Fahndung Jan Marsalek
Seit der Implosion des deutschen Bezahldienstleisters Wirecard im Sommer 2020 ist Jan Marsalek abgetaucht und vorerst unauffindbar.
IMAGO/Sven Simon

Wie aus einem Agentenfilm klingen die Vorwürfe, die dem früheren Verfassungsschützer Egisto Ott gemacht werden: Er soll mit einem Kollegen aus der IT-Abteilung die defekten Smartphones dreier Spitzenbeamten aus dem Innenministerium gestohlen und sie dann an russische Spione verkauft haben. Seit vergangener Woche sitzt Ott, gegen den bereits 2017 erstmals ermittelt wurde, deshalb in Untersuchungshaft.

Doch wie gelangten die Smartphones nach Moskau? Auf diese Frage liefern nun Recherchen von "The Insider" und dem Spiegel erste Hinweise – der STANDARD beschäftigt sich gemeinsam mit den beiden Medien seit Monaten mit der Causa Jan Marsalek.

Nach wenigen Stunden wieder abgereist

Der frühere Spitzenmanager beim deutschen Wirecard-Konzern soll mittlerweile in Moskau beim Inlandsgeheimdienst FSB arbeiten und von dort aus einen Spionagering in Europa dirigiert haben. Dessen Mitglieder gingen britischen Behörden vergangenes Jahr ins Netz, mitsamt rund 80.000 Telegram-Chats. Aus diesen geht hervor, dass Marsalek sich auch mit den drei gestohlenen Mobiltelefonen befasst hat. Die Smartphones sollen russischen Agenten im Sommer 2022 von Ott übergeben worden sein. Daraufhin dürften die Geräte nach Istanbul gewandert sein.

Dort soll laut Flugdaten, die "The Insider" und "Spiegel" zugespielt wurden, bereits eine Bekannte Jan Marsaleks mit guten Verbindungen zum FSB gewartet haben. Sie soll am Tag nach der Übergabe der Smartphones in Wien von Moskau nach Istanbul geflogen und nach wenigen Stunden wieder abgereist sein. Nur kurz nach ihrer Rückkehr nach Moskau habe sie sich laut Handydaten in der Nähe des Hauptquartiers des FSB eingeloggt.

Der Stress der Ermittler

Auch in zeitlicher Nähe zur Übergabe eines sogenannten "Sina-Laptops", der zur sicheren Übertragung von Daten verwendet wird, durch Ott an russische Agenten in Wien sei die Frau wieder von Moskau nach Istanbul und retour gereist. Marsalek meldete danach an einen Spion, der Laptop sei erfolgreich in die Lubjanka, also ins Hauptquartier des FSB, gebracht worden.

Andere Handydaten zeigen, dass die Frau auffällig oft mit einer Person aus dem Umfeld von Stanislav Petlinsky telefoniert hat. Petlinksy wird von mehreren europäischen Geheimdiensten als Kontaktmann russischer Dienste geführt. Er gilt als jener Mann, der Marsalek einst mit russischen Spionen bekannt gemacht hat. Dass er Marsalek rekrutiert hatte, bestritt Petlinsky zuletzt.

Petlinsky kannte Ott und Martin Weiss, den ehemaligen Abteilungsleiter im Verfassungsschutz, der spätestens 2018 von Marsalek abgeworben worden war. Die Tangente Weiss stresst derzeit den österreichischen Sicherheitsapparat. Der Grund: Gegen den eminenten Marsalek-Kontakt liegt noch immer keine Festnahmeordnung vor. Ermittler sehen derzeit Gefahr im Verzug, dass sich Weiss einem potentiellen Zugriff der Behörden entziehen könnte. Derzeit soll er sich in Dubai aufhalten und könnte nicht mehr greifbar sein. Nicht auszuschließen sei überdies, dass Weiss’ mutmaßlichen Drähte nach Russland hilfreich sein könnten.

BVT-Affäre wird Thema im U-Ausschuss

Passend zu den brisanten Enthüllungen über mutmaßliche russische Spionage durch frühere Verfassungsschützer beschäftigt sich nun auch der U-Ausschuss zu "rot-blauem Machtmissbrauch" mit der Affäre rund um das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT).

Zwar wird das Thema Russland nicht vom Untersuchungsgegenstand umfasst, gefragt werden darf aber nach den freiheitlichen Aktivitäten im Innenministerium, nachdem Herbert Kickl Ende 2017 dort Minister wurde. Die Ära Kickl war rasch durch den BVT-Skandal geprägt: Ende Februar 2018 durchsuchte eine Polizeieinheit unter Leitung eines blauen Lokalpolitikers mehrere hochsensible Bereiche im Verfassungsschutz – darunter auch das Büro der Referatsleiterin Extremismus, Sybille Geißler, die am Mittwoch befragt wird.

Angeordnet worden war die Hausdurchsuchung von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) aufgrund eines Konvoluts und mehrerer Zeugenaussagen. Hier schließt sich der Kreis zu mutmaßlicher russischer Spionage: Das Konvolut voller großteils falscher Vorwürfe gegen Beamte im Innenministerium soll vom langjährigen Ex-BVT-Agenten Egisto Ott zumindest mitverfasst worden sein, vermutet die Staatsanwaltschaft (StA) Wien. Ott hat das in der Vergangenheit stets bestritten.

Die entscheidende belastende Zeugenaussage gegen BVT-Personal erfolgte wiederum durch Martin Weiss, der bis kurz davor Abteilungsleiter im BVT gewesen war. Nach wie vor unklar ist, wie eng das Netzwerk um Ott mit der FPÖ kooperierte. Mit dem Machtwechsel im Innenministerium Richtung Kickl hofften zahlreiche frustrierte Verfassungsschützer auf frischen Wind und Rache gegen ÖVP-nahe Vorgesetzte, von denen sie sich gegängelt fühlten. Viele suchten die Nähe zu Kickl und seinem Umfeld, darunter auch Ott und Weiss. Während die Opposition in den BVT-Ermittlungen, in denen das Kabinett Kickl starken Druck auf die WKStA ausübte, eine Art Putsch sieht, betonte der heutige FPÖ-Chef stets, er habe die Vorwürfe überprüfen lassen wollen und das in die Hände der unabhängigen Justiz gelegt.

Auskunft über etwaige Verbindungen soll Kickl nächste Woche selbst geben. Neben dem einstigen Innenminister sind unter anderem auch sein damaliger Büroleiter Reinhard Teufel sowie sein Kommunikationschef Alexander Höferl geladen. Höferl war einst im Vorstand des Vereins hinter der FPÖ-nahen Webseite unzensuriert.at gestanden. Diese Funktion legte er bereits im Dezember 2017 vor seiner Tätigkeit im Innenministerium zurück. Der STANDARD hatte zuletzt berichtet, Höferl sei nach wie vor im Vorstand dieses Vereins; diese Information war nicht korrekt. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, 3.4.2024)