So schnell hat es noch keiner geschafft. Als vergangenen Mittwoch, also vor nicht einmal einer Woche, der irische Premierminister Leo Varadkar völlig überraschend seinen Rücktritt ankündigte, machten in Dublin nach dem ersten Schock eifrige Spekulationen über die Nachfolge die Runde. Die Osterpause würde reichlich Gelegenheit fürs Schaulaufen der Kandidatinnen geben.

Simon Harris soll künftig als Regierungschef die irische Politik anführen.
Simon Harris soll künftig als Regierungschef die irische Politik anführen.
EPA/DAMIEN EAGERS

Doch falsch: Sofort gab es einen klaren Favoriten. Und als am Sonntag die Bewerbungsfrist für den Vorsitz der konservativen Fine Gael (FG) verstrichen war, stand dann praktisch fest: Als einziger Bewerber übernimmt Simon Harris kampflos Varadkars Nachfolge im höchsten Partei- und Regierungsamt. Er wird, sofern das Parlament Dáil kurz nach Ostern zustimmt, mit 37 Jahren der jüngste Taoiseach (gälisch für "Häuptling") der irischen Republik.

Bestimmungsgewalt über die 5,2 Millionen Bewohner der Grünen Insel bekommt damit ein Politikbesessener ohne jede Ausbildung jenseits der Matura. Das Studium in Journalistik und Französisch brach Harris schon im ersten Jahr ab, um Mitarbeiter einer aufstrebenden Parlamentsabgeordneten zu werden. Bereits mit 24 Jahren zog er beim FG-Erdrutschsieg 2011 selbst ins Dubliner Parlament ein, profilierte sich rasch in Ausschüssen und untergeordneten Regierungsjobs, ehe der damals noch nicht einmal 30-Jährige, der an der entzündlichen Darmkrankheit Morbus Crohn leidet, als Gesundheitsminister am Kabinettstisch Platz nahm. Zuletzt arbeitete der verheiratete Vater zweier kleiner Kinder als Chef des Forschungs- und Wissenschaftsressorts.

Wofür steht Harris?

Harris pflegt seit langem seine Präsenz auf den sozialen und oft auch unsozialen Medien – parteiintern wird ihm große Kompetenz im Umgang mit jüngeren Wählern und Wählerinnen zugebilligt. Wofür er aber politisch genau stehe, bleibe einstweilen unklar, glaubt Irlands wichtigste Zeitung, die bürgerliche Irish Times.

Harris' Desinteresse an Außenpolitik ähnelt auf erstaunliche Weise dem des Regierungschefs seines nächsten Nachbarn: Großbritanniens Rishi Sunak überlässt dieses Feld weitgehend seinem Außenminister und Amtsvorgänger David Cameron. Für Harris wird es entscheidend darauf ankommen, ob er die beiden international erfahrenen Schwergewichte seines Kabinetts einbinden und mit ihnen auf Augenhöhe arbeiten kann.

Im Fall von Außenminister Micheál Martin ist das zusätzlich von existenzieller Bedeutung für die Dreierkoalition, zu der auch die Grünen zählen: Der 63-Jährige – und damit mehr als ein Vierteljahrhundert Ältere – führt die zweitgrößte Koalitionspartei Fianna Fáil und war in der ersten Hälfte der Legislaturperiode selbst Regierungschef. Nur in enger Abstimmung mit Martin kann Harris dem Kabinett neue Impulse geben und damit allenfalls die bisher sicher scheinende Wahlniederlage abwenden.

Personalie Donohoe

Genauso wichtig ist die Personalie Paschal Donohoe. Der Budgetminister gehörte vorab zu jener Handvoll FG-Leuten, denen allgemein in Dublin das höchste Regierungsamt zugetraut wurde. Nicht nur bringt er als langjähriger Finanzminister entscheidende Kompetenz an den Kabinett-Tisch: Donohoe koordiniert als Chef der Eurogruppe auch die Finanzminister der Eurozone und verfügt deshalb über beste Verbindungen in Brüssel. Die Degradierung oder gar gänzliche Vertreibung des 49-Jährigen vom Kabinettstisch zugunsten der angeblich nötigen Verjüngung des Führungspersonals würden Finanzmärkte und europäische Freunde Irlands gewiss missbilligen. (Sebastian Borger, 26.3.2024)