Handschlag
Sich kennenlernen auf Augenhöhe: Yahya und Carsten.
IMAGO/SuperStock

Alles beginnt mit einer Frage, die eigentlich banal klingt: "So, woher kennen wir uns nochmal genau?", will Carsten Schmidt, Autor des Buches Kennen wir uns?, das den Untertitel Eine syrisch-deutsche Begegnung trägt, vom syrischen Journalisten Yahya Alaous, der seit 2015 mit seiner Familie in Berlin lebt, wissen.

Dass nun Dialoge, die meist mit der Bitte um Auskunft beginnen, auch oft der Anfang von Erkenntnisprozessen sind, ist nicht erst seit Kleists berühmtem Aufsatz Über das Marionettentheater klar – bereits alte Philosophen wie Platon oder Sokrates entwickelten ihre wohl bahnbrechendsten Theorien stets im verbalen Austausch mit einem Gegenüber.

Auch in Kennen wir uns? stellt diese erste Konfrontation durch eine Frage die Initialzündung dar, die eine lange, liebevolle und mitunter auch traurige Suchbewegung in Gang setzt. Thema des in Buchform abgedruckten Gesprächs ist dabei so ziemlich alles, vom Glück an sich über Krankheiten bis hin zu zerrissenen Gesellschaften, von Selbstoptimierung, Selbstüberforderung und Psychotherapie bis hin zu Selbstfindung und Neuorientierung in schwierigen Lebensphasen.

Was er immer getan hatte

Begonnen hat das Ganze mit einem einfachen Interview, und geendet hat es bis heute nicht: So könnte man die Beziehung der beiden Schreibenden mit den so unterschiedlichen lebensweltlichen Hintergründen auf den Punkt bringen.

Als eine Zwischenstation jedenfalls kann dieses Buch gesehen werden, das auf die Suche geht und zwei spannende Biografien abtastet: Während es Yahya Alaous im Jahre 2015 nach einem Jahr verzweifelter Versuche gelang, sein Land zu verlassen, bemühte sich Carsten Schmidt damals gerade gemeinsam mit seiner Frau, Essen in Flüchtlingscamps zu bringen.

"Auf der einen Seite fu¨hlten sich manche Menschen ,gerettet‘, aber sie waren natu¨rlich auch vo¨llig im Unklaren u¨ber ihre Zukunft", erinnert er sich, auf der Seite der Privilegierten gewesen zu sein – im Gegensatz zu Yahya Alaous. Dennoch hatte dieser Glück im Unglück: Gemeinsam mit seiner Familie gelang ihm nach zweijähriger politischer Gefangenschaft in Syrien die Flucht, er fand eine kleine, aber feine Wohnung in Berlin und ging weiterhin dem nach, was er immer getan hatte: schreiben. Dabei erkannte der Journalist jedoch, wie gefangen er stets gewesen war: Rückblickend gibt Yahya Alaous zu, dass der einzig wahre Luxus in seiner Kindheit in seinem Heimatland das Familiäre gewesen sei – natürlich, da gab es die Obstgärten der Nachbarn und das Spiel mit den Kindern aus den umherliegenden Häusern, aber im Grunde sei man stets an einer "langen Leine" gewesen.

Herausragend an Kennen wir uns? ist zweifellos die formale Struktur: Den beiden Schreibenden ging es darum, eine Anordnung ihres Gesprächs zu finden, die, wie Carsten Schmidt in einem Interview sagt, ganz wie ein Dialog, eben "auf Augenhöhe" passiert. Daraus ergab sich, dass der Text zweisprachig gestaltet ist – eine Hälfte des Buchs ist in deutscher, die andere als eine Art "Gegenüber" oder "Spiegel" in arabischer Sprache verfasst.

Sich-aneinander-Reiben

Aber das ist noch nicht alles: Da man den arabischen Teil logisch von rechts liest, fließt der Text so, dass sich die Sprachen in der Mitte des Buches treffen, genau wie Carsten Schmidt und Yahya Alaous in ihrem Austausch. Am Ende der spannenden Lektüre ist eines klar: Carsten Schmidt und Yahya Alaous haben eine Menge voneinander, von den gemeinsamen Gesprächen und dem Sich-aneinander-Reiben gelernt.

Buchcover Alois, Schmidt
Yahya Alaous, Carsten Schmidt, "Kennen wir uns? Eine syrisch-deutsche Begegnung". € 15,50 / 204 Seiten. Klak-Verlag, Berlin 2024
Klak

Der syrische Journalist, der einige Zeit im Gefängnis verbrachte, gibt unumwunden zu: "Viele Diskussionen haben mich dazu gebracht, vieles zu überdenken, was ich vorher nicht wusste, (...) tiefer in das tägliche Leben der Deutschen einzutauchen und zu verstehen, wie sie die Welt sehen." "Die Einstellung der Migranten, die Religionen, das soziale Leben und viele andere Aspekte: Yahyas Sicht auf die deutsche Gesellschaft im Allgemeinen half mir, mir ein besseres Bild von ihm zu machen!", folgert schließlich das Allroundtalent Carsten Schmidt – dieser arbeitet als freier Schriftsteller, Lektor, Kulturkritiker und Lehrer.

Und weiter: "Ich glaube, dass es gut ist, die Vielfalt und die breit gefächerten Erfahrungen vieler Menschen nicht immer zu kategorisieren, wie wir Deutschen es gern beamtenmäßig tun."(Sophie Reyer, 6.4.2024)