Marlene Engelhorn, Millionenerbin und Aktivistin, und symbolisch dargestellte Menschen.
50 Menschen aus ganz Österreich (in der Illustration durch fiktive Gesichter dargestellt) sollen 25 Millionen Euro, die die 31-jährige Wienerin Marlene Engelhorn geerbt hat, in einem Bürger:innenrat namens "Guter Rat für Rückverteilung" in einem demokratischen Prozess verteilen.
Illustration: DER STANDARD / Fatih Aydogdu

Zwölf Wochen dürfen sie sich als halbe Millionärinnen und Millionäre fühlen: die 50 Menschen im "Guten Rat für Rückverteilung", denen die Wiener Aktivistin Marlene Engelhorn ihr 25-Millionen-Erbe anvertraut hat. Das strukturell fast realitätsgenau zusammengesetzte Österreich im Miniformat soll bis 9. Juni entscheiden, wer dieses Geld bekommen soll. Vier der Ratsmitglieder erzählen im STANDARD-Gespräch, was sie umtreibt, wie sie das erste Arbeitswochenende in Salzburg erlebt haben und was für sie "reich" bedeutet.

Kyrillos (16): Der Jüngste staunt über ein "krasses" Prozent

Mit 16 Jahren ist Kyrillos das jüngste Mitglied im "Guten Rat für Rückverteilung". Zwischen dem Schüler des Gymnasiums Erlgasse in Wien-Meidling und dem Ältesten in der Gruppe der 50 liegen fast sieben Lebensjahrzehnte. Anfangs habe er auch ein bisschen das Gefühl gehabt, da seien "nur ältere Leute, was man im Alltag eher nicht so hat", erzählt der Teenager, aber diese Anspannung habe sich schnell gelöst, "weil ich gesehen habe, wie gut sie es geschafft haben, fast ganz Österreich im Rat abzubilden. Von Jung bis Alt, Österreichern und Nicht-Österreichern, Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Einschränkung war alles dort. Das hat mir sehr gefallen. Auch dass für Menschen, die nicht so gut Deutsch können, Dolmetscherinnen da waren." In Übersetzerboxen arbeiten je zwei für Türkisch, Kroatisch und Dari, die persische Sprache in Afghanistan. Für eine gehörlose Frau wird alles in Gebärdensprache übersetzt. "Das fand ich auch sehr schön", sagt der Wiener mit familiären Wurzeln in Ägypten. "Wir haben wirklich alle sehr viel miteinander geredet."

"Wenn man Geld hat, und alles andere im Leben läuft schief, würde ich nicht sagen, das ist reich."

Angereist ist er alleine mit der Bahn, seine Mutter war anfangs etwas skeptisch, aber sein Vater habe ihm gesagt: "Wenn was ist, dann ruf an." Hat er nicht. Musste er nicht. Dafür brachte Kyrillos seinen Eltern, den drei Geschwistern und seinen Freunden interessante Informationen mit: "Ein Fakt, der mich sehr überrascht hat, war, dass ein Prozent der österreichischen Bevölkerung über die Hälfte des gesamten Vermögens verfügt und die anderen 99 Prozent mit der anderen Hälfte klarkommen müssen. Das ist schon krass."

Was ist für ihn "reich"? "Vom Geld her?", fragt der fußballbegeisterte Jugendliche, der für den Führerschein und das erste Auto spart: "Wenn man Geld hat, und alles andere im Leben läuft schief mit Familie, Freunden und anderen Dingen, würde ich nicht sagen, das ist reich. Wenn alles andere im Leben auch gut ist und man zum Beispiel fünf Millionen hat, dann ist man sicher reich. Aber es gehört nicht nur Geld dazu, um reich zu sein."

