Oh, mein Gott, gleich fangen sie an zu lachen: Blixa Bargeld (Mitte) und die Einstürzenden Neubauten entwickeln auf
Oh, mein Gott, gleich fangen sie an zu lachen: Blixa Bargeld (Mitte) und die Einstürzenden Neubauten entwickeln auf "Rampen (apm: alien pop music)" eine ziemlich losgelöste Altersgelassenheit.
Thomas Rabsch

Obwohl dort grundsätzlich mit Koks geheizt wird, konsumieren die Einstürzenden Neubauten als Privatmenschen Musik natürlich nicht vor Hochöfen der Stahlindustrie oder vertiefen sich in die der europäischen Musique concrète zugerechneten Partituren von Aluminiumwalzwerken oder Klein- und Mittelbetrieben mit Tischkreissäge und Flex. Und auch der zum Bückdich zwingende Hohlraum unter einer Autobahnbrücke dient längst nicht mehr als Aufnahmestudio ihrer einst schön kaputten Untergangsmusik – das war vor mittlerweile 44 Jahren.

Das alles ist Schnee von gestern. Damals steckten die Berliner Rabiatperlen der Industrial Music zum Gaudium des Publikums während mit Ölfässern, Stahlfeder, Schlagbohrer und beim Diskonter geflauchten Einkaufswägen bespielter Konzerte tatsächlich Bühnen in Brand oder arbeiteten sich mit dem Presslufthammer in den Keller durch. Heute zählt das Quintett um Blixa Bargeld längst zu den von den Goethe-Instituten dieser Welt als deutsche Leidkultur herumgereichten Exportschlagern teutonischer Strenge in Verbindung mit einem oft hinreißenden Sinn für Romantik, Melancholie und German Angst: "Sind die Vulkane noch tätig? Bitte enttäusch mich nicht! Ich glaub wieder an Voodoo, steck Nadeln ins Telefonbuch ... Aaa-iiiiiieeeeeeeehhhhhhh!" Vom lange Zeit hinter dem Arbeitslärm gut versteckten Humor ganz zu schweigen: "Meine Nase hat direkten Zugang zum Gehirn / Ich bin sechs Meter groß – und alles ist wichtig!"

Edler Zwirn statt Müllsack

Heute trägt man statt Gummistiefeln, Suspensorium aus dem Erotikshop und zusammengetackerter Oberbekleidung aus Müllsäcken edlen Zwirn – und man nimmt auch regelmäßig feste Nahrung zu sich. Für die jüngere Leserschaft: Lustig war es damals in den 1980er-Jahren aber schon ziemlich!

Irgendwann aber entdecken selbst die wildesten Kerle die Vernunft. Sie ist auch unbedingt notwendig, wenn man nicht frühzeitig das Reißerte kriegen und stattdessen weiterhin relevante und halbwegs experimentierfreudige Musik machen will. Dass sich die Einstürzenden Neubauten dabei heutzutage ausgerechnet an den Beatles orientieren, war allerdings bei allem Zug zur Hochkultur nicht absehbar (Bargeld 2005 als Regisseur bei den Salzburger Festspielen!). Das neue, sehr, sehr gelbe (Vinyl-)Doppelalbum nennt sich Rampen (apm: alien pop music). Es beruft sich auf das berühmte Weiße Album der Beatles von 1968, in der durchnumerierten, streng limitierten Version inklusive Poster, Fotos der einzelnen Bandmitglieder und auf das Cover geprägtem Bandnamen. Es soll in einer Parallelwelt ein alieneskes Gegenstück zu den Visionen der Beatles bilden. Auch böse Menschen haben Lieder.

Einstürzende Neubauten

"Alles schon gesungen / Alles schon gedacht / Die Tricks sind ausgegangen / Gedruckt mit Blut auf Flügeln / Und unters Volk gebracht." Das Eröffnungsstück von Rampen basiert auf dem alten Arbeitsprinzip der Band, neue Lieder im Zugabenteil von Konzerten frei zu improvisieren und sie anschließend im Studio auf ihren Kern einzudampfen. Wie einst bei den Beatles setzt man sich dafür nicht jeweils zu Hause vor den Klappcomputer und schickt – wie langweilig! – Soundfiles hin und her. Die Stücke bekommen ihre Endfassung im Bandkollektiv im Studio verpasst: Anwesenheitspflicht.

Partyspieße und Eierschneider

Fixe Instrumente haben neben dem Bass von Alex Hacke und der Gitarre von Jochen Arbeit zwar insofern Tradition, als auch Schlagzeuger Rudi Moser seit Jahren nicht auf seine gefrästen Metalplatten und Abflussrohre verzichten mag. Und auch auf der mannsgroßen Stahlfeder wird immer noch gern gedengelt und geöttelt. Blixa Bargeld und Endruh Unruh als der Mann fürs Grobe verwenden aber auch gern neue Instrumente wie Inhalatoren, Partyspieße, Murmeln, Pappbecher, einen Sturzbach zu Boden gehender Metallschrauben oder einen zur Handorgel umfunktionierten Eierschneider. Man kann nur in Würde altern, wenn man ein neugieriges Kind bleibt.

Einstürzende Neubauten

Das Arbeitsprinzip der Improvisation besteht spätestens seit dem Song Letztes Biest (am Himmel) vom Album 1/2 Mensch von 1985. Blixa Bargeld trägt dazu, noch immer schneidig deklamierend und geheimwisserisch raunend bei Stimme, seine in täglicher Routine verfassten Textfragmente vom Teleprompter vor: alles besser als auf der Bühne eine Lesebrille!

Keine Rede vom Altenteil

Neben den zünftigen indigen-westberlinerischen Brauchtumskreistänzen aus dem Baumarkt namens Wie lange noch? und Ist Ist, einem geradezu klassisch pumpenden Neubau mit Abflussrohren, erleben wir den Sänger auch erstmals als originären Berliner Bänkelsänger: "Ick wees nich, ick wees nich, ick wees nich / Is allet verschoben / Dit is nich hier und och nich da / Irjendwie schief / Allet hat sich uffjelöst." In Trilobiten kommt gar noch eine sehr nachdenkliche Zupfgitarre zum Einsatz. Gesundbrunnen beendet, in den letzten Zügen des Krautrock liegend, ein spannendes Album, das mehr Nice als Noise beinhaltet. Aber man kann ja diese Musik ohne Gebrauchsanweisung einfach lauter drehen. Blixa Bargeld mag auf den Siebziger zugehen, vom Altenteil ist hier definitiv keine Rede. (Christian Schachinger, 3.4.2024)