Das Jahr 1879 beginnt für Rudolf Alt durchaus geschäftig. Wenige Wochen zuvor hatte ihm, dem allseits geschätzten Sohn des Vedutenmalers Jakob Alt, die Wiener Akademie den Professorentitel verliehen: Eine würdige Ernte für den Erfolg bei der Pariser Weltausstellung (Mai bis Oktober 1878), wo seine Aquarelle Inneres des Stephansdoms und Das Belvedere breite Beachtung gefunden hatten.

Bildnis von Rudolf von Alt 
Als Minister genoss Gyula Andrássy eher wohnliche Atmosphäre, wie Rudolf von Alts Aquarell von 1879 zeigt, das diese Woche im Dorotheum versteigert wurde.
Dorotheum

Im Februar des Jahres bestellt die Stadt Wien zwei Wiener Ansichten für das Prachtwerk über den Huldigungsfestzug anlässlich der silbernen Hochzeit "Ihrer Majestäten". Aus ebendiesem Anlass hatte Kronprinz Rudolf bei Alt vier Aquarelle in Auftrag gegeben, die er am Jubeltag offiziell überreichte. Den Innsbrucker Nachrichten zufolge handelte es sich bei den Motiven um das Schloss Possenhofen, die Geburtsstätte der Kaiserin, um eine Innenansicht der Augustinerkirche zur Erinnerung an die Vermählung am 24. April 1854; weiters das kaiserliche Lustschloss in Laxenburg, wo der Thronfolger ehedem am 21. August 1858 das Licht der Welt erblickt hatte, sowie die Burg in Ofen als zeitweilige Residenz.

Reise nach "Fries – ach"

Ebenfalls im April ist Alt bei der Jahresausstellung im Künstlerhaus mit einer "großen Folge seiner Aquarelle" vertreten, "darunter jenes, welches die feierliche Eröffnung der neuen Akademie darstellt", wie die Österreichische Kunst-Chronik berichtet. Später im Jahr wird er einer Einladung auf den Sommersitz des Industriellen und Kunstmäzens Nikolaus Dumba bei Liezen in der Steiermark folgen. Davor nimmt er in einem Gasthof bei Admont Quartier, von dessen grandioser Gesäuse-Kulisse die kletternden Wiener in den höchsten Tönen zu schwärmen pflegten. So das Wetter mitspielt, entstehen prachtvolle Ansichten.

Ende August bezieht er bei Dumba sein temporäres Quartier und trifft dort auf Kollegen wie Carl Pischinger, der die Damen des Hauses in Malerei unterrichtet. Alt arbeitet an seinen Studien, allabendlich lauscht man Dumbas vorgetragenen Schubert-Liedern, danach "wird zu den Tarocktischen gegangen", wie er seiner Ehefrau schreibt. Anfang Oktober löst sich die Runde auf, auf dem Rückweg Richtung Wien macht Alt noch ein paar Tage in Friesach halt, das er wegen der dort dominierenden Stille und Einsamkeit als "Fries – ach" bezeichnet.

Graf Andrássys Arbeitszimmer

Die Früchte seiner Reisetätigkeit sind in dem einst von Walter Koschatzky verfassten Werkverzeichnis (2. Auflage 2001) dokumentiert. Dem Aquarell Liezen: Nikolaus Dumba mit einem Gast und einem Jäger vor seinem Sommersitz folgt in der Chronologie das als Metternich-Zimmer in Wien bezeichnete. Ein Interieur, das diese Woche für 16.000 Euro (exkl. Aufgeld) versteigert wurde.

Bei dem Raum handelt es sich um das ehemalige Arbeitszimmer von Clemens Wenzel Fürst von Metternich. Bis zur Revolution 1848 residierte der Außenminister und Staatskanzler in den Wintermonaten mitsamt seiner Familie im Ministerium des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußeren. Nur im Sommer residierte der Fürst in seiner Villa am Rennweg, die Alt 1843 in zwei Aquarellen verewigte, die 2012 von Christie’s in New York für jeweils rund 24.500 Euro versteigert wurden.

