Rishi Sunak eröffnet am Freitag den Wahlkampf für die Kommunalwahlen Anfang Mai. Doch die Chancen seiner konservativen Partei sind denkbar schlecht.
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Der konservativen Regierungspartei, seit mehr als zehn Jahren im Amt, stehen in diesem Frühjahr schwierige Kommunalwahlen und spätestens Anfang kommenden Jahres auch ein nationaler Urnengang ins Haus. Da gibt der junge Premierminister, Sohn eines eingewanderten Arztes aus Indien, über Nacht seinen Job auf: "Zur Führungsstärke gehört auch, dass man weiß, wann es Zeit ist zu gehen", sagt er zur Begründung.

Es war der irische Taoiseach und Fine-Gael-Vorsitzende Leo Varadkar (45), der am Mittwoch mit seiner Rücktrittsankündigung Freund und Feind in Dublin überraschte. In London träumen etliche Konservative davon, ihr eigener Partei- und Regierungschef Rishi Sunak (43) werde auf ähnliche Weise den Bettel hinschmeißen. Weil davon nicht die Rede sein kann, wetzen die Tory-Abgeordneten im Unterhaus zum dritten Mal in dieser Legislaturperiode die Messer – oder sie bereiten scharenweise ihren Rückzug aus dem Parlament, teilweise sogar aus der Politik vor.

Tories weit abgeschlagen

Unverdrossen eröffnete Sunak am Freitag den Wahlkampf für die Kommunalwahlen Anfang Mai mit einem Angriff auf den Labour-Oppositionsführer: Keir Starmer sei so arrogant zu glauben, er könne den Regierungssitz in der Downing Street erobern, "ohne seine Pläne zu offenbaren". Tatsächlich deuten alle Umfragen seit mehr als zwei Jahren auf einen Regierungswechsel hin. Die Firma Yougov veröffentlichte jetzt eine Befragung, wonach die 2019 unter Boris Johnson mit 43 Prozent im Amt bestätigten Tories nun nur noch mit 19 Prozent Zustimmung rechnen können. Beinahe schlimmer als die 25 Punkte Abstand zur Arbeiterpartei – sie liegt bei 44 – wirkt der Wähleranteil von 15 Prozent für die Reformpartei des Rechtspopulisten Nigel Farage.

Dort sammeln sich immer mehr frustrierte Konservative. Einem früheren Vizegeneralsekretär folgte diese Woche der völlig aussichtslose Kandidat für den Bürgermeisterposten von Manchester. Dan Barker beklagte sich darüber, seine alte Partei habe den Kampf um die nordenglische Metropole aufgegeben. Hingegen repräsentiere die Reformpartei, geführt vom Multimillionär Richard Tice, "die normalen Leute dieses Landes".

Kaum Erfolge vorzuweisen

Barker dürfte einer Blamage entgangen sein: Bei den kommunalen Wahlgängen wartet auf Tory-Kandidaten ein Desaster, Hunderte ihrer Mandatsträger werden ihre Ämter verlieren. Vor drei Jahren, als ihre Sitze zuletzt zur Wahl standen, konnte Ex-Premier Johnson mit dem Erfolg des britischen Covid-Impfprogramms prahlen. Diesmal hat Sunak wenig Erfolge vorzuweisen, wenn man von der Reduzierung der Teuerungsrate auf zuletzt 3,4 Prozent absieht. Die von vielen Kreditnehmern ersehnte Reduzierung des Leitzinses von derzeit 5,25 Prozent durch die Bank of England blieb hingegen aus.

Dem viele Millionen teuren Ruanda-Asylprojekt, vom Premier zum zentralen Anliegen seiner Amtszeit erklärt, erteilte das Oberhaus diese Woche eine erneute Abfuhr. Die geplanten Abschiebeflüge werden deshalb frühestens in zwei Monaten erfolgen. Hingegen treten am 1. April die mehrfach verschobenen schärferen Grenzkontrollen für importierte Lebensmittel in Kraft. Da die Brexit-Insel außer Lammfleisch beinahe alle tierischen Produkte sowie frisches Obst und Gemüse aus der EU bezieht, dürften sich die Konsumentenpreise erhöhen; einer Allianz-Studie zufolge steigen die Importkosten sogar um bis zu zehn Prozent.

Auch der Arbeitskämpfe im nationalen Gesundheitssystem NHS sowie bei der Eisenbahn sind Sunaks Minister bisher nicht Herr geworden. Krankenhausärzte und Lokführer haben erneute Streiks angekündigt.

Medien auf rechtspopulistischem Kurs

Nicht einmal auf die traditionelle publizistische Unterstützung ist mehr Verlass. Der einst als "Torygraph" verhöhnte "Daily Telegraph", Stammblatt der konservativen Klientel, steuert längst einen stramm rechtspopulistischen Kurs zugunsten von Trump, Farage und Co an. Bei der "Daily Mail" fungiert der frustrierte Ex-Premier Boris Johnson als Hauskolumnist. Revolverblatt "The Sun", mit dem einst Medienzar Rupert Murdoch britische Wahlen zu beeinflussen suchte, druckt höfliche Interviews mit Labour-Oppositionschef Keir Starmer.

Selbst konservative Vertreter der Demoskopenzunft machen dem Premier wenig Hoffnung. In der jüngsten Fokusgruppe des Tory-Milliardärs Michael Ashcroft äußerten konservative Wähler zwar wenig Begeisterung für Labour, hatten für die Regierungspartei aber einen wenig schmeichelhaften Vergleich: "Es kommt mir vor wie mit Eltern, die Alkoholiker sind. Da fehlt die Sicherheit. Man liebt seine Eltern, aber wohnen will man lieber bei einer Tante."

Dekorative Schwertträgerin in Position

Schon reden die ewig Unzufriedenen in der Tory-Fraktion – Sunak-Skeptiker, eingefleischte Johnson-Fans, ideologische Nationalisten – von einem neuerlichen Putsch. Ins Spiel gebracht werden die forsche Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch sowie Penelope Mordaunt, die Ministerin fürs Unterhaus. Erstere hat wenig politische Erfahrung, Letztere hat sich vor allem als dekorative Schwertträgerin bei König Charles' Krönung im vergangenen Jahr hervorgetan.

Vom Mangel an glaubwürdigem Personal einmal abgesehen – glauben die Tories wirklich, sie könnten sich mit einem erneuten Wechsel an der Spitze retten? In der neueren Geschichte habe es nur einmal, nämlich im zehn Jahre amtierenden Unterhaus von 1935 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945, einen zweimaligen Wechsel des Regierungschefs gegeben, erläutert Politikprofessor Vernon Bogdanor vom Londoner King's College, drei Wechsel hingegen noch nie. "Wenn die Konservativen dumm genug wären, den vierten Premier in einer Legislaturperiode zu installieren, würde der Ruf nach einer sofortigen Neuwahl unwiderstehlich." (Sebastian Borger aus London, 22.3.2024)