien und Spanien wichtiger als ein anderes Land. Dem Markt werden so Kapazitäten entzogen, die dann irgendwo gehortet werden. Viel wichtiger wären eine bessere Planbarkeit und faire Marktbedingungen. Dann kommt auch wieder mehr Kapazität in den Markt, und die Lage entspannt sich.

Peter Stenico, Österreich-Chef des Pharmaunternehmens Sandoz, im Interview.
Diversität sei wichtig, auch und nicht zuletzt in der Belegschaft, um gute Ergebnisse zu erzielen, sagt Peter Stenico, Österreich-Chef des auf die Produktion von Nachbaumedikamenten spezialisierten Pharmaunternehmens Sandoz.
Sandoz / Martin Vandory

STANDARD: Die Babyboomer gehen nach und nach in Pension. Wie hart trifft Sie das am Standort Kundl?

Stenico: Wir sind eine attraktive Industrie und auch ein attraktiver Arbeitgeber, speziell deshalb, weil wir schon so lange hier sind. Aber ja, es war schon einmal leichter, Leute zu bekommen.

STANDARD: Sie brauchen auch vermehrt Arbeitskräfte aus dem Ausland?

Stenico: Aus zwei Gründen. Zum einen, weil wir insgesamt mehr Arbeitskräfte brauchen aufgrund der Fluktuation, zum anderen auch wegen der Qualifikation. Wir haben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus 60 verschiedenen Ländern in Kundl. Diversität ist wichtig, um gute Ergebnisse zu erzielen.

STANDARD: Sandoz geht als Spin-off von Novartis seit vergangenem Herbst eigene Wege. Wie gut bekommt ihnen das?

Stenico: Wir können das Unternehmen so gestalten, wie wir es brauchen – schnelle Entscheidungen, agil und flexibel. Es war die richtige Entscheidung für beide Unternehmen, zumal wir unterschiedliche Strategien verfolgen.

STANDARD: Wo gibt es die am weitesten entfernte Apotheke, wo Penicillin aus Kundl verkauft wird?

Stenico: Wir sind von Neuseeland bis Argentinien, vom Norden Alaska bis Japan vertreten. Irgendwo dort wird sie sein. Die nächstgelegene Apotheke ist direkt neben unserem Werk in Kundl. (Günther Strobl, 25.3.2024)