Thomas Brezinas Tierfabel
Thomas Brezinas Tierfabel "Na und, sprach der weiße Schimpanse" soll den Menschen etwas von Vergebung erzählen. Hass führe laut Brezina nur zur Selbstbeschädigung.
APA/EVA MANHART

Der Tier-Gnadenhof Gut Aiderbichl beherbergt Schimpansen, die als Laboräffchen gebraucht oder, je nach Sichtweise, missbraucht wurden. Kinder- und Jugendbuchautor Thomas Brezina wurde von dem Gnadenhof im niederösterreichischen Gänserndorf angefragt, sich der Lebensgeschichte der Tiere in fantasievoller Form anzunehmen. Herausgekommen ist das Buch Na und, sprach der weiße Schimpanse: Eine Geschichte über das Vergeben (Verlag edition a) – eine Tierfabel, die für junges wie älteres Lesepublikum gleichermaßen gedacht ist.

STANDARD: Sie sind ein ausgewiesener Vielschreiber und Erfolgsautor. Nun haben Sie uns eine Geschichte über das Vergeben vorgelegt. Warum?

Brezina: Es war so, dass ich gefragt worden bin, ob ich über die Geschichte dieser Schimpansen schreiben möchte, die jahrelang in einem Versuchslabor schrecklich gelitten haben und nach ihrer Befreiung auf Gut Aiderbichl ein neues Zuhause gefunden haben, wo sie vor allem auch resozialisiert werden. Schimpansen werden ja 50, 60, 70 Jahre alt. Ich habe vor allem die Berichte der Pflegenden gelesen über die jeweiligen Charaktere dieser Schimpansen, und das war sehr bewegend, das sind ja hochsoziale Wesen. Also habe ich mir gedacht: Ich möchte gerne darüber schreiben, aber gleichzeitig auch über etwas anderes – nämlich über diese Kraft des Vergebens, von der ich glaube, dass sie heute wichtiger ist als je zuvor.

STANDARD: Ist das ein Thema, das Sie immer beschäftigt hat, oder erst jetzt angesichts der konfliktreichen Weltlage?

Brezina: Vergeben ist ein Thema, das mich immer beschäftigt, weil mich immer beschäftigt, wie Menschen miteinander umgehen. Aber bei der Kraft des Vergebens geht es ja auch sehr stark darum, wie man mit sich selbst umgeht, mit dem Zorn und der Wut, die man in sich trägt über eine Situation oder andere Menschen. So ist diese Geschichte entstanden um den weißen Schimpansen, der den fünf befreiten Schimpansen helfen soll, glücklich zu werden.

STANDARD: Wie gehen Sie an solche Geschichten heran? Haben Sie sich als Kind an griechischen Heldensagen geschult?

Brezina: Die waren nichts, was mich als Kind oder Jugendlicher bewegt hätte.

STANDARD: Legen Sie Personal und Dramaturgie vorher fest?

Brezina: Nein! Ich stelle mir vor, dass ich vor meinem Publikum stehe und eine Geschichte erzähle, und wenn ich das Gefühl habe, das Publikum würde mir gespannt zuhören und die Augen der Zuhörer würden leuchten, dann schreibe ich die Geschichte auf. Zuvor aber muss ich immer dieses Gefühl haben.

STANDARD: Sie denken nicht an Wendepunkte und Höhepunkte?

Brezina: Nein, das machen Leute, die Literatur analysieren. Diese theoretischen Sachen sind mir ganz fern, und selbst wenn ich davon etwas aufnehme, verdaue ich es, und es fließt halt irgendwann in mein Schreiben ein.

STANDARD: In die Fiktion lassen Sie reale Elemente und Stimmen der Leute aus dem Labor, in dem die Schimpansen gequält wurden, einfließen. Geht es Ihnen auch um Aufklärung?

Brezina: Schauen Sie, so denke und arbeite ich nicht. Ich kannte diese Geschichte wie gesagt schon sehr lange, dann war da der Gedanke, dass es allzu verständlich wäre, wenn diese Schimpansen für das Erlittene Rache wollten oder zumindest alles vergessen. Beides aber geht nicht, also stellte sich die Frage: Wie kann man noch damit umgehen? Und so wuchs diese Geschichte in meinem Kopf! Fragen Sie mich nicht, wie, und fragen Sie mich nicht, wo. Vielleicht beim Spaziergehen war plötzlich dieser Titel da: Na und, sprach der weiße Schimpanse.

