Ein Venezolaner überwindet beim texanischen El Paso den Grenzzaun.
Ein Venezolaner überwindet beim texanischen El Paso den Grenzzaun.
AFP/CHRISTIAN MONTERROSA

Dass Donald Trump im Präsidentschaftswahlkampf das Thema Migration forcieren wird, war klar. Auch dass er dafür nicht auf das sanfteste Vokabular zurückgreift. Und so kam es dann auch. Migranten, polterte er vergangene Woche bei einem Wahlkampfauftritt in Michigan, seien "keine Menschen, das sind Tiere". Die laxe Politik von Präsident Joe Biden habe zu einer "Invasion" von Verbrechern geführt, die aus "Gefängnissen und Irrenhäusern" kämen. Sie würden in den USA Unschuldige überfallen und töten, weshalb er Biden vorwarf, ein "Blutbad" anzurichten.

Als Adjutant in dieser aufgeheizten Debatte dient ihm der texanische Gouverneur Greg Abbott. Trumps republikanischer Parteikollege fährt an der Grenze seines Bundesstaates eine besonders harte Linie, auch wenn ein umstrittenes Gesetz im März vom Supreme Court gestoppt wurde. Und schon länger bezahlt Abbott Busunternehmen dafür, Zuwanderer aus Texas gezielt nach New York und Washington, aber auch in andere Bundesstaaten zu befördern, die allesamt von Demokraten regiert werden.

Das Thema Migration ist wie in Europa hochbrisant und gilt als Achillesferse von Präsident Biden im Wahlkampf. Die Republikaner haben diesbezüglich lange von der Regierung gefordert, dass im Austausch für weitere Ukraine-Hilfen die Maßnahmen an der US-Südgrenze verschärft werden. Anfang Februar einigte man sich tatsächlich auf ein entsprechendes Milliardenpaket, doch dieses wurde dann von Trump erfolgreich torpediert. Er wollte damit verhindern, dass Biden bei diesem Thema einen Erfolg präsentieren kann.

Zahl der Ankünfte wieder gesunken

Dass im Dezember mit 302.000 Ankünften so viele wie noch nie in einem Monat an der US-Südgrenze registriert wurden, hat Biden noch weiter unter Druck gesetzt, auch wenn die Zahlen im Jänner auf 176.000 gesunken sind, um im Februar wieder auf etwa 190.000 zu steigen. Doch liegt es wirklich an Biden selbst, wie Trump behauptet?

Ariel Ruiz vom Migration Policy Institute in Washington ist einer der vielen Experten, die eine ganz andere Meinung dazu haben. Dass Biden eine laschere Grenzpolitik betreibt als sein Vorgänger Trump, sei eine Mär, sagt er: "Biden hat viele restriktive Maßnahmen fortgeführt, und er hat noch viel restriktivere eingeführt." Die Zahlen stützen diese These: Unter Präsident Biden wurden bislang an die 6,5 Millionen Menschen nach einem illegalen Grenzübertritt in Gewahrsam genommen – das sind mehr als jeweils unter seinen Vorgängern Trump, Barack Obama oder George W. Bush.

Bei Ciudad Juárez kämpfen sich Migranten durch den Grenzzaun.
Bei Ciudad Juárez kämpfen sich Migranten durch den Grenzzaun.
AFP/HERIKA MARTINEZ


Die Gründe für die steigenden Ankunftszahlen sieht Ruiz woanders. Schlepper, sagt er dem STANDARD, seien in den letzten vier, fünf Jahren "viel raffinierter" geworden. Sie würden auf mehr Routen setzen, in die USA, aber auch nach Mexiko, und auch Charterflüge von Afrika nach Zentralamerika organisieren. Und so seien die Flucht- und Migrationsbewegungen in die USA in Sachen Herkunftsländer vielfältiger geworden. Die Menschen kommen nun nicht mehr aus Lateinamerika, sondern eben auch aus Westafrika, aus dem Nahen Osten, Indien und China, sagt Ruiz. Im vergangenen Jahr etwa wurden 37.000 Menschen aus China an der US-Südgrenze registriert – 50-mal mehr als zwei Jahre davor. Die Menschen aus Asien, so Ruiz, würden deshalb kommen, weil es keine legalen Einreisewege für sie gebe. Und die Menschen aus Westafrika würden mit Turkish Airlines in die Türkei und dann unter anderem nach Kolumbien oder Nicaragua fliegen und von dort weiterreisen.

