Hier sitzen fünf Personen zusammen. Gemeinsam mit dem Fotografen handelt es sich um eine gute Gruppengröße für eine Party.
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Mathematik kann den sogenannten gesunden Hausverstand manchmal auf ziemlich hinterlistige Weise aufs Glatteis führen. Eine derartige Falle wartet auf Menschen, die eine Party planen und sicherstellen wollen, dass sie die richtigen Leute einladen. Eine gute Party sollte aus Menschen bestehen, die einander kennen, und solchen, die einander nicht kennen. Doch wie viele Gäste sollte man einladen, um eine gute Gruppendynamik zu erhalten?

Wer dieses Problem zu lösen versucht, landet geradewegs im mathematischen Gebiet der Graphentheorie. Dort gibt es Objekte, die Ramsey-Zahlen genannt werden und sich, wie es gute Mathematik so an sich hat, nicht im Geringsten darum kümmern, ob man sie auf Äpfel, Birnen oder Partygäste anwendet.

Die Kunst der guten Party

Für kleine Partys ist das Problem relativ einfach. Wer sicherstellen will, dass zumindest drei Menschen auf einer Party einander kennen oder drei einander nicht kennen, muss sechs Menschen einladen. Das ist nicht auf den ersten Blick zu sehen, lässt sich aber durch Aufzeichnen von Punkten und deren Verbinden durch Linien in verschiedenen Farben illustrieren. Bei Verwendung zweier Farben lässt es sich bei sechs Punkten nicht vermeiden, ein Dreieck zu zeichnen. Bei fünf Punkten geht das.

Die Übung gibt es auch als Spiel namens Sim. Zwei Personen versuchen, jede mit ihrer eigenen Farbe, sechs Punkte zu verbinden. Wer als Erstes ein Dreieck in seiner Farbe vollendet, verliert. Mathematisch lässt sich die Aussage als R(3,3)=6 schreiben, wobei R(3,3) als Ramsey-Zahl bezeichnet wird. Die Verbindungen heißen sinnigerweise Cliques.

Dahinter steht ein Satz, der auf den Mathematiker Frank Ramsey zurückgeht und 1930 veröffentlicht wurde. Der bereits im Alter von 26 Jahren verstorbene Ramsey war ein enger Freund Ludwig Wittgensteins und gemeinsam mit Bertrand Russell, John Maynard Keynes und Wittgenstein Mitglied in der Geheimgesellschaft der "Cambridge-Apostel".

Der Ramsey-Satz stellt eine Verallgemeinerung des sogenannten Schubfach- oder Taubenschlag-Prinzips dar, wonach fünf Tauben nicht in einem Taubenschlag mit vier Fächern Platz haben, ohne zwei Tauben in ein einziges Fach zu zwängen.

Probleme mit zu großen Partys

All das ist ebenso einleuchtend wie praktisch. Doch Ramsey schuf damit ein Problem, das Mathematikerinnen und Mathematikern seit fast hundert Jahren einiges Kopfzerbrechen bereitet. Während nämlich r(3,3) einfach zu berechnen ist und die Lösung für R(4,4) bereits in den 1930er-Jahren gefunden wurde (sie lautet 18), ist die Lösung für R(5,5) nach wie vor unbekannt.

Diese Grafik illustriert die Ramsey-Zahl r(4,5). Die Zahl der möglichen Verbindungen wächst sehr schnell.
Jacques Verstraete / UC San Diego

Diese verblüffende Tatsache lässt sich durch die eingangs erwähnte Fähigkeit der Mathematik zur Irreführung des vermeintlich gesunden Hausverstands erklären. R(5,5) könnte irgendwo im Bereich zwischen 40 und 50 liegen. Um das herauszufinden, müsste man erst einmal alle Verbindungen zwischen 40 Punkten einzeichnen und sich bis 50 vorarbeiten.

Doch bei 45 Punkten ist die Anzahl der möglichen Verbindungen eine Zahl mit 234 Nullen. Das ist bei weitem mehr als auch die kühnsten Schätzungen für die Zahl der Sterne im Universum oder die Zahl der Sandkörner auf der Erde. Aktuelle Computer sind damit überfordert.

Das Bestimmen größerer Ramsey-Zahlen ist so schwierig, dass sich darum ein eigenes mathematisches Gebiet namens Ramsey-Theorie entwickelt hat. Und nach Jahrzehnten des Stillstands kam kürzlich Bewegung in das Forschungsfeld.

Versuch der Schätzung

Nun berichten die Mathematiker Jacques Verstraete und Sam Mattheus von der University of California in San Diego von einem Durchbruch. Zwar ist R(5,5) noch immer unbekannt, doch den beiden ist es gelungen, eine genaue Abschätzung für R(4,N) vorzulegen, wobei N für eine natürliche Zahl steht. Darüber berichten sie in einer neuen Publikation, die im Fachjournal "Annals of Mathematics" zur Publikation eingereicht wurde.

"Da diese Zahlen bekanntermaßen schwer zu finden sind, suchen Mathematiker nach Schätzungen", sagt Verstraete. "Das ist es, was Sam und ich in unserer jüngsten Arbeit erreicht haben. Wie finden wir nicht die exakte Antwort, sondern die besten Schätzungen dafür, wie diese Ramsey-Zahlen aussehen könnten?"

