Je mehr er damit droht, sich enger an Russland zu binden und dem Westen den Rücken zu kehren, desto mehr Unterstützung bekommt er vom Westen. Nun drohte der serbische Präsident Aleksandar Vučić damit, dass Serbien den Europarat verlassen könnte, falls der Kosovo in diese Organisation aufgenommen wird. Der Europarat bestätigte, dass schon diesen Mittwoch ein Bericht zur Aufnahme des Kosovo veröffentlicht wird.

Bereits in seiner Rede zum 20. Jahrestag der pogromartigen Ausschreitungen von über 50.000 Kosovo-Albanern gegen Serben und andere Minderheiten am 17. März 2004 hatte Vučić gemeint, dass der Westen sich zwischen Serbien und dem Kosovo entscheiden müsse. Entscheide er sich falsch, werde Serbien "auf den besten Moment warten und für unsere Chance kämpfen". Diese Worte klangen für viele Beobachter wie eine Ankündigung oder Drohung angesichts der Tatsache, dass im vergangenen September die Gefahr bestand, dass serbische Truppen in den Kosovo einmarschieren.

Demo in Belgrad
Die Kosovo-Frage (hier eine Demonstration in Belgrad) bleibt in Serbien ein Dauerthema.
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Das US-Magazin "Time" schrieb kürzlich, dass man damals im Nationalen Sicherheitsrat der USA "sehr besorgt" gewesen sei, "dass Serbien sich auf eine militärische Invasion vorbereiten könnte", nachdem Truppen an der Grenze zusammengezogen worden waren. Der oberste nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan entschied sich dafür, sogar Geheimdiensterkenntnisse zu leaken, um Serbien zum Einlenken zu bringen.

Am 24. September hatten schwerbewaffnete serbische Milizen im Kloster Banjska im Norden des Kosovo einen Terroranschlag auf die kosovarische Polizei verübt, bei dem auch ein kosovarischer Polizist ums Leben kam. Offenbar wollten die Milizen die kosovarischen Behörden in eine Falle locken. Ein Bericht dazu wird innerhalb der EU merkwürdigerweise noch immer unter Verschluss gehalten. Klar ist, dass es Verbindungen zwischen diesen serbischen Terroristen im Kosovo und dem serbischen Staat gibt.

8,5 Millionen Euro

Kürzlich deckte das serbische Medium "Radar" auf, dass der serbische Staat nur wenige Tage nach dem Terroranschlag 8,5 Millionen Euro an ein vom Hauptverdächtigen Milan Radoičić kontrolliertes Unternehmen überwies – mutmaßlich eine Art Schweigegeld. Radoičić weiß jedenfalls viel über das Regime in Serbien. Er läuft trotz des Terroranschlags als freier Mann in Belgrad herum.

Vučić verharmloste nun in seiner Rede das Vorgehen der Terrormilizen, indem er meinte, die jungen Männer hätten "ihre Heimat schützen und ihre Freiheit verteidigen" wollen. Die serbische Regierung stellte er als friedliches Opfer dar. "Wir haben niemanden angegriffen und auch niemanden bedroht; und die meiste Zeit schwiegen wir und taten so, als ob wir nicht existierten, nur um diejenigen nicht zu verärgern, die uns das alles angetan hatten."

Der deutsche Sozialdemokrat Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags und einer der wenigen EU-Politiker, die eine klare Sprache zum serbischen Regime finden, meinte zu der Rede: "Präsident Vučić hat da etwas missverstanden. Die EU-Beitrittsperspektive gilt nicht nur für Serbien, sondern für alle Westbalkanstaaten – inklusive Kosovo. Ein entweder Serbien oder Kosovo gibt es nicht. Aber Vučić hat recht, mit ihm an der Spitze führt kein Weg Serbiens in die EU." Roth stellte auch klar, dass die Europäer über den Beitritt des Kosovo zum Europarat entscheiden würden – und nicht die USA. Zuvor hatte es nämlich Interventionen von US-Diplomaten gegeben, die Vučić unterstützen und deshalb den Europaratsbeitritt des Kosovo verhindern wollen.