Durch die vielen Herkunftsländer aus verschiedenen Kontinenten ist es noch schwieriger für die USA geworden, darauf zu reagieren, etwa in Form von Rückführungsabkommen. Und zudem bleibt auch die Entwicklung in Lateinamerika weiterhin sehr dynamisch, mit vielen Migranten etwa aus Honduras, Venezuela, Kuba, Guatemala oder Ecuador, sagt Ruiz.

Weniger Venezolaner

Was Routen betrifft, so brüstete sich Gouverneur Abbott zuletzt damit, dass die Zahl der Ankünfte in Texas stark gesunken sei und dass dies seiner Meinung nach auf seine harte Linie zurückzuführen sei. Bundesbehörden allerdings erklärten, dass Mexiko verstärkt an der Grenze zu Texas eingegriffen und so die Einreisen reduziert habe. Ruiz hat dafür noch eine andere Erklärung: "60 bis 70 Prozent der Venezolaner, die es an die Grenze schaffen, wollen nach Texas. Da in den letzten Monaten diese Gruppe aber weniger geworden ist, gehen auch weniger nach Texas." Damit wolle er nicht sagen, dass Abbotts Politik gar keine Auswirkungen habe, aber dies sei nicht der Hauptgrund für die sinkenden Zahlen.

Migranten im Rio Grande.
Viele kämpfen sich auch durch den Rio Grande in die USA.
AFP/SUZANNE CORDEIRO

Natürlich üben die Schlepper auch Druck auf die Migrantinnen und Migranten aus, so rasch wie möglich den Grenzübertritt zu wagen. "Im Jänner haben sie gesagt, man muss sich beeilen, bevor der US-Kongress die verschärften Grenzmaßnahmen beschließt, die dann eh nicht gekommen sind", sagt Ruiz, "nun sagen sie allen, sie müssen in die USA, bevor Trump wieder Präsident wird."

Dabei, so Ruiz, hätte dieses von den Republikanern abgelehnte Paket neben Verschärfungen auch mehr Mittel für die US-Grenzbehörden bedeutet. "Anstatt die meiste Zeit Neuankömmlinge zu registrieren, hätten die Beamten mehr Zeit, sich mit den Menschen zu beschäftigen. Sie könnten schneller herausfinden, ob sie Anspruch auf Schutz haben oder nicht. Falls nicht, könnten die Behörden schneller daran arbeiten, sie in das Herkunfts- oder ein Transitland zurückzubringen."

Abkommen abschließen

Dafür müsste die Regierung entsprechende Abkommen abschließen. "Präsident Biden muss dafür sorgen, dass die Länder die Menschen zurücknehmen, mit Druck, mit diplomatischen Initiativen", sagt Ruiz. Ende Dezember zum Beispiel haben die USA und Mexiko eine verstärkte Zusammenarbeit in Sachen Migration vereinbart.

Allen müsse aber klar sein, sagt Ruiz, dass man die Migration nicht auf null senken könne. "Jeder, der was anderes sagt, ist nicht realistisch." Es gehe vor allem darum, die Migration besser steuern zu können. Dabei hofft er darauf, dass sich im November die Mehrheiten in den Kongresskammern ändern könnten, sodass das Anfang Februar gescheiterte Paket doch noch umgesetzt wird und die Grenzbehörden weitere Mittel für ihre Arbeit erhalten –unter welchem Präsidenten auch immer.

Doch schon davor könnte sich die Situation ändern. Im Juni wird in Mexiko gewählt. "Bislang hat Mexiko in Sachen Migration kooperiert. Wir wissen nicht, ob es nach der Wahl dabei bleibt", sagt Ruiz abschließend und verweist auch auf Wahlen in Venezuela im Juli. Viele Menschen dort seien vor dem Maduro-Regime geflohen. Aber was ist, wenn ein oppositioneller Kandidat gewinnt? Vielleicht würden dann weniger Menschen flüchten. Ein Sturz Maduros gilt aber als unwahrscheinlich. (Kim Son Hoang, 9.4.2024)