Goldmünzen
Aus einem Mailverkehr ging hervor, dass die Frau versuchte, Goldmünzen zu verstecken.
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Fälle wie dieser sorgen in Verwandtschaften immer wieder für Streit und Misstrauen: Ein Familienmitglied steht im Verdacht, Erbstücke eigenhändig aus der Wohnung der verstorbenen Person mitgenommen zu haben, etwa Golddukaten, Uhren oder Schmuck. Derartige Unterschlagungen sind zweifellos verboten – aber führen sie auch dazu, dass das überführte Familienmitglied seinen Anspruch auf das gemeinsame Erbe gänzlich verliert?

In einer aktuellen Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof (OGH) diese Frage verneint – und damit einen jahrelangen Streit unter Juristinnen und Juristen beendet. Vermögensdelikte wie Diebstähle oder Unterschlagungen, die von Familienmitgliedern begangen werden, seien demnach zwar strafrechtlich verboten, führen jedoch nicht zur Erbunwürdigkeit des Täters.

Anlass des OGH-Urteils war ein Fall aus Wien. Eine Frau soll versucht haben, knapp 23.000 Euro ihres verstorbenen Lebensgefährten vor dessen leiblichen Kindern zu verstecken. Trotz der Unterschlagung hat sie laut OGH Anspruch auf eine Wohnung, die ihr per Testament von ihrem Lebensgefährten vermacht wurde. Weil die Frau mittlerweile selbst verstorben ist, geht die Immobilie voraussichtlich an ihren Sohn (OGH 20.2.2024, 2 Ob 200/23k).

Vermächtnis für Lebensgefährtin

Der Erblasser hatte zwei Kinder mit einer Frau, die bereits in den 1990er-Jahren verstorben war. Später wohnte er jahrelang mit einer neuen Lebensgefährtin zusammen und bedachte sie im Testament mit seiner Eigentumswohnung. Nach seinem Tod weigerten sich die Kinder aus erster Ehe, das Eigentum daran an die Lebensgefährtin zu übertragen. Der Grund: Die Frau habe versucht, Goldmünzen in einem Schließfach zu verheimlichen – ein Umstand, der sie "erbunwürdig" gemacht habe. Vor den Gerichten bekamen die Kinder zunächst recht, der OGH beurteilte den Fall nun diametral anders.

Dazu muss man eines wissen: Grundsätzlich gilt eine Person dann als erbunwürdig, wenn sie eine Straftat gegen die verstorbene Person begangen hat, die mit einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe bedroht ist. Bei Vermögensdelikten wie Diebstählen oder Unterschlagungen ist die Situation jedoch speziell: Das Strafgesetz sieht vor, dass Vermögensdelikte, die im "Familienkreis" begangen werden, weniger streng bestraft werden. Die Strafdrohung sinkt dabei unter ein Jahr, und damit entfällt auch die Erbunwürdigkeit. Zum "Familienkreis" zählen etwa Kinder, Ehepartner und Lebensgefährten, die im gemeinsamen Haushalt leben.

Strittig war bisher, ob der Vorteil einer "Begehung im Familienkreis" nur dann gilt, wenn die Straftat zu Lebzeiten begangen wurde, oder auch dann, wenn der Erblasser bereits verstorben war – so wie im aktuellen Fall. Der Oberste Gerichtshof hat sich nun festgelegt: Die Begünstigung gelte demnach jedenfalls – egal ob das Vermögensdelikt gegen die lebende Person oder gegen die Verlassenschaft begangen wurde. Würde man diese Konstellationen unterschiedlich beurteilen, lägen laut OGH "verfassungsrechtlich nicht unbedenkliche Wertungswidersprüche" vor.

"Lange Tradition"

Dass Straftaten im Familienkreis weniger streng bestraft werden "hat seine Berechtigung und eine lange Tradition", sagt Rechtsanwalt Wendelin Moritz, der im aktuellen Fall die Verlassenschaft der verstorbenen Frau vertreten hat. "Der Hintergedanke der Regelung ist, dass in Familien zwischen Mein und Dein oft nicht streng unterschieden wird. Bei vielen Dingen ist nicht klar, wer tatsächlich der rechtliche Eigentümer ist." Dieser Umstand dürfe nicht dazu führen, dass man allzu leicht strafrechtlich belangt werden könne.

"Es ist konsequent, diese Regelung auch für die Frage der Erbunwürdigkeit anzuwenden", sagt Moritz. Wenn sie nur für Straftaten gegen lebende Familienmitglieder gelten würde, nicht aber für Straftaten gegen die Verlassenschaft, wäre das allerdings ein "Wertungswiderspruch", findet der Rechtsanwalt. "Ich wäre dann zwar erbwürdig, wenn ich meinen Vater etwas wegnehme, während er im Totenbett liegt, nicht aber, wenn ich ihn kurz nach seinem Tod bestehle. Diese Fälle müssen rechtlich gleich behandelt werden."

Widersprüchlich?

Rechtsanwältin Brigitte Heaman-Dunn, die im aktuellen Fall die Kinder des Erblassers vertreten hat, kann die Entscheidung des OGH nicht nachvollziehen. Aus ihrer Sicht hatte der Gesetzgeber mit der Einführung der Regelung der Erbunwürdigkeit bei schwerwiegenden strafbaren Handlungen gegen die Verlassenschaft das Ziel, diese vor derartigen Handlungen der Erben zu schützen – und damit den Willen des Erblassers zu sichern. Wenn die gesetzliche Bestimmung so auszulegen ist, dass Familienmitglieder bei Straftaten gegen die Verlassenschaft von vornherein nie erbunwürdig werden können, habe die Regelung in der Praxis kaum einen Anwendungsbereich. Schließlich sind es in aller Regel die Familienmitglieder, die nach dem Tod des Erblassers Zugriffsmöglichkeiten auf das Vermögen haben.

Auch einen Wertungswiderspruch sieht Heaman-Dunn nicht. Unterschlagungen und Diebstähle, die nach dem Tod begangen werden, können aus Sicht der Anwältin nicht mit Straftaten vor dem Tod verglichen werden. Wenn die Straftat vor dem Tod begangen werde, könne der Erblasser nämlich darauf reagieren und sein Testament anpassen. Tut er das nicht, sei folgerichtig, dass der Täter erben darf. Ausgenommen davon seien freilich Situationen, in denen der Erblasser zwar noch lebt, aber sein Testament aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr anpassen kann. "Wenn sich aus solchen speziellen Fällen ein Wertungswiderspruch ergibt, könnte man den aber auch anders lösen, ohne der neuen gesetzlichen Regelung ihren Anwendungsbereich zu nehmen", sagt die Anwältin.

Kein Strafverfahren

Vor dem Strafgericht sind Unterschlagungen gegen die Verlassenschaft übrigens nicht "begünstigt" – sie werden mit dem vollen Strafausmaß geahndet. Im aktuellen Fall ist es aber nie zu einem Strafverfahren gekommen. Die Frau starb wenige Monate nach ihrem Lebensgefährten. (Jakob Pflügl, 8.4.2024)