Horst Hrubesch
Coach Horst Hrubesch hat das Ohr der deutschen Fußballerinnen.
IMAGO/Marc Schueler

Linz – "Idol für alle Fälle", "Menschenfänger", "Sympathieträger" – als Horst Hrubesch im Frühherbst des Vorjahres, ohne zu zögern, seinen geliebten Posten als Nachwuchschef des Hamburger SV aufgab, um interimistisch das Traineramt beim kriselnden deutschen Frauennationalteam zu übernehmen, schrammte der vierfache Großvater nur knapp an der medialen Seligsprechung vorbei.

Der Mehrzahl der Spielerinnen war die Berufung des 72-Jährigen nach dem verstörenden Vorrundenscheitern bei der WM in Australien/Neuseeland und den Querelen um die krankgemeldete Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg ohnehin ein inneres Fichtennadelschaumbad. Schon 2018 hatte Hrubesch das Frauenteam interimistisch betreut und sich in acht Spielen ohne Niederlage samt geglückter WM-Qualifikation viele Freundinnen gemacht, die heute noch Leistungsträgerinnen sind. "Wenn ich 60 wäre, hätte ich weitergemacht", sagte Hrubesch damals und übergab an Voss-Tecklenburg.

Ihnen bleibt noch Paris

Auch die zweite Amtszeit ist befristet, sie endet nach den Olympischen Spielen in Paris, für die sich die deutschen Frauen unter Hrubesch wie selbstverständlich qualifizierten. Mit Christian Wück, der sich als Trainer im männlichen deutschen Nachwuchs einen Namen gemacht hat, steht der Nachfolger schon fest, auch wenn die eine oder andere Spielerin hinter nur lässig vorgehaltener Hand Hrubeschs Verbleib herbeiredet.

In Österreich ist Hrubesch weniger als der "vertrauensvolle, empathische und kommunikative Coach" bekannt, als den ihn die deutsche Olympiasiegerin Tabea Kemme preist. Obwohl der Mann aus Hamm 1992 nach Ernst Happels Abgang interimistisch als Cheftrainer des FC Swarovski Tirol wirkte und 1995/96 mit überschaubarem Erfolg die Wiener Austria trainierte, firmiert er vor allem als Kopfballungeheuer.

Happels Tormaschine

Diesen Spitznamen hat sich Hrubesch als Stürmer redlich verdient, bei Rot-Weiß Essen, für das er 80 Tore in 83 Pflichtspielen erzielte, vor allem aber beim Hamburger SV, für den er in 159 Pflichtspielen 96-mal netzte – eben gar nicht selten mit dem Kopf. Flanke Manfred Kaltz, Hrubesch per Kopf – Tor! Das war auch ein Erfolgsrezept des HSV unter Ernst Happel, der 1982 und 1983 die deutsche Meisterschaft und 1983 zudem mit Hrubesch als Kapitän den Meistercup holte.

Im Nationalteam kam der Stoßstürmer nur zu 21 Einsätzen, was immerhin zum EM-Titel 1980 und zur zweifelhaften Ehre reichte, im Skandalspiel von Gijon (WM 1982 in Spanien) gegen Österreich das einzige Tor zu schießen – ein Ergebnis, das wohlweislich heimgespielt auf Kosten von Algerien beiden Mannschaften zum Aufstieg in die Zwischenrunde reichte. Dass Hrubesch damals nach elf Minuten ausnahmsweise mit dem Oberschenkel und nicht mit dem Kopf getroffen hatte, ist weniger entscheidend gewesen.

Gegen die Österreicherinnen in Linz wäre Hrubesch mit einem ähnlich knappen Sieg durchaus zufrieden. Während seine Spielerinnen die Partie vor allem als Schaulaufen vor der Nominierung des Olympiakaders begreifen, können sich die Österreicherinnen ganz aufs Ziel konzentrieren, einen gelungenen Auftakt in die Qualifikation für die EM 2025 in der Schweiz hinzulegen.

Linzer Chance

Teamchefin Irene Fuhrmann hat einige Schlüsselspielerinnen zu ersetzen, besonders schwer wiegen die Ausfälle der beiden Bayern-Stars Sarah Zadrazil und Katharina Naschenweng. Letztere fällt mit einer Kniegelenksdistorsion "zwei bis drei Wochen" aus. Laura Wienroither von Arsenal könnte indes ein ÖFB-Comeback nach einjähriger Verletzungspause geben – müssen. Das letzte Treffen verloren die Österreicherinnen im Viertelfinale der EM 2022 in London mit 0:2. Das insgesamt vierte Duell mit den deutschen Fußballerinnen könnte für einen Zuschauerinnenrekord sorgen. Am 26. September des Vorjahres hatten 10.051 Fans in der Generali-Arena der Austria das 0:1 in der Nations League gegen Frankreich gesehen. (Siegfried Lützow, 4.4.2023)