Signalkabel für ein elektronisches Stellwerk
Beim Bau von Eisenbahnstrecken gibt es viele Vorgaben und Sicherheitsauflagen. Streit zwischen Bahninfrastrukturbetreiber und Behörden ist programmiert.
IMAGO/Robert Schmiegelt

Wien – Das Procedere wiederholte sich nun zum dritten Mal. Die ÖBB-Infrastruktur beantragte für den Betrieb und den Ausbau des österreichischen Schienennetzes beim Verkehrsministerium die obligatorische Sicherheitsgenehmigung und bekam diese nur für ein Jahr befristet verlängert. Die grundsätzlich vorgesehene Erneuerung der Sicherheitsgenehmigung auf fünf Jahre verwehrte die Oberste Eisenbahnbehörde der Staatsbahn einmal mehr. Das wurde dem STANDARD seitens des Verkehrsministeriums bestätigt.

Als Begründung für die neuerliche Befristung wurde die anstehende Integration der im Vorjahr an die ÖBB übertragene Schieneninfrastruktur der Graz-Köflacher Eisenbahn (GKB) angeführt. Die steirische Infrastruktur müsse erst in das Sicherheitsmanagementsystem der ÖBB-Infrastruktur integriert werden, was einiges an Anpassungsbedarf nach sich ziehe. Diese Prozess werde erst im Sommer 2024 abgeschlossen sein – zu spät für die Ende April auslaufende Sicherheitsbescheinigung der ÖBB. Die befristete Verlängerung um ein Jahr erlaube es der ÖBB-Infrastruktur, die GKB-Anlagen rasch zu integrieren und das Sicherheitsmanagementsystem anzupassen. Danach werde die Eisenbahnbehörde das gesamte Sicherheitsmanagement prüfen.

"Pickerl" für das Bahnnetz

Eisenbahnrechtliche Sicherheitsgenehmigungen bilden die Voraussetzung für die Verwaltung und den Betrieb von Haupt- und Nebenbahnen. Vereinfacht ausgedrückt sind sie mit den obligatorischen Kfz-Begutachtungen nach §57a ("Pickerl") vergleichbar, die für Neuwagen nach drei Jahren obligatorisch ist, danach nach zwei Jahren und ab dem fünften Jahr des Autos jedes Jahr. Bei den Sicherheitsbescheinigungen für Bahninfrastrukturbetreiber geht es nicht primär um den Zustand von Fahrzeugen, sondern insbesondere um standardisierte Vorschriften, Abläufe und Regelwerke, die den sicheren Eisenbahnbetrieb gewährleisten.

Gemäß der EU-Richtlinie über Eisenbahnsicherheit und der EU-Verordnung betreffend gemeinsame Sicherheitssysteme ist das Ziel der im EU-Binnenmarkt vorgeschriebenen Sicherheitsmanagementsysteme, dass die Betreiber "ihre Geschäftsziele auf sichere Weise erreichen". Eine wesentliche Rolle spielt dabei neben technischen Systemen und Anweisungen der Arbeitnehmerschutz, denn menschliches Fehlverhalten von Lokführern oder Fahrdienstleitung kann mitverantwortlich für Unfälle oder Störungen sein.

Rechnungshof bemängelte Sicherheitsdefizite

Die Integration des steirischen GKB-Schienennetzes dürfte freilich nicht der einzige Grund für die Befristung der Sicherheitsgenehmigung sein. Ob die für Betrieb, Erhaltung und Ausbau des Bahnnetzes zuständige ÖBB-Infrastruktur die vom Rechnungshof im Zuge seiner Prüfung im Jahr 2022 angeprangerten Sicherheitsdefizite inzwischen behoben hat, darüber schweigt sich die Eisenbahnbehörde ebenso wie die ÖBB-Infrastruktur aus. Die ÖBB erfülle alle Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung und erfülle auch auch die EU-Regeln für Sicherheitsmanagementsysteme, wird im Ministerium betont. Das wurde im Wege der Zertifizierung durch eine unabhängige Stelle bestätigt. "Klar ist aber auch, dass gerade im Bereich Sicherheit laufend Verbesserungen notwendig und wichtig sind", heißt es aus dem Ministerium auf Nachfrage des STANDARD.