STANDARD: Es heißt dann: "Hass ist das Gift, das dich selbst zerstört. Und du glaubst, er tötet die anderen, aber er tötet nur dich." Zu dieser Erkenntnis zu kommen ist nicht einfach, wenn man Schlimmes erlebt hat.

Brezina: Nichts im Leben ist einfach, im Gegenteil, und wir gehen viele Irrwege, um dorthin zu kommen, wo wir sein sollen. Auch was hier geschildert wird, ist ein Prozess im Leben, der sehr viel Achtsamkeit und sehr viele Gespräche erfordert. Der Wunsch nach Rache ist verständlich, aber dann stellt sich die Frage, ob man darüber hinauswachsen und sagen kann: Vergangenes ist geschehen, was soll jetzt passieren?

STANDARD: Im Miteinander …

Brezina: Das Miteinander ist immer wichtig! Ich bin ein Mensch, der über Sachen reden muss mit anderen. Und ich bin sehr froh, dass ich Menschen um mich haben, die mir sagen, wenn ich im Kreis rede oder mich in etwas verbohre. Die sagen dann: "Reg dich ab!" Oder wie der weiße Schimpanse, der ein Weiser ist, sagt: "Na und?" Verstehen Sie?

STANDARD: Sie selbst sind offen für die Weisheit anderer?

Brezina: Ja! Das sind aber sehr wenige Menschen, die mir sehr nahe sind und denen ich vertraue, weil ich weiß, dass sie mein Bestes wollen. Dann hole ich mal tief Luft und höre sehr genau zu. Und da ich diese Menschen sehr gut kenne, wissen sie auch, wie wir miteinander am besten reden.

STANDARD: Kommt es dann auch zu Wendungen in Ihrem Leben?

Brezina: Ja. Aber das ist sauschwer. Der einfachere Weg ist immer, mich in Wut, Zorn oder Hass zu vergraben. Dann muss ich mich aber fragen: Ist es mir das wert? Diese Minuten meines Lebens, in denen ich hasse, kommen nicht mehr wieder. Also will ich sie nicht mit etwas anderem füllen? Denn wenn ich wütend bin, schade ich nur mir selbst.

STANDARD: Ist das umlegbar auf die großen Konflikte unserer Tage, wo den Aggressoren ja keine Konsequenzen drohen, wenn ihnen vergeben wird?

Brezina: Sie beschreiben ein Extrem, und dazu sage ich ganz ehrlich: Was große Weltthemen angeht, dazu nehme ich nicht Stellung. Nur so viel: Was an Unrecht geschehen ist, wird durch Vergebung ja weder aufgelöst noch vergessen.

STANDARD: Sind Ihnen Tiere manchmal näher als Menschen?

Brezina: Nein! Das sind unterschiedliche Lebewesen, und ich mag auch nicht, wenn das jemand sagt. Ich habe heute den bezauberndsten Hund, den ich je hatte, ich liebe ihn. Aber ich liebe auch Menschen, und es gibt welche, die mir gar nicht sympathisch sind. Sowohl Tiere als auch Menschen haben nämlich Charaktere.

STANDARD: Michael Jackson mit seinem Schimpansen Bubbles hat es wohl übertrieben?

Brezina: Ja.

STANDARD: Wie leicht können Sie denen, die Sie in Ihrer Arbeit als Schriftsteller abwerten, vergeben?

Brezina: Ich lasse mich nur von den Menschen, die ich auch um Rat fragen würde, kritisieren, das ist meine Einstellung. Ich bin, wie ich bin, ich schreibe, wie ich schreibe, und das macht mir viel Freude. Und vielen Menschen macht es Freude, zu lesen, was ich schreibe. Wenn mir heute Menschen aus den verschiedensten Ländern sagen: "Danke für eine schöne Kindheit!", dann ist das für mich die höchste Auszeichnung. Wie zwei Studentinnen aus China, die mich letzte Woche auf der Straße angesprochen haben, weil sie die Abenteuer des Tiger-Teams so gerne gelesen haben.

STANDARD: Hatte die christliche Vorstellung von Vergebung Einfluss auf Ihr Denken?

Brezina: Mein Denken ist nicht nur beeinflusst von einer Einstellung, einer Religion oder einer Philosophie. Was mich beeinflusst, ist alles Konstruktive, Tröstliche, Verbindende und Wertschätzende. (Manfred Rebhandl, 31.3.2024)