Auch dieses Problem ist äußerst schwierig. Und wie so viele schwierige Probleme, die einfach zu formulieren sind, haben sich viele Menschen den Kopf darüber zerbrochen. Ramsey-Zahlen kommen zudem im Mathematikstudium bereits früh zur Sprache und bieten motivierten Studierenden eine großartige Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten zu testen und sich daran die Finger zu verbrennen. Verstraete betont, er habe diesen Fehler nicht gemacht und sich lange Zeit nicht intensiv mit der Suche nach einer Abschätzung für R(4,N) beschäftigt. "Jeder weiß, dass das Problem schwierig ist", sagt er, "und jeder hat versucht, es zu lösen. Wer keine neuen Ideen hat, wird vermutlich nicht weiterkommen."

250 Dollar Preisgeld

Auch dass eine der Koryphäen des Gebiets, Paul Erdős, ein Preisgeld von 250 Dollar für die Lösung versprach, änderte daran nichts. Erdős verdankt die Graphentheorie unter anderem den Beweis für die Lösung von R(4,4). Erdős hielt die Lösung also für möglich. Das glaubte er übrigens auch bei R(5,5), wie aus einem kuriosen Zitat hervorgeht, das verblüffend dem Setting der neuen Netflix-Serie "3 Body Problem" ähnelt. Falls irgendwann Außerirdische kommen und unter Androhung von Gewalt nach einer Lösung für R(5,5) verlangen sollten, lohne es sich für die Menschheit, alle Ressourcen zu bündeln und den Invasoren zu geben, wonach sie verlangten. Falls sie aber die Lösung für R(6,6) forderten, täte die Menschheit besser daran, sich auf Krieg vorzubereiten.

Das Preisgeld von 250 Dollar ist, trotz seiner vergleichsweise geringen Größe, mehr als nur ein Scherz. Erdős rief, einer alten Tradition in polnischen Kaffeehäusern folgend, eine ganze Reihe von Geldpreisen für die Lösung von Mathematikproblemen aus und zahlte bis zu 1.000 Dollar. Einmal betrug die Summe sogar 10.000 Dollar. Als dieses Problem 2014 nach seinem Tod gelöst wurde, wurde das Geld aus einem eigens eingerichteten Fonds und mithilfe von Privatpersonen aufgestellt.

Dieses Video illustriert die Ramsey-Zahlen.
Hunter Rehm

Ausflug nach Monte Carlo

Das 250-Dollar-Problem schien sich der Lösung zu entziehen. Doch vor etwa vier Jahren hatte Verstraete eine Idee. Er arbeitete gemeinsam mit seinem Kollegen Dhruv Mubayi an einem anderen Ramsey-Problem und experimentierte mit zufälligen Graphen. Solche Methoden, die Zufall enthalten, werden in der Computerwissenschaft Monte-Carlo-Methoden genannt. Manchmal ist es auch in der Mathematik klüger, auf die richtige Weise zu "raten", statt zu versuchen, eine genaue Lösung zu finden.

Schon Erdős hatte 1937 gezeigt, dass sich mithilfe zufällig ausgewählter Graphen der Rahmen für bestimmte Ramsey-Probleme abstecken ließ. Verstraete und Mubayi verwendeten keine zufälligen Graphen, sondern beinahe zufällige, sogenannte pseudo-zufällige. Damit ließ sich eine Ober- und eine Untergrenze für die richtige Lösung finden. Die Lösung wurde damit quasi umzingelt wie ein scheues Tier.

Auf drei folgt vier

2019 sorgten Verstraete und Mubayi für Aufsehen, als es ihnen gelang, auf diese Weise r(3,N) zu lösen. Doch bei dem für die Fachwelt interessanteren R(4,N) scheiterten sie. Verstraete musste sich in anderen Mathematikgebieten nach Verbündeten umsehen. In Sam Mattheus fand er schließlich den perfekten Partner.

Mattheus ist Experte in Endlicher Geometrie. Nach einem Jahr Arbeit fanden die beiden die Lösung: R(4,N) ist in etwa so groß wie N^3. Ein exaktes Ergebnis ist das nicht, betonen die Forscher. Doch es handelt sich um den wichtigsten Fortschritt in dieser Frage seit den 1930er-Jahren.

Die Jahrzehnte des Suchens seien für die Mathematik im Übrigen nicht belastend, stellt Verstraete klar: "Wenn man feststellt, dass das Problem schwierig ist und man nicht weiterkommt, bedeutet das, dass es ein gutes Problem ist." Man könne nicht erwarten, dass solche Probleme sich von selbst offenbarten. Dass sie sich wehrten, unterstreiche ihren Wert.

"Man sollte nie aufgeben, egal wie lange es dauert", ist Verstraete überzeugt. Seine Hartnäckigkeit lohnt sich auch finanziell: Die 250 Dollar stiftete in Vertretung für den verstorbenen Paul Erdős ein Kollege von der University of California. (Reinhard Kleindl, 6.4.2024)