Angelika (43): Die "Tischsprecherin" will strukturiert arbeiten

Bei Gruppenarbeiten kristallisieren sich meist früh jene Personen heraus, die Plakate beschriften, Unterlagen sortieren und Ergebnisse in der großen Runde vortragen. Im "Guten Rat für Rückverteilung" ist eine von ihnen Angelika. "Ich mache so etwas einfach gern, ich arbeite gern mit Menschen und stelle gern etwas auf die Beine", erzählt die 43-Jährige, die mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Niederösterreich lebt. Im Elternverein ihrer elfjährigen Tochter war die Büroangestellte, die ein Lehramtsstudium absolviert hat, Obfrau, und auch in Salzburg fand sie sich schnell in der Rolle der "Tischsprecherin", die die Arbeit ihres Teams vorstellte. "Das bleibt oft an mir hängen, aber es gibt mir auch selbst eine Struktur, Dinge auf diese Weise einzuordnen."

Mit einer solchen Struktur im Kopf ist sie auch zum ersten Ratsmeeting gefahren. "Ich war neugierig, wie dieses ,Mini-Österreich‘, das wir ja abbilden sollen, aussieht, und es war spannend, die Gesichter zu den statistischen Eckdaten zu sehen", erzählt die Niederösterreicherin. "Ich hatte die Hoffnung, dass ich auf freundliche, aufgeschlossene Menschen treffe, und die wurde total erfüllt. Da sind wirklich 50 motivierte Leute, die ernsthaft an der Frage der Rückverteilung dieser 25 Millionen arbeiten wollen."

"Ich glaube nicht, dass sich die Gruppe immer einig sein wird, aber das ist auch gut so, es muss schon Diskussionen geben."

Vom ersten Treffen blieb eine "positive Aufbruchsstimmung und der Wille, etwas Gutes zu tun", aber: "Ich glaube nicht, dass sich die Gruppe immer einig sein wird", erwartet Angelika. "Das ist auch gut so, es muss schon Diskussionen geben, und ich bin gespannt, wie das Moderationsteam dann damit umgeht." Generell halte sie es für "wichtig, dass man die ganze Gruppe mitnimmt. Besser, ein paar denken sich, das weiß ich eh schon, als ein Teil sagt: Ich kenn mich da nicht aus." Das sei an den ersten zwei Tagen gut gelungen.

Die Ziellinie – am 8. und 9. Juni tagt der "Gute Rat" zum letzten Mal – ist noch fünf Arbeitswochenenden entfernt, aber als "Mindestanspruch" nennt Angelika, "dass wir eine Lösung finden. Ich weiß, dass die Diskussion selbst und Bewusstseinsbildung über den Rat hinaus wichtig sind, aber ich persönlich möchte schon, dass etwas herauskommt, auf das wir stolz sind."

Sieglinde (60): Der anders Reichen geht es um die Demokratie

Reich sein, das hieß für Sieglinde bis jetzt "gesund sein, ich habe Essen, einen Platz zum Schlafen und Freunde, aber auch Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur und kann unter Umständen mit dem Zelt auf Urlaub fahren oder mir Bücher leisten". Nicht Geld, schon gar nicht Millionen wie jene 25, die die bald 61-Jährige jetzt mit 49 anderen Menschen verteilen soll. Die Tirolerin besitzt kein Auto, keinen Fernseher: "Ich bin untypisch", lacht sie. Informationen holt sie sich am Handy oder am Computer. Sie hat ihren 19-jährigen Sohn, der gerade seinen Zivildienst leistet, alleine großgezogen und viel gemacht.

Meisterprüfung als Fotografin, Arbeit in einer Fahrschule, Berufsschullehrerin in Graz, Rückkehr nach Tirol, als die Eltern Hilfe brauchten, Ordinationsassistentin bei einer Frauenärztin. Nach dem Tod des Vaters machte sie, um sich "abzulenken", den Lkw-Führerschein mit Anhänger und nach der Geburt ihres Kindes eine Montessori-Ausbildung. "Ich habe mich nie als arm empfunden", sagt die Pensionistin – bis sie im "Guten Rat" landete: "Wenn man sich das anschaut, die Daten über Vermögensverteilung, dann bin ich arm."

