Menschen migrieren aus verschiedenen Gründen nach Österreich. Politische Unruhen, das Streben nach einem besseren Leben, neue berufliche Chancen, eine Ausbildung oder der Wunsch nach Vereinigung mit einer geliebten Person führen dazu, ein vertrautes Heimatland zu verlassen. Um sprachlich im Alltag zurechtzukommen, müssen viele sich dem Erlernen des Deutschen widmen. Mark Twain schrieb einst schon in seiner humoristischen Schrift "Die schreckliche deutsche Sprache" (1880): "Wer nie Deutsch gelernt hat, macht sich kein Bild davon, wie verwirrend diese Sprache sein kann." Für Lerner:innen ist das blanker Ernst des Alltags. Und als ob es nicht schon schwierig genug wäre, Deutsch "in freier Wildbahn" als eine weitere Sprache zu lernen, kommen hier in Österreich innerhalb einer reichhaltigen und durchaus sozial komplexen Dialektlandschaft (Zwischen Mötz, Diandl und Mädl) noch verschiedenste regionale Ausprägungen des Deutschen als Herausforderung dazu.

Deutsch in freier österreichischer Wildbahn

Die deutsche Standardsprache, die schon in der zahmen Umgebung eines Klassenzimmers anspruchsvoll sein kann, reicht nämlich in weiten Teilen Österreichs nicht aus, um im Alltag problemlos zurechtzukommen. Von der Bestellung in der Bäckerei bis zum Smalltalk an der Bushaltestelle oder dem schnellen Informationsaustausch zwischen Arbeitskolleg:innen bewegen sich viele in Österreich flexibel auf dem Spektrum von Dialekt bis Standardsprache. Und sowohl bei "I foah in d‘Hock'n" oder "Wos deaf's heit füa Eana sei?" können lautliche, lexikalische oder grammatische Unterschiede zwischen Standardsprache und Dialekt zu einer Verständnishürde werden. Die Mehrheit der Personen, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, gibt dementsprechend an, im Alltag häufig neben österreichischem Standard auch mit Dialekt und anderen umgangssprachlichen Formen konfrontiert zu sein. Die allermeisten Lerner:innen sagen von sich aber auch, mit dialektalen Sprechweisen mehr Schwierigkeiten beim Verstehen zu haben. Heißt das also, dass man mit Zweitsprach-Lerner:innen keinen Dialekt sprechen sollte?

Sprechblase in der steht:
Wenn jemand vom Land spricht ...
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Dialekt als zweischneidiges Schwert

Nicht unbedingt. Denn einerseits geht mit dem Erwerb der Standardsprache und dem regelmäßigen Kontakt mit Einheimischen in Österreich eine gewisse Dialektkompetenz längerfristig einher. Dies betrifft lautliche, lexikalische und grammatische Phänomene. Mit einer höheren Standardkompetenz und einer längeren Aufenthaltszeit in Österreich erwerben Zweitsprach-Lerner:innen auch die Fähigkeit, dialektale Realisierungen mit standardsprachlichen Entsprechungen zu assoziieren, die ihnen gegebenenfalls aus Sprachkursen und standardsprachlichen Kommunikationssituationen bereits bekannt sind. Dies geschieht aber natürlich nicht schnell, und eine ausgeprägte Dialektkompetenz wird zumeist erst nach fünf bis zehn Jahren Aufenthalt in Österreich beiläufig ausgebildet.

Sprechblasen in denen steht:
Die Kollegen (nicht) verstehen
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Auf dem Weg dorthin bleibt Dialektgebrauch ein zweischneidiges Schwert. Während er für die einen Zweitsprach-Lerner:innen ein Zeichen für Inklusion in der Gruppe der Einheimischen sein kann, kann er auch als mangelnde Rücksichtnahme von denjenigen, die ja auch standardnähere Sprechweisen beherrschen oder einmal gelernt haben, verstanden werden. Dementsprechend ist es verständlich, dass manche Lernende, die mit Dialekt konfrontiert werden, sich "gleich behandelt" und "ernst genommen" fühlen, andere aber diesen Gebrauch auch als "feindselig" oder "überheblich" wahrnehmen können.

Da Sprache nicht nur Mittel zur Kommunikation ist, sondern auch soziale Information transportiert, braucht es also auf alle Fälle Sensibilität von österreichischen Sprecher:innen, in welchem Ausmaß dialektaler Sprachgebrauch der Sprachkompetenz der Lernenden entspricht. Ebenfalls braucht es ein Bewusstsein der Lernenden, dass regionaler Sprachgebrauch, der nicht dem im Lehrwerk und Deutschkurs verwendeten Deutsch entspricht, keinen Affront darstellt. Dass Lernende im Prozess des Dialekterwerbs durch ein entsprechendes Material- und Sprachkursangebot Unterstützung erfahren, das gibt es bisher im deutschsprachigen Umfeld nur selten.

Ratschen und tratschen wie die Einheimischen: (K)ein Ziel im Zweitspracherwerb?

Oberstes und erstes Ziel von Sprachkursen soll natürlich eine Beschleunigung des Verstehens von authentischer Kommunikation sein. Nimmt man Mündlichkeit im Sprachlehrkontext in Österreich ernst, so ist eine konkrete rezeptive Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit von lokalen Dialekten unbedingt notwendig, um das Verstehen des Deutschen für Lernende zu unterstützen und sie besser auf die sprachliche Realität vorzubereiten. Dass dies dann manchen Lernenden noch nicht genug ist und sie Dialekt auch produktiv erlernen wollen, steht dann auf einem anderen Blatt. Freilich sind Personen, die Deutsch als Zweitsprache lernen, hier sehr unterschiedlich – es ist überdies ja auch nicht für alle in Österreich gleichermaßen wichtig, "österreichisch" zu klingen (Piefke, Preissn und Co). Wie sehr sich Lernende dem Dialektsprechen widmen wollen oder müssen, hängt zunächst einmal vom konkreten sozialen Netzwerk und den Handlungsfeldern im persönlichen und beruflichen Alltag ab.

Sprechblase in der steht:
Alle, mit denen ich rede, reden Dialekt
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Zweitsprach-Lerner:innen haben daneben aber auch unterschiedliche Wünsche, Ziele und Vorstellungen in Bezug auf ihr sprachliches Selbstbild. Die einen finden es nur unangenehm, aufzufallen, denn "wenn alle Dialekt reden, und dann kommst du auf einmal mit Hochdeutsch daher, dann ruinierst du es ein bisschen", wie ein Sprecher des Deutschen als Zweitsprache schildert. Daneben wägen Lernende natürlich auch ab, wie "österreichisch" und auch "sprachlich verbunden" sie klingen wollen und wie aufwändig dies ist, um dennoch auch ohne Einschränkung der kommunikativen Reichweite über die engeren lokalen Netzwerke hinaus zu kommunizieren. Wie sehr Dialektsprechen und Dialektlernen auch in Zusammenhang mit Sprachangst, in weiterer Folge mit Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit zusammenhängt, und wie Lernende hier bestmöglich unterstützt werden können, gilt es weiterhin für verschiedene Lernendengruppen zu klären. (Mason A. Wirtz, Andrea Ender, 8.4.2024)