Andrew Scott als Tom Ripley in der Netflix-Serie
Andrew Scott als Tom Ripley in der Netflix-Serie "Ripley" – ab Freitag abrufbar.
Philippe Antonello, Netflix

In Noir-Krimis spielt der Schatten grundsätzlich eine wichtige Rolle. Die Figuren, die das Licht im Dunkeln wirft, verraten den – meist männlichen – Täter. Als Stilelement kündigt der Schatten Unheil an. Er hilft, eine Tat zu vertuschen, er verdeckt allzu Brutales. Das Publikum soll sich dazudenken, was sich im unsichtbaren Bereich abspielt. Tiefschwarze Nacht ist es auch, wenn wir den Schatten jenes Mannes sehen, der einen offenkundig toten Körper die Stufen hinunterzieht und aufschreckt, weil er gestört wird. Niemand soll ihn sehen.

In der Netflix-Serie "Ripley" kann man sich ausrechnen, wer hier versucht, die Spuren eines Mordes zu beseitigen. Tom Ripley legt Hand an. Der wahrscheinlich berühmteste Lügner, Betrüger, Mörder und Identitätsdieb der Literaturgeschichte, in "Der talentierte Mr. Ripley" 1955 erdacht und komplett beschrieben von Patricia Highsmith, meisterlich verfilmt, zunächst von René Clément 1960 in "Nur die Sonne war Zeuge" mit Alain Delon und 1999 von Anthony Minghella mit Matt Damon und Jude Law. Der Autor und Regisseur Steven Zaillian macht aus dem stilprägenden Roman eine in Schwarz-Weiß gehaltene Serie und schafft es, sich unter diesen Steilvorlagen zu behaupten.

Der "Hot Priest" aus "Fleabag"

Das liegt vor allem an Andrew Scott – das Serienpublikum kennt ihn als "Hot Priest" aus der großartigen Serie "Fleabag". Scott spielt den Schwerverbrecher und geht die Sache anders an: Dieser Ripley präsentiert sich dem Publikum nicht als charismatisch und attraktiv, sondern als kühler Verbrecher. Ripley haust zu Beginn in einer New Yorker Souterrainwohnung. Von dort aus betreibt er sein kleinkriminelles Geschäft mit Scheckbetrug – es klappt nicht immer. Da ereilt ihn der Ruf jenes Mr. Greenleaf, der sein Leben verändern wird.

Ripley | Official Trailer | Netflix
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Der vermögende Reedereiunternehmer beauftragt Ripley, seinen verschwundenen Sohn Richard – "Dickie" – zu suchen. Dieser sei ein Taugenichts, augenblicklicher Aufenthaltsort: im italienischen Atrani in der Nähe von Neapel. "Das Einzige, was er tut, ist segeln, trinken und Verantwortung meiden", sagt Papa Greenleaf. Ripley soll ihn zurückbringen. Und weil gerade nichts anderes zu tun ist und aus der Dusche die Gülle herausrinnt, macht sich Ripley auf den Weg.

Die Chance seines Lebens

Das ist die Chance seines Lebens. Den Auftrag konsequent ignorierend, macht sich Ripley bei Dickie und dessen Begleiterin Marge beliebt und trickst nach und nach alle aus. Ripley ist die personifizierte Amoral. Fern jeglichen Verantwortungsgefühls geht er seinen egoistischen Bedürfnissen nach.

Ripley ist kein sympathischer Killer wie Morgan Dexter in "Dexter" oder Joe Goldberg in "You", sondern grimmig und verschroben. Man sieht ihm an, dass er nichts Gutes im Schilde führt. Die Versöhnlichkeit eines attraktiven Äußeren und charmanter Umgangsformen wird nicht schlagend. Wir sollen in ihm den Bösewicht sehen, auf den Charme sollen andere hereinfallen. Dadurch verzichtet die Serie auf die manipulative Perspektive bisheriger "Ripley"-Darsteller. Showrunner Zaillian lässt sich bei der Entwicklung dieser klassischen Verbrechensgeschichte Zeit und nützt – dem Ort des Geschehens entsprechend stimmig – das Stilmittel des italienischen Neorealismus. Im Gegensatz zu vielen anderen Serien, denen Spielfilmlänge besser täte, wird hier ein düsterer Mordbogen gespannt, dessen Pfeile treffen. (Doris Priesching, 5.4.2024)