Vučić – Putin – Trump

Die USA setzen also weite ihre Einhegungspolitik gegenüber Vučić fort. Sie versuchen alles, um das Regime an sich zu binden, weil sie andernfalls noch mehr russischen Einfluss fürchten, der ohnedies schon groß ist. Serbien sendet indes Signale an die USA aus, dass es durchaus noch mehr eskalieren kann. So können die Angriffe auf Kfor-Soldaten im Vorjahr und der versuchte Terroranschlag in Banjska gelesen werden. Vučić gratulierte Wladimir Putin nun zu seinem "Wahlsieg", und erst kürzlich schlossen Russland und Serbien ein weiteres Sicherheitsabkommen ab.

Experten wie der britische Historiker Marko Attila Hoare verweisen darauf, dass die Situation auf dem Balkan mit einem neuerlichen Wahlsieg Donald Trumps im Herbst noch gefährlicher werden könnte. "Serbische Nationalisten deuten schon seit langem an, dass sie auf den Rückzug der westlichen Macht warten, damit sie die territoriale Regelung auf dem Westbalkan aufheben können. Der Kosovo, Bosnien und Herzegowina und Montenegro müssen sich darauf vorbereiten, sich unabhängig vom Westen zu verteidigen", meinte Hoare kürzlich.

Tatsächlich scharren Trump-Leute wie sein Ex-Gesandter Richard Grenell und sein Schwiegersohn Jared Kushner bereits in den Startlöchern, um das serbische Regime in seinen revisionistischen Ambitionen zu unterstützen. So wollen die beiden das ehemalige Generalstabsgebäude in Belgrad "revitalisieren", das im Jahr 1999 durch das Nato-Bombardement zerstört wurde.

Grenell sagte kürzlich, es sei eine Ehre für ihn, mit den Serben zusammenzuarbeiten, um das Gelände "in ein multifunktionales Weltklasseprojekt mit einem Denkmal in der Mitte als Erinnerung an seine Geschichte" zu verwandeln. Serbische Experten sollten Ideen präsentieren, durch die "Emotionen und Patriotismus" gewürdigt würden. Kushner geht es aber auch ums Geld: In dem ehemaligen Generalstabsgebäude sollen auch ein Luxushotel, Büroräume und einen Apartmentkomplex mit über 1.500 Wohneinheiten entstehen.

Aleksandar Vučić
Aleksandar Vučić freut sich auf ein mögliches Comeback von Donald Trump.
EPA/ANDREJ CUKIC

Vučić könnte durch eine Rückkehr Donald Trumps jedenfalls profitieren und etwa das Projekt des Gebietstauschs aus der Schublade holen, das die Trump-Regierung unterstützt hatte. Dabei geht es vor allem darum, dass der Norden des Kosovo an Serbien angeschlossen werden soll. In Serbien gibt es auf gesamtstaatlicher Ebene keine starke Opposition, in Belgrad jedoch schon. Am 2. Juni finden neuerlich Kommunalwahlen in der Hauptstadt statt, weil die Wahlen von vergangenem Dezember wegen Unregelmäßigkeiten beanstandet wurden.

Nicht nur schlechte News ...

Im Kosovo gibt es zumindest eine gute Nachricht, wenn es um die Beziehungen zwischen der kosovarischen Regierung und der serbischen Minderheit geht: Das Kloster Visoki Dečani, eines der schönsten Klöster in Südosteuropa, bekommt nun 24 Hektar Land zurück. Das kosovarische Verfassungsgericht hatte bereits im Jahr 2016 im Sinne des Klosters entschieden, der kosovarische Regierungschef Albin Kurti, der sich lange geweigert hatte, den Gerichtsentscheid umzusetzen, lenkte nun im Sinne der Rechtsstaatlichkeit ein.

