Jubelpose.
Caitlin Clark hat sich zum US-Star entwickelt.
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Ihr erstes sportliches Opfer war ein Stück Rasen. In jungen Jahren spielte Caitlin Clark Basketball in der Garagenauffahrt. Als sie Würfe aus größerer Distanz üben wollte, ging ihr irgendwann der Platz aus. Also erweiterte ihr Vater die Spielfläche. Ein Stück Rasen musste dafür weichen. Heute lässt sich aus Familiensicht sagen: Bei allem Respekt vor den armen Grashalmen – ihr Opfer hat sich ausgezahlt. Clark hat sich zum US-Superstar entwickelt.

Am 3. März verbesserte die 22-Jährige den 54 Jahre alten College-Rekord von 3.667 Punkten, bis dahin gehalten vom legendären Scharfschützen "Pistol Pete" Maravich. Auch US-Präsident Joe Biden gratulierte Clark. Am Wochenende spielt sie mit den Iowa Hawkeyes im Final Four um den begehrten Titel in der höchsten Liga der National Collegiate Athletic Association (NCAA).

Ihre Leistungen sind phänomenal. Ihre Spielhighlights gehen in den sozialen Medien viral. Ihre Strahlkraft geht über den Basketballcourt hinaus. Wer ist diese Caitlin Clark?

Drei-Punkte-Maschine

Die Grundlage ist freilich die sportliche Performance der Ausnahmekönnerin. Ihr Markenzeichen: Drei-Punkte-Würfe aus großer Distanz. Sie trifft nicht nur knapp hinter der Drei-Punkte-Linie, die an der weitesten Stelle 6,75 Meter vom Korb entfernt ist. Clark ist auch aus neun Metern erfolgreich, manchmal gar von der Mittellinie. Laut CBB-Analyse ist ihre Wurfquote aus diesen Regionen sogar besser als bei Drei-Punkte-Würfen aus niedrigerer Distanz, berichtet die "New York Times".

Caitlin Clarks Viertelfinalleistung
Bleacher Report

Deshalb ist die Aufbauspielerin schwer zu verteidigen. Warten ihre Gegenspielerinnen ab und starten die enge Deckung erst knapp vor der Drei-Punkte-Linie, wirft Clark aus größerer Distanz. Kommen ihr die Gegnerinnen früh entgegen, bietet das Clarks Mitspielerinnen unterm Korb mehr Platz, den sie als gute Passspielerin zu nutzen weiß. "Ich glaube, ich kann im Spiel manchmal einen Schritt vorausdenken, und das hebt mich von anderen ab", sagt die 1,83 Meter große Clark. Das Spiel laufe für sie dann wie in Zeitlupe ab.

Lisa Bluder, seit 2000 Iowa-Trainerin, hat einst definiert, was einen guten Wurfversuch ausmacht: Die Reichweite zum Korb muss stimmen. Die Spielerin muss im Gleichgewicht sein und nicht zu sehr unter Druck einer Gegnerin. Dann kam Clark, die bei ihren Distanzwürfen auch außer Balance und trotz ausgestreckter Arme der Gegnerin trifft. "Ich musste meine Denkweise definitiv ändern", sagte Bluder. "Caitlin ist eine besondere Spielerin."

Clark mit Trophäe und Trainerin.
Caitlin Clark wurde am Donnerstag von der Nachrichtenagentur AP als Spielerin des Jahres ausgezeichnet. Neben ihr steht Iowa-Trainerin Lisa Bluder.
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Frühe Durchsetzungsfähigkeit

Mit fünf Jahren fing Clark an, Basketball zu spielen. Früh auch in Burschenmannschaften, weil ihr Papa in der Gegend kein reines Mädchenteam fand. Als Clark einmal zur MVP, zur wertvollsten Spielerin, gewählt wurde, waren Eltern sauer. Das ist eine Burschenliga, monierten sie. Warum kann ein Mädchen MVP werden?

Clark ließ sich davon nicht beirren. "Ich bin mit zwei Brüdern aufgewachsen und mit einem Haufen Cousins. Manchmal wurde ich herumgeschubst, und ich glaube, das hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin", sagte sie. "Ich musste mich einfach mit Größeren, Stärkeren und Schnelleren messen."

Unbändiger Siegeswille

Clark gilt als extrem ehrgeizig. Ihre hohen Ansprüche bekamen mitunter die eigenen Teamkolleginnen zu spüren, berichtet ESPN. Als sie einst in einem Training partout nicht zu einer freien Mitspielerin passen wollte, wurde es hitzig. Das Trainerteam nahm Clark zur Seite und appellierte an ihren Teamgeist. Clark antwortete nur: "Warum soll ich zu ihr passen, wenn ich beim Training mehr Würfe übe als sie?" Allein in der Sommerpause kommt Clark auf 300 Würfe täglich (100 Dreier, 100 Freiwürfe und 100 aus mittlerer Distanz).

Wer an unbändigen Siegeswillen im Basketball denkt, denkt an Größen wie Kobe Bryant oder Michael Jordan. Wie Letzterer in der Doku "The Last Dance" davon erzählt, dass ihn gegnerische Aussagen oder Verhalten ins Unermessliche gepusht haben ("And I took that personally"), erlangte Kultstatus. Laut "New York Times" ist Clarks größter Beitrag vermutlich genau diese Gewinnen-um-jeden-Preis-Mentalität: "Sie stichelt. Sie brüllt. Sie verhandelt mit den Schiedsrichtern." Sie habe vielen Familien gezeigt, dass es normal sei, auch als Mädchen solche Leidenschaft in sich zu tragen, sagte Co-Trainerin Jan Jensen. Ihr Aufruf: "Erlaubt es ihnen, so auch zu sein."

