Beim Paddeln im flachen Gewässer dachte sie an Mord. Eine genervte Ehefrau (Sarah Victoria Frick) möchte sich ihres Mannes entledigen und beauftragt im gleichnamigen Kurzfilm den Killer
Beim Paddeln im flachen Gewässer dachte sie an Mord. Eine genervte Ehefrau (Sarah Victoria Frick) möchte sich ihres Mannes entledigen und beauftragt im gleichnamigen Kurzfilm den Killer "Söder".
Diagonale/ Ioan Gavriel

Eine der schönsten Überraschungen für die neue Diagonale-Leitung Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh, die heuer ihren Festivaleinstand feiern, war die Fülle an Einreichungen für die Kurzfilmprogramme – sei es für das Innovative Kino, das extra aufgestockt wurde, seien es die Kurzdokus oder -spielfilme. Diese hätten sie durch ihre Aktualität und stilistische Vielfalt beeindruckt, verriet das Leitungsduo vorab.

Auch für das Publikum der am 4. April in Graz startenden Diagonale – Festival des österreichischen Films lauern die größten Überraschungen in den Kurzfilmprogrammen. Nicht nur weil jedes davon mehrere Arbeiten versammelt und diese außerhalb des Festivalkontexts quasi unsichtbar sind, sondern auch weil sich hier traditionell angehende Filmemacher und -macherinnen ausprobieren.

Klima, Queer, Incels

Benita Martins als lebensmüde Klimaaktivistin in Lotta Schweikerts
Benita Martins als lebensmüde Klimaaktivistin in Lotta Schweikerts "Besser So".
Diagonale

Etwa Lotta Schweikert mit Besser So. Die Filmakademiestudentin folgt darin einer jungen, lebensmüden Klimaaktivistin. Was nach Politdrama klingt, schlägt den Ton einer schwarzen Komödie an. Die spröden Diskussionen über Klimaaktivismus werden mit einer feuchtfröhlichen polnischen Hochzeit kontrastiert, verlieren dabei aber nicht an Dringlichkeit. "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" (Adorno). Da waren wir schon mal und sind es wieder, unter anderem Vorzeichen.

Besser So spielt im Kurzspielfilmprogramm 2, das generell einen humoristischen Blick auf Zeitgemäßes wirft. Raoul Brucks Groteske Söder blickt auf "Incels" (einsame junge Männer mit Waffenfetisch und Frauenhass) und eine Beziehungskrise. Isa Schieches Die Räuberinnen folgt drei Transfrauen, die einen Überfall und zur Tarnung männliches Verhalten einstudieren. Mit dabei ist die Berlinale-Preisträgerin Thea Ehre, die auch im Christoph-Hochhäusler-Film Bis ans Ende der Nacht zu sehen ist – dem wiederum eine Werkschau („Position“) gewidmet ist.

Bis ans Ende der Nacht (offizieller Teaser) - Ein Film von Christoph Hochhäusler mit Thea Ehre
GRANDFILM

Innovative und erfahrene Talente

Darüber, wie sie auf die jeweils andere Person wirken, sind auch die zwei Protagonisten in Er So Sie So verunsichert. Er wird von Lukas Miko dargestellt, dem diesjährigen Träger des Großen Diagonale-Schauspielpreises (auch zu sehen als STANDARD-Journalist im Wettbewerbsfilm Persona non Grata). Sie (Anna Tenta) hat ihn auf einer Hochzeit kennengelernt. Danach sind die beiden irgendwo am Straßenrand in einem kleinen Wäldchen eingeschlafen. Am Tag darauf entspinnt sich ein Spiel um Begehren und Erwartungen. Beide sind nicht mehr jung, beide haben seelisches Gepäck. Eine leichte Sommerromanze über die Möglichkeit einer Beziehung und die Haut, aus der man sich nicht traut.

Der diesjährige Träger des Großen Schauspielpreises Lukas Miko und Anna Tenta in Benjamin Heisenbergs
Der diesjährige Träger des Großen Schauspielpreises Lukas Miko und Anna Tenta in Benjamin Heisenbergs "Er So Sie So"
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Regie führte Benjamin Heisenberg, der mit dem Spielfilm Der Räuber 2010 einen internationalen Festivalerfolg erzielte. Das Kurzfilmprogramm 1, in dem Er So Sie So läuft, zeigt außerdem Johannes Hammels jazzige Variation auf den Orpheus-Mythos, Family Portraits. Hammels Talent kann man ebenfalls nicht als "jung" bezeichnen. Er hat es als Kameramann bei Ruth Beckermann und Constantin Wulff erprobt und erhielt 2014 den Outstanding Artist Award für Filmkunst der Republik Österreich.

Weitere bekannte Namen finden sich außerdem im Bereich Innovatives Kino: Dietmar Brehm, Christiana Perschon, Friedl vom Gröller et al. Dem Werk der Avantgardefilmerin Lisl Ponger ist zudem eine zweite "Position" gewidmet. Experimentelle Filmformen, das Diagonale-Programm zeigt das deutlich, haben hierzulande nach wie vor ein stolzes Gewicht.

Nur ein "Kanzler-Film"

Auch Erkundungen austriakischer Befindlichkeiten findet man auf der Diagonale zuhauf. Etwa im Kurzfilmprogramm 5, wo in Oh Katharina eine Tiroler Bergstube zum Ort queer-feministischer Aneignung wird – mit Fausthieben und Gesangseinlagen. Schöne Stimmen im Landgasthaus beglücken auch in Fabian Rauschs und Zorah Berghammers Die Sänger, einem zart-skurrilen Film über Verantwortung und Leichtsinn. Und im Kurzdokumentarfilm Von Drachen und Hasen von Lisa Hasenhütl hat sogar der Ex-Bundeskanzler einen "Kurz"-Auftritt: bei einem ehrgeizigen Drachenbootrennen auf der Mur.

Theresa Gmachl steht in Lisa Polsters
Theresa Gmachl steht in Lisa Polsters "Oh Katharina" nicht auf den Vater ihres Kindes.
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Während die zahlreichen und vielseitigen Kurzfilmprogramme zum Entdecken einladen, kann man im Langfilmwettbewerb auf das österreichische Kinojahr zurückblicken – oder auch eine Handvoll neuer Talente aufstöbern. Und dann gibt es da noch die vielen spannenden Dokumentarfilme.

Darunter ist Ruth Beckermanns Favoriten über Einwandererkinder in einer Wiener Volksschule, der die Diagonale am Donnerstagabend eröffnet und sich an ein historisches Thema des Festivals anlehnt: In dem Spezial "Die erste Schicht" werden Filme von und über Gastarbeiter und ihre Nachkommen gezeigt. Noch so ein Schatz, den es Anfang April in Graz zu bergen gilt. (Valerie Dirk, 2.4.2024)