Merkwürdig ist das schon. Mehr als merkwürdig. Und nicht frei von phlegmatischer Indolenz.

Da hat Peter Handke nicht weniges übersetzt, Prosa Emmanuel Boves, Patrick Modianos, Georges-Arthur Goldschmidts, Gedichte von Gustav Janus oder zwei Romane des hierzulande vergessenen US-Romanciers Walker Percy. Aber auch zwei schmale Werke des hochanspruchsvollen Francis Ponge, Meister der Dingverrätselung, wie auch Gedichte René Chars.

Handkes Übertragung von Chars Rückkehr stromauf. Gedichte 1964–1975 erschien 1984 im Hanser-Verlag und wurde 2017 vom Suhrkamp-Verlag neu aufgelegt. Doch ist diese literarische Aktivität Handkes bei der Literaturwissenschaft wie erst recht beim Lesepublikum – zu "schwierig" waren die Autoren – nie mit angemessen alerter Sorgfalt wahrgenommen worden.

Peter Handke
Übersetzte auch René Chars Gedichte: Peter Handke.
imago images/Agencia EFE

1984 hielt Handke die Eloge auf Gustav Janus anlässlich der Verleihung des Petrarca-Preises und sagte: "Seine Poeme sind, so könnte man sagen – und das ist es auch, was das Poetische an ihnen ausmacht –, das reine Hin und Her. Das reine Hin und Her: die Schwebe, der Widerstreit, das Dialektische."

Das gilt auch für René Char. Um den Poeten aus L’Isle-sur-la-Sorgue in der Provence ist es still geworden. Im deutschsprachigen Raum war es ohnehin nie laut. Vor einigen Jahren erschien über den großgewachsenen Südfranzosen die lesenswerte Biografie Manfred Bauschultes im Wiener Klever-Verlag.

Widerstand und Begehren

Char, 1907 geboren, war einer der ganz raren Fälle, bei denen aus einem Surrealisten und Poeten ein Kämpfer, ein Partisan mit dem Gewehr in der Hand wurde. Als "Capitain Alexandre" war er im Maquis, dem französischen Untergrund nach 1940 wider die Deutschen, berühmt. Zugleich verfasste er damals die Feuillets d’Hypnos, bis heute große Dichtung. 1983 wurde Char in den Parnass der französischen Literatur aufgenommen, seine Œuvres complètes, 1616 Seiten umfassend, erschienen in der Bibliothèque de la Pleïade.

Der Poet René Char
Der Poet René Char.
Jean-Régis Roustan / Roger Violl

Widerstand und Begehren, Schroffes und Verführerisches, Hermetisches und aufregende neue Wortbildungen, sanfte Wildheit, das macht den irisierenden Reiz der Char’schen Poesie aus. 2008 fand Handke dafür die feinnervige Formulierung, Char zu lesen sei wie die griechischen Vorsokratiker zu studieren, jene Denker, von denen kaum mehr als Fragmente sich erhalten haben. Denn, so Handke, den Text würde man nicht unbedingt verstehen, jedoch bei der Lektüre etwas anderes sehen.

Merkwürdig ist das schon. Und nicht genug zu loben. Denn gibt es neben Peter Handke einen anderen lebenden Autor, dem eine so schön ausgestattete, präzis kommentierte und sorgfältig von Katharina Pektor, die am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek die Digitaledition "Peter Handke Notizbücher" leitet, arrangierte Edition – mit Faksimiles einiger Briefe (einer von Handke auf Birkenrinde geschrieben), mit Fotografien – infolge eines Vorlasses zuteilgeworden ist?

Geduld und offene Augen

In diesem Band auch enthalten ist Handkes Eindeutschung von Chars Les voisinages de Van Gogh, die 1990, zwei Jahre nach Chars Tod, im winzigen Verlag Klaus G. Renner erschien. Dazu kommt eine Kompilation aus Handke-Notaten zu Char. Eine der schönsten findet sich in Am Felsfenster morgens: "René Chars Orakel zu übersetzen gleicht dem Lösen einer mathematischen Aufgabe: Es ist im Kopf ein Rechnen."

Buchcover Char/Handke
René Char, Peter Handke, "Gute Nachbarn. Gedichte, Briefe, Texte und Bilder". Hgg. von Katharina Pektor. € 28,80 / 251 Seiten. Wallstein, Göttingen 2024.
Wallstein

Chars Dichtung ist eine, die sich nicht bei erster, flüchtiger Lektüre öffnet. Es bedarf Geduld und offener Augen, die Wortschönheit der illuminierten Dunkelheit dieses Poeten zu erobern. "Bewohnen wir einen Blitz, so ist er das Herz der Ewigkeit" ist so ein charakteristischer Satz zwischen Aphorismus und blitzender Metaphorik, der Chars Grab ziert. Dieser Band hilft dabei, Char im Verstehen zu umkreisen, immer und immer wieder. Auch weil einige Gespräche mit Handke über Char wie über seine Übersetzungen nachzulesen sind, Handkes Rede anlässlich des Ehrendoktorats 2022 in Klagenfurt, dazu einbettende Essays.

Char zu übersetzen – ein Freundschaftsdienst? Es war auch ein Erkennen des Eigenen, ein Schärfen der Variabilität des Schreibens im Sehen, des Sehens im Schreiben. Und bilateraler Poetisierung. René Char: "Ein dunkler Fetzen Gedicht ist eine eiserne Ration; wenn alle Nahrung sonst aufgezehrt ist, wird er reichlich den Tisch decken mit klarem Wein und hellem Brot." (Alexander Kluy, 7.4.2024)