Am Anfang war Cindy Sherman, wie sie mit einem fest zugeknoteten Seidentuch auf dem Kopf und einem strengen Ausdruck im Gesicht über einen Gehsteig spazierte. Die Untitled Film Stills der Künstlerin markieren in der Kunstsammlung des Energieunternehmens Verbund die Inventarnummer 001: 2004 erwarb Gründungsdirektorin Gabriele Schor die Fotografien und setzte damit den Grundstein für den weiteren Verlauf der Sammlung.

Zu ihrem 20-Jahr-Jubiläum ist die Sammlung Verbund jetzt in der Albertina zu sehen. Eine kleine Spitze gegen das Sammlungsprogramm von Ausstellungshäusern lässt sich da offenbar nicht verbieten: "Das bloß akkumulierende Sammeln bleibt ein fruchtloses Unterfangen", soll der deutsche Philosoph Walter Benjamin einmal gesagt haben, der Satz steht gleich am Eingang der Schau. Schor hat es sich damit zur Aufgabe gemacht, ihre Ankäufe mit Bedacht und einem roten Faden folgend auszuwählen.

Aneta Greszykowska Hommage an Cindy Shermans
Aneta Grzeszykowskas Hommage an Cindy Shermans "Untitled Film Stills" ist in der Albertina zu sehen.
Albertina/Aneta Greszykowska

Kunst in Schuhkartons

Dieser führt zunächst in die feministische Avantgarde der Siebziger- und Achtzigerjahre: Mit Cindy Shermans Film Stills und den Cut-outs ihrer Murder Mystery, die sie, wie Schor erzählt, lange unachtsam in einer Schuhschachtel verwahrt hatte. Ein Anzeichen dafür, dass nicht nur Shermans Frühwerk, sondern ein großer Teil der feministischen Avantgardebewegung Ende des 20. Jahrhunderts lange unzureichend aufgearbeitet wurde, erzählt sie. Vieles sei erst im Zuge ihrer Forschungsarbeiten passiert.

Von der Fotokünstlerin Francesca Woodman erwarb Schor 79 Bilder, einige Jahre bevor eine Retrospektive im New Yorker Guggenheim die Amerikanerin berühmt machen würde. Trotz ihres frühen Todes hinterließ Woodman ein beeindruckendes Werkkonvolut, das sie posthum zu einer Meisterin der inszenierten Schnappschüsse werden ließ – ihre scheinbar zufällig entstandenen Fotografien verbergen ein ausgeklügeltes Spiel mit Licht und Schatten und poetische Bildsprache.

Poesie und Ironie

Poesie und Ironie werden während der feministischen Avantgarde immer wieder eingesetzt: Die Österreicherin Birgit Jürgenssen treibt das 1988 in der Fotografie Gretchen von Faust auf die Spitze, in der sie einen vergoldeten Schuhabsatz auf einer geballten Faust als gefährliche Waffe inszeniert. Und Karin Mack bügelt die Beerdigung ihres Hausfrauendaseins – in der Serie Bügeltraum von 1975 streicht sie die Kleidung so lange glatt, bis sie sich selbst auf dem Brett aufbahrt.

Um an Hauben für eine verheiratete Frau von Ulrike Rosenbach zu kommen, musste Schor einen schrofferen Ton anschlagen: Als Schor die deutsche Künstlerin bei einem Besuch nach dem Verbleib der Fotografie fragte, meinte Rosenbach, das Bild sei auf dem Dachboden – da oben sei es ihr aber zu kalt. Erst nach Schors Aufforderung, sie möge sich doch eine Winterjacke anziehen, konnte Rosenbach die Arbeit finden.

Gender und Politik

Zanela Muholi blickt den Betrachterinnen direkt in die Augen. Eine Anspielung auf die Apartheid.
Zanele Muholi blickt den Betrachterinnen direkt in die Augen. Eine Anspielung auf die Apartheid.
Albertina/Zanela Muholi

Ein weiterer Schwerpunkt der Sammlung ist der Fokus auf räumliche Wahrnehmung, der, wenn auch auf einer geringeren Fläche, ebenfalls in der Albertina zu sehen ist. Bis auf wenige Installationen – etwa Ernesto Netos raumgreifende Tractatus IDeuses, die für das Schaufenster des Sigmund-Freud-Museums entstanden ist –, findet man auch dort hauptsächlich Fotografien. Aufnahmen von Gordon Matta-Clark, der in den Siebzigern Häuser zerschnitt und den Prozess ablichtete, spielen mit den Perspektiven und dem Verständnis von Konstruktionen, der kasachisch-koreanische Künstler Alexander Ugay baute 2023 mithilfe von künstlicher Intelligenz Räume der Erinnerung.

Der Abschluss der Schau in der Albertina ist den jüngsten Neuerwerbungen und zugleich dem neuen Schwerpunkt Gender, Identität und Diversität gewidmet. Die aus Südafrika stammende, nichtbinäre Künstlerperson Zanele Muholi ist dort mit Fotoarbeiten vertreten, in denen sie den Besuchern mit durchdringendem Blick direkt ins Gesicht sieht: eine Anspielung auf das System der Apartheid, in dem Weiße und Schwarze sich nicht in die Augen schauen durften. (Caroline Schluge, 26.3.2024)