"Ich habe mich nie als arm empfunden. Aber eigentlich bin ich arm."

Am meisten empört habe sie nach der ersten Session, "dass es so viele gibt, die so wenig haben, und so wenige, die so viel haben". Die Begegnung mit den für die österreichische Bevölkerung repräsentativen Ratsmitgliedern hingegen hat sie begeistert. Das Engelhorn-Erbe sei gar nicht mehr so zentral: "Natürlich ist es schön, Geld zu verteilen an die, die es brauchen, aber es ist nicht mehr der Hauptpunkt, sondern dass wir auf die Demokratie aufpassen müssen, weil diese Ungleichverteilung sie bedroht." Sie könne sich gut vorstellen, das Geld für Kinder und das Schulsystem zu verwenden, "damit sie zu frei denkenden, aufrechten Bürgerinnen und Bürgern werden können".

Und wenn sich die 50 nicht einigen würden und das Geld an Marlene Engelhorn zurückginge? "Alles, was uns passieren kann, ist, dass es noch einmal gemacht wird und wieder neue Ideen entstehen. Auch dann hat es einen Sinn gehabt."

Fritz (85): Der Älteste hofft auf Bewusstseinsbildung

Eine Nacht hat Fritz "darüber geschlafen", ob er einer von 50 Bürgerinnen und Bürgern sein will, die gemeinsam 25 Millionen Euro aus dem Erbe von Marlene Engelhorn verteilen. Aber dann war für den 85-jährigen Oberösterreicher klar, dass er sich zumindest registrieren will. "Denn die Chance bei 10.000 Menschen, die angeschrieben wurden, lag ja nur bei einem halben Prozent", war sich der pensionierte Finanzbuchhalter aus Kirchdorf an der Krems bewusst. Entsprechend groß war die Freude, als der Anruf kam: "Sie sind dabei!" Als Ältester der Runde.

Das Bürgerbeteiligungsprojekt interessiere ihn vor allem aus den Gründen, die auch Marlene Engelhorn immer betone: "Sie hätte ja auch sagen können, ich spende das Geld an x Vereine. Dann wäre sie vielleicht auch in der Presse gelandet, aber nur für kurze Zeit. Es geht aber nicht nur um das Geld, sondern um Bewusstseinsbildung. Wenn wir das schaffen, ist der ‚Gute Rat‘ ein Erfolg. Daran wollen wir 50 gezielt arbeiten." In diesem Zusammenhang lobt der Senior die "wirklich hervorragenden" Inputs der Ungleichheitsforscherinnen Karin Heitzmann und Franziska Disslbacher von der WU Wien: "Da wurden Zahlen und Statistiken über Vermögen sehr konkret und bildhaft dargestellt."

"Reichtum ist für mich Gesundheit, Familie, Anerkennung."

Den Begriff "reich" definiert Fritz, der mit seiner Ehefrau seit 58 Jahren das Leben teilt, entlang einer "schwimmenden Grenze", wie er sagt. "Das ist ein abstrakter Begriff und nicht nur eine monetäre Frage. Der eine sagt, ich bin reich, weil er 3000 Euro im Monat verdient, andere haben vielleicht mit 30.000 Euro nicht genug. Reichtum ist für mich Gesundheit, Familie, Anerkennung."

Politisch sei die Ungleichverteilung des Reichtums "wahrscheinlich ein Dauerthema, das bleibt", meint der Vater eines Sohnes und Opa zweier Enkeltöchter. "Ich bin da eher skeptisch." Er persönlich wäre für eine Erbschaftssteuer: "Angenommen, jemand vererbt von A an B. Dann hat B von vornherein ein Startkapital, während C, die nichts erbt, vielleicht einen Kredit aufnehmen und Zinsen zahlen muss, also einen erheblichen Aufwand hat, den B nicht hat. Ist das wirklich gerecht?" (Lisa Nimmervoll, 23.3.2024)