Die positive Entwicklung wurde nun verkündet, als der von der EU vermittelte Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo in eine neue Runde ging. Zurzeit sucht man eine Lösung in der Währungsfrage. Am 1. Februar beschloss die Zentralbank des Kosovo nämlich den Euro als einzige gesetzliche Währung und untersagte die Verwendung des serbischen Dinar als Zahlungsmittel. Im Kosovo wird der Euro schon seit dessen Einführung verwendet, allerdings verwenden die von Serbien finanzierten parallelen Strukturen im Kosovo den Dinar. Viele Kosovo-Serbinnen und -Serben fürchteten nun um ihre Pensionen und Sozialzuwendungen aus Serbien.

Bis kommende Woche sollen nun beide Seiten der EU Vorschläge zur Regelung der Angelegenheit übermitteln. Die USA üben – wie schon so oft in den vergangenen Jahren – Druck auf die kosovarische Regierung aus, einzulenken.

Der kosovarische Premier Kurti insistiert, dass zunächst das vor einem Jahr von Frankreich und Deutschland vorgeschlagene Rahmenabkommen zwischen Serbien und dem Kosovo von der serbischen Seite unterschrieben und umgesetzt wird.

Bislang hat sich der serbische Präsident Vučić geweigert, dies zu tun, und angekündigt, dass er es weiterhin nicht tun werde. Kurti wiederum hat bislang nicht den Verband der serbischen Gemeinden gegründet, was von serbischer Seite gefordert wird. Immerhin gibt es Vorbereitungen zur Neuwahl der Bürgermeister im Nordkosovo. Am 21. April können die im Vorjahr aufgrund des Wahlboyokotts vieler Serbinnen und Serben gewählten albanischen Bürgermeister abgesetzt werden. Danach können Neuwahlen stattfinden.

Gefühl der Unsicherheit

Doch die Anspannung im Norden des Kosovo ist seit eineinhalb Jahren groß. Viele Serbinnen und Serben fühlen sich nicht sicher. Das hat vor allem damit zu tun, dass nicht nur die Bürgermeister, sondern auch die serbischen Polizisten auf Geheiß von Vučić im Herbst 2022 aus der gemeinsamen kosovarischen Polizei abgezogen wurden. Diese serbischen Polizisten waren aber relevant für das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger, die oft keinerlei Vertrauen zu albanischen Beamten haben, insbesondere zur Sonderpolizei Rosu, die auch im Norden eingesetzt wird.

Immer wieder gibt es Berichte, dass die Sonderpolizei nicht korrekt oder sogar brutal mit Leuten umgeht. Viele albanische Beamte können auch kein Serbisch, das führt zu Missverständnissen. Die Serbinnen und Serben im Kosovo haben das Recht, in ihrer Sprache in allen Verwaltungszusammenhängen zu kommunizieren. Die NGO Aktiv konstatiert deshalb schon seit längerer Zeit "eine Zunahme von Gewalt und interethnischen Spannungen", "eine neue Welle von Hassreden" und "mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch die kosovarische Polizei". Laut einer Umfrage von Aktiv denken mehr als 95 Prozent der Bevölkerung im Norden des Kosovo, dass sich die Situation in eine schlechte Richtung entwickelt.

Die zunehmende politische Instabilität wird auch von Vučić angeheizt. Er und andere Vertreter der serbischen Regierung übertreiben das kritikwürdige Verhalten der kosovarischen Behörden. Sie tun so, als seien Serbinnen und Serben permanentem Terror ausgesetzt, was nicht den Fakten entspricht. Diese Rhetorik kann auch ein Hinweis darauf sein, dass mit der Schuldzuweisung auf andere das eigene Handeln gerechtfertigt werden soll. (Adelheid Wölfl, 26.3.2024)