Allerhöchster Auftrag: Am 30. April 1879 berichteten die "Innsbrucker Nachrichten" über jene Aquarelle, die der Kronprinz anlässlich der silbernen Hochzeit seiner Eltern, bei Rudolf von Alt in Auftrag gegeben hatte.
Innsbrucker Nachrichten, ANNO, Screenshot DER STANDARD

Zum Zeitpunkt, als Alt das Aquarell 1879 schuf, wurde Metternichs ehemaliges Arbeitszimmer von Gyula Andrássy genutzt, seit 1871 Minister des Äußeren und des kaiserlichen Hauses, der am 7. Oktober 1879 zurücktrat. Wie es zu dem Auftrag des Aquarells an Alt im Spätherbst 1879 kam, geht aus den Angaben im Auktionskatalog oder der Fachliteratur nicht hervor. Vielleicht ein letztes Souvenir in Erinnerung an die arbeitsreichen Jahre in Wien, bevor sich Andrássy auf seine Güter in Nordostungarn zurückzog und sich fortan mit Landwirtschaft und Weinbau befasste.

In dem üppig möblierten Zimmer sind einige Gemälde erkennbar, die von der Dorotheums-Expertin teils identifiziert werden konnten: Gleich rechts neben dem Kamin hängt das Bildnis von Andrássys Gattin Katinka Kendeffy, gemalt im Jahr 1875 vom Deutschen Franz von Lenbach (heute im Szépmüvészeti Múzeum, Budapest, Inv.-Nr. 72.10 B).

Kurz und Bierlein
Ein letzter Akt als Bundeskanzlerin: Brigitte Bierlein, die ebenfalls das "Metternich-Zimmer" als Arbeitsrefugium wählte, übergab im Jänner 2020 ihre Agenden an Sebastian Kurz.
BKA, Jakob Glaser

Das große, den Raum dominierende Gemälde von Bertalan Székely zeigt Elisabeth, Kaiserin von Österreich und seit 1867 Königin von Ungarn, im ungarischen Krönungskleid (heute im József Attila Múzeum, Makó). Mit Letzterer verband der Graf eine tiefe Freundschaft: mehr als einer ihrer engsten Berater war er jedoch laut Historikern nie.

Auf den Spuren "Millimetternichs"

In der von Rudolf von Alt dokumentierten Form existiert der Raum im zweiten Stock des Bundeskanzleramts am Ballhausplatz in seiner Größe nicht mehr. Der Raum im zweiten Stock des Bundeskanzleramts am Ballhaus wird noch heute als Metternich-Zimmer bezeichnet. Zu den späteren Politikern, die sich hier einquartiert, gehörte etwa Engelbert Dollfuß, den die Nazis bekanntlich als "Millimetternich" verspotteten.

König Abdullah II Ibn Al-Hussein und Alexander Schallerberg
In seiner Ära als Bundeskanzler empfing Alexander Schallenberg im ehemaligen Metternich-Zimmer im Herbst 2021 etwa Jordaniens König Abdullah II Ibn Al-Hussein.
BKA, Dragan Tatic

Ab 2000 wurde der Raum immer öfter als Kanzlerzimmer genutzt. Den Anfang machte Wolfgang Schüssel (ÖVP), dem als "Bewohner" die SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Christian Kern folgten.

Auch Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) und Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein fanden Gefallen an dem hellen, lichtdurchfluteten Zimmer mit Blick auf den Volksgarten. Als vorerst letzter Kanzler zog für seine Amtszeit dort Alexander Schallenberg ein. Seither wird es nur als Sitzungszimmer genutzt, wie aus dem Bundeskanzleramt in Erfahrung zu bringen war. (Olga Kronsteiner, 30.3.2024)