In der NCAA haben sich noch nicht alle daran gewöhnt. Einmal kassierte Clark ein technisches Foul, nur weil sie nach einem Fehlwurf "verdammt noch einmal" vor sich hin geflucht hat. Clark kritisierte daraufhin die "Doppelmoral". Emotionen und Leidenschaft seien normal im Sport. "Wenn Männer das Spiel so spielen können, sollten Frauen das auch dürfen." Im nächsten Spiel trugen Fans "Damn it"-T-Shirts.

"You can't see me"

Im vergangenen Jahr erreichten die Iowa Hawkeyes das College-Finale. Damals überraschend, weil andere Teams höher eingeschätzt wurden. Aber Clark überragte, der Hype um sie nahm so richtig Fahrt auf. Das Endspiel gegen die Louisiana State University (LSU) verfolgten 9,9 Millionen TV-Zuseherinnen und -Zuseher auf ESPN – die höchste Einschaltquote in einem NCAA-Endspiel der Frauen aller Zeiten. Die bisherige Bestmarke von 5,7 Millionen wurde pulverisiert.

Die favorisierte LSU gewann das Finale mit 102:85. MVP Angel Reese stichelte kurz vor Spielende gegen Clark. Sie zeigte ihrer Kontrahentin per Handgeste, dass sie den Titel heute nicht sehen werde. Die von Wrestlingstar John Cena bekannte "You can't see me"-Geste hatte Clark in einem Spiel zuvor verwendet. Reese wurde in den sozialen Medien Unsportlichkeit vorgeworfen, andere kritisierten die Doppelmoral. Und Clark? Verteidigte ihre Rivalin. "Ich denke nicht, dass Angel dafür kritisiert werden sollte. Ich konkurriere gern und sie auch. Bei den Männern wird ständig Trash-Talk betrieben."

"Clarkonomics"

Sämtliche Hawkeyes-Heimspiele waren in dieser Saison ausverkauft. Wenn Clark auswärts spielt, steigen in den Stadien die Zuschauerzahlen auf das Doppelte an. Im Jänner schloss die NCAA einen neuen TV-Vertrag mit ESPN für das Frauenturnier ab. Er ist mehr als 60 Millionen Dollar wert und damit mehr als zehnmal so hoch wie der vorherige von 2011.

Analystin Debbie Antonelli nennt das Phänomen "Clarkonomics": "Wir haben noch nie eine Spielerin gesehen, die so eine Anziehungskraft hat." Die Expertin verglich es mit dem Hype um Taylor Swifts "Eras Tour". Fans des Popstars nennen sich Swifties, Fans der Basketballerin Clarkies.

Auch Clark profitiert vom Rummel: Seit 2021 dürfen College-Sportlerinnen und -Sportler mit der Vermarktung ihrer Persönlichkeitsrechte Geld verdienen. Zuvor waren sie vom Millionengeschäft praktisch ausgeschlossen. Clark macht so etwa rund zwei Millionen Dollar in dieser Saison. Sie hat unter anderem Verträge mit Nike und Gatorade und inzwischen auch eine eigene Cornflakes-Sorte.

Auf dem Sprung in die Profiliga

Offen ist, inwiefern Clark die Begeisterungswelle auch in die Women's National Basketball Association (WNBA) übertragen wird. Nach dem Final Four wechselt Clark in die Profiliga. Sie hat sich für den Draft am 15. April angemeldet, wo die WNBA-Teams die größten Talente verpflichten dürfen. Clark wird wohl der Nummer-eins-Pick, der den Indiana Fever zusteht.

Ein WNBA-Rookie-Vertrag würde Clark jährlich rund 75.000 Dollar einbringen. Zum Vergleich: Victor Wembanyama, im NBA-Draft 2023 an erster Stelle von den San Antonio Spurs gewählt, verdiente heuer rund zwölf Millionen Euro. Freilich: Die Umsätze, Einnahmen und Zuschauerzahlen beider Ligen sind andere Dimensionen. Aber Clark soll der WNBA einen Schub in die richtige Richtung und vor allem höhere Umsätze verschaffen. Die Kartenpreise von Indianas Saisoneröffnungsspiel stiegen zuletzt um 200 Prozent an, berichtete die Ticketseite Vivid Seats.

Jubeltraube.
Die Iowa Hawkeyes bejubeln den Halbfinaleinzug.
Reuters/USA TODAY Sports/Winslow Townson

Analyst Michael Pachter von Wedbush Securities sagte: "Man braucht Frauen wie Caitlin Clark, die so großartig sind, dass man sie nicht übersehen kann." Er glaubt nicht, dass WNBA-Spiele über Nacht hunderte Millionen Leute ansehen würden. Aber die Liga werde sich kontinuierlich weiterentwickeln. Und vielleicht sichere sich ein Streamingservice einmal die Exklusivrechte "Dafür brauchst du drei oder vier Stars", sagte Pachter. "Und diese werden kommen."

Neben Reese gilt etwa auch Paige Bueckers als hochtalentiert. Sie tritt in der Nacht auf Samstag im Halbfinale (3.30 Uhr) mit den Uconn Huskies (University of Connecticut) auf die Hawkeyes. Clark: "Die Arbeit ist noch nicht erledigt." (Andreas Gstaltmeyr, 6.4.2024)