Laut dem Rechnungshofbericht ist die Mängelliste um einige Punkte länger als zugegeben. Auch die 2018 erlassene EU-Verordnung über gemeinsame Sicherheitsmethoden muss in die Regelwerke des Infrastrukturbetreibers eingearbeitet werden. Das dürfte bis dato nicht vollumfänglich erfolgt sein beziehungsweise dürfte die ÖBB den Nachweis darüber noch nicht erbracht haben. Andernfalls wäre die 2021 ausgelaufene fünfjährige Sicherheitsgenehmigung aus April 2016 nicht alljährlich um ein Jahr verlängert, sondern inzwischen längst für fünf Jahre erneuert worden. Seitens der ÖBB gab es keine Angaben über die Gründe für die befristete Verlängerung der Sicherheitsgenehmigung.

Dass es Sicherheitsdefizite und Mängel auf mehreren Ebenen gibt, erschließt sich aus dem 2023 veröffentlichten Rechnungshofbericht zu Eisenbahnkreuzungen. Die staatlichen Buchprüfer hatten der Staatsbahn und der Eisenbahnbehörde im Verkehrsministerium dringend anempfohlen, die innerbetrieblichen Richtlinien und Regelwerke zu Eisenbahnkreuzungen nachzuschärfen sowie Dienstvorschriften, Planungsrichtlinien und Verfahrensanweisungen etc. "ehestmöglich an die gesetzlichen Bestimmungen anzupassen, um die Sicherheitsgenehmigung zu erlangen und den innerbetrieblichen Informationstransfer sicherzustellen".

Bahninsider berichten, dass sich auf der Liste der offenen Sicherheitsfragen neben den schienengleichen Eisenbahnübergängen auch Leit- und Sicherungstechnik, also Stellwerke und Sicherungsanlagen sowie Arbeitnehmerschutzbestimmungen finden. Auch bei diesen Themen knirsche es zwischen Eisenbahnaufsicht, Verkehrs-Arbeitsinspektorat (VAI) und Staatsbahn, und das beträchtlich. Anschauungsmaterial bieten diesbezüglich drei beispielhafte Bahnhofsumbauten, die auf Beschwerde des VAI vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt werden.

Gutachter bescheinigt Sicherheit

Im Fall Micheldorf in Oberösterreich hat die ÖBB vorige Woche vor dem Bundesverwaltungsgericht einen Etappensieg errungen. Laut STANDARD-Recherchen waren der im Wirtschaftsministerium angesiedelten Arbeitsinspektion im Gerichtsverfahren überraschend die vom Gerichtssachverständigen – der als Ziviltechniker zugleich bei diversen ÖBB-Planungsvorhaben im Auftrag der ÖBB tätig ist – vorgelegten Angaben zur Sicherheit ausreichend, berichten mit der Materie vertraute Eisenbahner. Im Kern drehte es sich bei der Beschwerde des Verkehrs-Arbeitsinspektorats um die Ausgestaltung des sogenannten Schutzwegs. Das ist eine Art Reserve-Gleisstrecke bis zum nächsten Haupt- oder Ausfahrsignal, die es im Fall einer Störung ermöglichen soll, eine Kollision zu verhindern oder einen Zug doch noch zum Stillstand zu bringen.

Das Problem dabei: Im Vergleich zur Deutschen Bahn sind 50 Meter Schutzweg eher kurz bemessen (bei der DB sind 100 Meter üblich), und außerdem muss ein Schutzweg gemäß österreichischem Eisenbahngesetz nicht zwingend frei von Fahrzeugen sein. Es könnte darauf vorübergehend ein Waggon oder ein Zug abgestellt sein, der auf Ausfahrt wartet. Eine Kollision mit einem einfahrenden Zug wäre in so einem Fall geradezu programmiert. Über diese Problematik tobt zwischen der ÖBB und dem seinerseits für Eisenbahnsicherheit zuständigen Verkehrs-Arbeitsinspektorat ein erbitterter Streit. (Luise Ungerboeck, 6.4.2024)