Viktor Hufnagls Konzept der Hallenschule war in den 1970er-Jahren revolutionär.
Werner Feiersinger

Endlich darf sich die Früher-war-alles-besser-Fraktion einmal bestätigt fühlen. Während man heute in Österreich von einem Bautenministerium, das Kompetenzen bündelt oder gar die Entwicklung zukunftsträchtiger Konzepte vorantreibt, nur träumen kann, apern beim Blick in die 1970er-Jahre bauministerielle Initiativen wie die österreichweit ausgeschriebenen Wettbewerbe "Wohnen morgen" aus. Freilich hatte auch die Reformfreudigkeit der Kreisky-Ära ihre Grenzen, zumal im konservativ geprägten Tirol.

Den Widerstand und Wandel der Siebziger hat das aut. architektur und tirol vor einigen Jahren in einer famosen Ausstellung und Publikation beleuchtet. Zu den darin präsentierten Vorzeigeprojekten gehörte das 1970–73 als eines von drei österreichischen Modellschulen errichtete Bundesschulzentrum im Tiroler Wörgl von Viktor Hufnagl (1922–2007). Dem von Hufnagl realisierten, damals revolutionären Konzept der Hallenschule begegnet man im aut jetzt erneut, zudem einer Reihe weiterer Projekte, die den österreichischen Architekten als Wegbereiter des zeitgenössischen Schulbaus und innovativen Wohnbauarchitekten ausweisen, der seinen Beruf als gesellschaftspolitischen Auftrag verstand.

Blick des Flaneurs

Geometrien des Lebens titelt die Schau der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGFA), die aus Wien nach Innsbruck übernommen und von den Kuratorinnen Elise Feiersinger und Gabriele Kaiser hierfür adaptiert und erweitert wurde. Neben erstklassiger Vitrinenware bedienen großformatige Fotografien von Werner Feiersinger bewusst nicht die Ästhetik der klassischen Architekturfotografie, sondern den Blick des Flaneurs, der zum Spaziergang "durch" die Bauten einlädt. Und da sind einige Meter zu machen, etwa durch die Großwohnanlage Am Schöpfwerk in Wien-Meidling mit ihren mehr als 2000 Wohneinheiten, der konfliktbehafteten Genese und mitunter zweifelhaften Reputation als sozialer Brennpunkt oder Kleinbürger-Hölle in der Kultsatire Muttertag.

30 Jahre aut

Das wird in Interviews erörtert und fördert die Erkenntnis, dass auch die ausgeklügeltste (Frei-)Raumkonzeption in die Praxis weitergedachte soziale Verantwortung erfordert. Abgesehen von den typologisch vielfältigen Hufnagl-Projekten (darunter die Siedlung Gerasdorfer Straße, in der er die Idee der Gartenstadt aufgriff) feiert das aut auch sein 30-jähriges Bestehen. Und in diesem Fall eröffnet der Rückblick in die 1990er-Jahre wenig Erfreuliches, sondern eine tirolweit "fast flächendeckende baukulturelle Dürre", wie es Architekt und aut-Mitbegründer Helmut Reitter einmal formuliert hat. Daraus erwuchsen aber Widerstandsgeist und das Architekturforum (heute: aut), dessen Leiter Arno Ritter resümiert: "Wir haben die Vorhölle verlassen, aber das Paradies ist noch nicht erreicht." Zum Jubiläum bietet man spezielle Baukultur-Touren an. (Ivona Jelčić, 2.4.2024)