Richard Serra.
Richard Serra starb laut der "New York Times" an einer Lungenentzündung.
AFP/MIGUEL RIOPA

Dem Minimalismus die Stirn bieten und den minimalistischen Purismus zu überwinden, das war, wie Richard Serra einst bekannte, was ihn ursprünglich antrieb. Am Ende sollte er mit seinen gigantischen Skulpturen, die neue Wahrnehmungen von Form und Raum zu eröffnen verstanden, sowohl diese Kunstbewegung als auch eine Generation von Kunstschaffenden prägen, die Architektur ebenso wie das Interior Design.

Am Dienstag verstarb der US-amerikanische Bildhauer im Alter von 85 Jahren in seinem Haus in Orient, auf der North Fork von Long Island (New York). Der Sohn eines aus Mallorca gebürtigen Spaniers und einer Russin aus Odessa war am 2. November in San Francisco zur Welt gekommen. Zum Studium der englischen Literatur ging er zuerst nach Berkeley, dann an die Universität Yale zum Kunststudium, wo er Assistent des deutschen Malers und Kunsttheoretikers Josef Albers wurde.

Gäste betrachten Richard Serras
Gäste betrachten Richard Serras "Equal" im Museum of Modern Art in New York.
AP/John Minchillo

Zur Finanzierung seines Lebensunterhalts hatte er als Student in einem Stahlwerk gearbeitet, später hat er von der Erfahrung im Umgang mit dem Werkstoff profitiert. Obwohl Serra ursprünglich Maler werden wollte, schlug er letztlich einen völlig anderen Weg ein. Einer Zusammenarbeit mit dem Komponisten Philip Glass folgten Ausflüge in die Prozesskunst: 1968 warf er geschmolzenes Blei gegen eine Wand der Leo Castelli Gallery in New York; im Jahr darauf lud ihn Jasper Johns ein, in dessen Atelier ein gleichartiges "Splashing"-Werk zu schaffen.

Daran anknüpfend bekam Serra eine Rolle in Matthew Barneys filmischem Cremaster-Zyklus: In Cremaster 3 (2002) spielte er einen Architekten, eine gottähnliche Figur, die im Guggenheim-Museum mit heißer Vaseline um sich wirft.

Im Laufe der Jahre produzierte Serra auch eine Reihe von Druckgrafiken und Zeichnungen, von denen sich eine kleine Auswahl aus den 1970er- bis 1990er-Jahren als Dauerleihgaben im Bestand der Albertina befinden. Auch im Museum moderner Kunst ist er vertreten, etwa mit Rest (Matte), einem Objekt aus vulkanisiertem Gummi von 1981, eine Leihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung. 2008 zeigte das Kunsthaus Bregenz sechs bedeutende Werkgruppen aus Serras zeichnerischem Œuvre.

Bedrohlich und monströs

Die größere Aufmerksamkeit und nachhaltigere Anerkennung fanden über die Jahre jedoch seine Skulpturen. Serra interessierte das Gewicht einer Skulptur, ihre Präsenz in der Welt – etwas, das man der Abstraktion von Ideen und sogar der Idee des "Stils" selbst entgegensetzen konnte, wie es der bekannte Kunstkritiker Robert Hughes beschrieb.

Die bedrohliche Wirkung der monströsen schrägen Wände aus rostendem Stahl, die monumentalen Blöcke, Spiralen und anderen riesigen Formen gehörten dabei zum Kalkül. Ein konzeptioneller Ansatz, bei dem das Kunstwerk nicht nur im Raum existiert, sondern diesen auch neu ausrichtet und dabei Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewegungen der Betrachter nimmt: samt der unmittelbaren körperlichen Erfahrung, sobald man die Großplastiken durchschreitet oder umrundet.

Die Skulptur
Gilt als eines der meistgeschmähten öffentlichen Kunstwerke in der Geschichte New Yorks: "Tilted Arc".
AP/Mario Cabrera

Die ersten begehbaren Skulpturen im öffentlichen Raum entstanden Anfang der 1970er-Jahre: beispielhaft etwa die Installation Circuit, die 1972 auf der Documenta 5 zu sehen war, oder auch der für die Documenta 7 konzipierte Terminal, der zum Wahrzeichen der deutschen Kunstausstellung 1977 avancierte. Mit Deutschland verband Serra eine besondere Beziehung: Die meisten seiner Werke wurden dort produziert, und einige trotzen im öffentlichen Raum Wind, Wetter und etwaiger Kritik.

Letztere war über die Jahre betrachtet überschaubar geblieben. Für die größte Kontroverse sorgte eine 37 Meter lange gebogene, schiefe Stahlmauer, die Serra 1981 im Auftrag einer Behörde für Downtown Manhattan geschaffen hatte. Regierungsangestellte protestierten derart vehement, dass Tilted Arc schließlich abgebaut wurde und in einem Lager seine letzte Ruhestätte fand. In renommierten Museen oder als Land-Art werden Richard Serras Werke für die Öffentlichkeit dagegen zugänglich bleiben. (Olga Kronsteiner, 27.3.2024)